WM 2014: Angreifer Fred: Die falsche Neun
Brasilien zürnt seinem Angreifer Fred. Er ziehe die ganze Mannschaft herunter, sagen Experten. Trainer Scolari und die Mitspieler glauben dennoch an ihn.
Der Mann hat Großes geleistet für die Nation. Vielleicht würde Brasilien jetzt im Chaos versinken, in Streiks und Demonstrationen und Volkszorn ohne die Heldentat des Frederico Chaves Guedes, den sie alle nur Fred nennen. Ohne Fred hätte es keinen Auftaktsieg gegen Kroatien gegeben. Keinen Elfmeter, den Neymar zum vorentscheidenden 2:1 verwandelte, als die Kroaten gerade wieder stärker wurden und den Brasilianern nichts mehr einfiel. Dann aber kam Fred, und er tat, was er bei dieser WM bisher am besten kann: Er stolperte. Glücklicherweise im Strafraum, und das war gar nicht so einfach, denn sein Gegenspieler hatte ihn nur minimal berührt, und Fred ist ein Baum von Mann, den so schnell nichts umwirft. Der Schiedsrichter hatte beste Sicht, er entschied dennoch auf Elfmeter und Brasilien blieb das Chaos erspart.
Fred ist danach schwer beschimpft worden von der großen weiten Fußball-Welt, als Schauspieler und Scharlatan. Jetzt fällt auch noch die eigene Nation über ihn her. Ein brasilianisches Internetportal veranstaltet gerade eine Umfrage, wer denn der schlechteste brasilianische Stürmer bei dieser WM ist: Diego Costa, der von den Spaniern eingebürgerte und bei jedem Ballkontakt ausgepfiffene Hüne von Atletico Madrid. Oder Fred, über den die brasilianischen Zeitungen spekulieren, er habe es nur in das WM-Aufgebot geschafft, weil der abergläubische Nationaltrainer Luiz-Felipe Scolari möglichst dieselbe Mannschaft aufbieten wollte wie vor einem Jahr beim gewonnenen Confed-Cup.
Ein schwierige Saison
Brasiliens bisher doch sehr bescheidene Vorstellungen werden in der Öffentlichkeit vor allem an Fred festgemacht. Die Statistik brandmarkt ihn schon als schlechtesten brasilianischen Mittelstürmer bei einer WM seit 1982. Damals hatte zuletzt eine Nummer neun in Gelb-Blau nach zwei Vorrundenspielen noch kein einziges Tor erzielt. Das aber fiel nicht so sehr ins Gewicht, denn die Seleçao hatte Socrates und Zico und Falcao. Der Fred von 1982 hieß Serginho, und er schoss dann immerhin im dritten Spiel ein Tor zum nicht mehr ganz so wichtigen 4:0-Endstand über Neuseeland.
Und Fred? Hat angekündigt, dass er am Montag nachlegen wird, im dritten Vorrundenspiel gegen die bereits ausgeschiedenen Kameruner: „Ehrenwort, in diesem Spiel werde ich treffen.“ Nun ist dieses Spiel so unwichtig nicht für die Brasilianer, denn bei einer Niederlage im Estadio Nacional von Brasilia können sie durchaus noch ausscheiden. Er hat gute Erinnerungen an einen dritten Vorrundenspieltag. Beim Confed-Cup im vergangenen Sommer hatte er sich ähnlich unbeholfen durch die ersten beiden Vorrundenspiele gequält. Dann aber kam das dritte gegen Italien. Fred schoss zwei Tore zum 4:2-Sieg, und jetzt war er nicht mehr zu stoppen. Es folgte noch beim 2:1 ein Tor im Halbfinale über Uruguay, beim grandiosen 3:0 im Endspiel über Spanien traf er zweimal und wurde nur deshalb nicht Torschützenkönig des Turniers, weil der ebenfalls fünfmal erfolgreiche Spanier Fernando Torres ein paar Minuten weniger gespielt hatte.
Der Stürmer Fred ist bei der WM einer von vier Brasilianern, die ihr Geld in der Heimat verdienen. Es war eine schwierige Saison für ihn, mit allerlei Verletzungen und dem sportlichen Abstieg seines Klubs Fluminense, der am Ende nur abgewendet wurde, weil die Konkurrenz von Portuguesa irrtümlich einen gesperrten Spieler eingesetzt hatte. Auf dem Platz ist er sozusagen die Antithese zu Neymar, dem zaubernden Künstler vom FC Barcelona. Fred zaubert nicht, er arbeitet, in der Luft wie am Boden, er ist mehr Athlet denn Ästhet, und so sehen auch seine Tore aus. Wenn er denn mal welche schießt.
Das letzte in der Seleçao gelang ihm eine Woche vor der WM im Test gegen Serbien, es war das einzige beim bescheidenen 1:0-Sieg und ein typisches Fred-Tor, erzielt im Fallen und im zweiten Nachsetzen. Seitdem aber ist er überhaupt nicht mehr aufgefallen, mal abgesehen von seinem spektakulären Sturz gegen Kroatien. „Ich wundere mich schon sehr, dass Fred jedes Mal mitspielen darf“, sagte der frühere englische Nationalspieler Alan Shearer, er kommentiert die WM für die BBC. „Fred zieht die gesamte Mannschaft runter, mit ihm steht Brasilien nur zu zehnt auf dem Platz.“
Die Mannschaft glaubt an Fred
Wie wichtig eine gute Nummer neun ist, das haben gerade die Uruguayer erfahren bei ihrem 2:1-Sieg über England. Nicht nur, weil ihr Mittelstürmer Luis Suárez beide Tore machte, er war mit seiner Ballsicherheit als Anspielstation so allgegenwärtig, dass er auch alle seine beim 1:3 gegen Costa Rica so enttäuschenden Kollegen ein bisschen besser machte. Suarez gab seinem Nebenmann Edinson Cavani die Unterstützung, die Brasiliens Neymar auch ganz gern hat, nur kann sie ihm Fred zur Zeit offensichtlich nicht geben.
In der Mannschaft aber genießt der glücklose Stürmer nach wie vor hohes Ansehen. Daniel Alves bezeichnete die Kritik von Alan Shearer als „den größten Blödsinn, den ich je von einem gehört habe, der auch mal Fußball gespielt hat“. Und Marcelo rühmte Fred demonstrativ als „Anführer, der sehr viel mehr für uns tut, als viele sehen können“. Fred ist der Chef in der Kabine und zur Not weist er auch den verspielten Neymar zurecht. Das traut sich ansonsten nur Trainer Felipao, der große Felipe, wie Luiz-Felipe Scolari in der Heimat ehrfürchtig genannt wird. Der Nationaltrainer hat das ständige Nörgeln der brasilianischen Reporter über Fred und dessen Stammplatz schon auf seine Weise beantwortet: „Ihr könnt schreiben, was ihr wollt, aber das interessiert mich nicht“, grantelte Scolari. „Und die Mannschaft stellt ihr auch nicht auf!“ Was bedeutet: Natürlich wird Fred auch gegen Kamerun stürmen, es ist ja das dritte Spiel, sein drittes Spiel. Beste Gelegenheit, mal wieder Großes zu leisten für die Nation.