Spitzenspiel in der Handball-Bundesliga: Andy Schmid ist der Strippenzieher
Die Füchse Berlin treffen am Sonntag auf den aktuell besten Bundesliga-Handballer: den Österreicher Andy Schmid von den Rhein-Neckar Löwen.
Die Szene spielte sich ganz am Rande ab, weit weg von jenem Tor, über das der Ball gerade geflogen war – aber das machte sie noch interessanter, aussagekräftiger, symbolischer. Im Finale des DHB-Pokals zwischen den Rhein-Neckar Löwen und der TSV Hannover-Burgdorf lief am Sonntag die Schlussphase, als Andy Schmid zurücksprintete und seine Verteidigungsposition einnahm. Auf dem Weg dorthin passierte er nichtsahnend die Ersatzbank – und wurde von seinem Trainer, dem Dänen Nikolaj Jacobsen, derart zusammengefaltet, als hätte er ihm gerade die Frau ausgespannt. Dabei bestand Schmids vermeintliches Vergehen darin, zum ersten Mal an diesem Nachmittag am Tor vorbeigezielt zu haben. Acht Treffer hatte der Schweizer bis dahin erzielt, alle in Halbzeit zwei, damit führte er sein Team quasi im Alleingang zum ersten Pokalsieg der Vereinsgeschichte. Selbst diese herausragende Vorstellung bewahrte ihn allerdings nicht vor einer Standpauke seines Vorgesetzten.
Kurz darauf konnten die Protagonisten schon wieder über die Szene lachen. „Alles überhaupt nicht schlimm“, sprach Schmid, „ich nehme ihm das nicht übel.“ Und das war nicht nur so dahergesagt: Wer den besten Bundesliga-Handballer der vergangenen Jahre und seinen Trainer, den einstigen Weltklasse-Rechtsaußen Jacobsen, hin und wieder beobachtet, wird feststellen: die beiden verbindet eine ganz spezielle Beziehung. „Hassliebe“ nennt es jemand, der die beiden kennt und regelmäßig über sie berichtet, „aber deutlich mehr Liebe als Hass.“ Auch am Sonntag, wenn die Löwen zum Topspiel bei den Füchsen in Berlin antreten (15 Uhr, Max-Schmeling-Halle und live bei Sky), wird dieses Phänomen wahrscheinlich wieder zu sehen sein. Schließlich steht für den zweifachen Deutschen Meister viel auf dem Spiel: Mit einem Sieg beim Tabellenvierten könnte er seinem dritten nationalen Titel in Serie ganz, ganz nahe kommen.
Diese Bilanz ist nicht zuletzt Andy Schmid zu verdanken. Der Schweizer ist der unumstrittene Strippenzieher bei den Löwen, ein Regisseur der Extraklasse und Ausgangspunkt jeder Offensivaktion. Hin und wieder – wie in der ersten Hälfte des Pokalfinals – taucht Schmid zwar auch ab, irgendwie scheint dann alles an ihm vorbeizulaufen. Bis er plötzlich aus dem Nichts explodiert, das Spiel an sich reißt, selbst den Abschluss sucht oder eben den am besten postierten Teamkollegen. „Er ist mein bester Schüler“, sagt Handball-Lehrer Jacobsen, „und von denen erwartet man ja automatisch ganz besondere Sachen.“
Schmid ist ein Meister darin, Situationen zu lesen, Deckungsreihen zu analysieren und jede noch so kleine Lücke zu finden. Seine Kernkompetenz liegt darin, fast immer die richtige Entscheidung zu treffen – ein essenzielles Kriterium in einer Sportart, die gerade in kritischen Situationen Handlungsschnelligkeit, Übersicht und taktisches Verständnis erfordert. „Andy Schmid macht das seit Jahren überragend“, sagt Markus Baur, der Kapitän der deutschen Weltmeistermannschaft von 2007. „In neun von zehn Fällen liegt er mit seiner Entscheidung richtig.“
Dieses Gespür prädestiniert Schmid für eine taktische Variante, die im Handball des 21. Jahrhunderts immer größere Bedeutung erlangt: einen siebten Feldspieler zulasten des Torhüters einzusetzen. Unter Coach Jacobsen nutzen die Löwen dieses Mittel so exzessiv wie kein anderes deutsches Team – mit nachhaltigem Erfolg: Abgesehen von Rekordmeister THW Kiel gab es in der Geschichte der Handball-Bundesliga nur zwei Vereine, die mindestens drei Mal in Folge die Meisterschaft gewannen: der VfL Gummersbach (1973 bis 1976) und der TV Großwallstadt (1978 bis 1981). Nun haben die Löwen die Chance dazu.
Egal, wer am Sonntag auf Berliner Seite mit der Sonderbewachung Andy Schmids betraut wird – er dürfte alle Hände voll zu tun haben, die Mannheimer von diesem Versuch abzuhalten.