Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Kanada: Anja Mittag und die späte Zündung
Anja Mittag entwickelt sich zum WM-Star der deutschen Fußballerinnen. Dabei wollte sie schon aufhören.
Um Anja Mittags Hals baumelten weiße Kopfhörer mit Lira-Alushi-Paninibildern auf beiden Ohrseiten. „So ist Lira auch dabei“, sagte Mittag und erinnerte damit an die im vierten Monat schwangere Nationalmannschaftsfreundin. Und Mittag erklärte: „Wir müssen die Dinger ja abkleben, damit kein Sponsor zu sehen ist.“ Sie redete im Lansdowne Park in Kanadas Hauptstadt Ottawa sichtlich lieber über Lira Alushi, die noch unter dem Mädchennamen Bajramaj bekannt ist, und ihr Kopfhörer-Design als über sich selbst. Ob sie inzwischen besser zurechtkomme mit der großen Aufmerksamkeit um ihre Person? „Man muss ja, man muss ja, was soll ich machen?“, seufzte sie und lächelte.
Und dann wurde die fünfmalige Torschützin der Frauenfußball-WM noch gefragt, was sie denn mit den ganzen „Player of the Match“-Auszeichnungen mache. Immerhin erhielt die Stürmerin mit dem auffälligen Dutt auf dem Kopf nach dem souveränen 4:1 (2:0) im Achtelfinale gegen Schweden schon ihre zweite persönliche Trophäe. „Die nehme ich mit, klar. Ich kann sie ja nicht wegschmeißen, wäre doch blöd, oder?“, fragte die 30-Jährige und lächelte wieder. Nein, die Rampenlichtrolle behagt der ruhigen gebürtigen Chemnitzerin nicht. 2013 nach dem EM-Finale in Stockholm war sie sogar froh, dass Nadine Angerer zwei Elfmeter gehalten hatte und ihr eigenes Siegtor zum 1:0 deshalb etwas unterging.
Das ist in Kanada etwas schwieriger. Mittag ist schon jetzt ein Star dieser WM, derzeit raunzt der Stadionsprecher fast in der Dauerschleife „Goal by Änja Mittäg“ ins Rund. „Anja war auch vorher schon mein Superstar“, sagt Kapitänin Nadine Angerer liebevoll. Zum Menschen Anja Mittag fällt ihr ein: „Sie ist sehr bescheiden, demütig und immer für einen lustigen Spruch gut.“ Und zur Spielerin: „Wenn sie Selbstvertrauen hat, ist sie eine Granate.“
Die Technikerin, die das wichtige 1:0 gegen Schweden schoss und den Elfmeter zum 2:0 herausholte, ist in der Form ihres Lebens. Und das gönnt ihr jeder. Mittags Tore in Kanada sind überhaupt ihre ersten WM-Tore in elf Nationalmannschaftsjahren. Beim Titel 2007 in China hatte sie gerade mal sechs Minuten gespielt. Beim Heim-Turnier 2011 tauchte sie nur im Panini-Album als Teilnehmerin auf. Die Bundestrainerin Silvia Neid hatte sie kurz zuvor aus dem Kader gestrichen. Danach dachte Mittag sogar an einen Rücktritt aus der Nationalelf. Eine Aussprache mit Neid, unter der sie seit der U19 spielt, brauchte sie nicht. Sie wusste, dass sie sie mit Leistung überzeugen muss.
In Schweden erfährt sie eine Wertschätzung, die Mittag bei Turbine Potsdam vermisst hat
Gut, dass Mittag weitergemacht hat, und gut, dass sie Ende 2011 den Karriereschritt nach Malmö wagte. Sie erfuhr in Schweden eine Wertschätzung, die sie in Potsdam vermisst hatte. In Malmö stürmte sie an der Seite von Brasiliens Superstar Marta, holte zwei Meistertitel und wurde zweimal Torschützenkönigin. „Seitdem sie ins Ausland gegangen ist, blüht Anja auf“, hatte Neid schon nachdem ersten Gruppenspiel gegen die Elfenbeinküste gesagt. „Sie hat an Persönlichkeit dazugewonnen, ist qualitativ auch sehr viel besser. Sie ist einfach rundum zufrieden mit sich und ihrem Leben.“
In der Tat: Nach inzwischen 124 Spielen im Nationalteam wirkt Mittag als Persönlichkeit gereift, außerhalb des Platzes und auch darauf. Da hat eine, die ein Zappelphilipp vor dem Tor war, ihre Mitte gefunden. Sie profitiert aber auch von der Zusammenarbeit mit Celia Sasic. „Wir ergänzen uns sehr gut, weil wir gegensätzliche Vorlieben haben“, sagt Sasic. „Und wir kennen uns schon ewig seit der U19.“ Sasic ist die klassische Strafraumstürmerin, die lieber aus der Tiefe kommt. Die technisch noch bessere Mittag fordert die Bälle vor der Abwehrkette. Nun haben beide fünf WM-Treffer. Liefern sie sich etwa ein Wettschießen um die Torjägerinnenkrone? Mittag: „Da sind wir beide ganz gechillt und freuen uns für die andere.“
Im anderen Duo mit ihrer Zimmerpartnerin Lena Goeßling wurden sie mal von Angerer „die Beauty Queens“ genannt. Aber so wirklich erfüllt Mittag das Tussi-Klischee nicht mehr, seit sie sich den linken Arm großflächig tätowieren ließ. Darin eingestochen ist unter anderem das Datum des EM-Finals: „Stockholm, 28.7.2013“. Ob da bald ein „Vancouver, 5.7.2015“ dazukommt? So weit will sie noch nicht denken.
Auch noch nicht an ihren Wechsel zu Paris Saint-Germain. Sie hat noch keine Wohnung und kann noch „überhaupt gar nicht“ Französisch. Das zumindest kann sie schon ein bisschen üben. In Montréal, wo die Deutschen am Freitag ihr Viertelfinale spielen.
Inga Radel