US Open: Andy Murray - Tennislegende und Feminist
Andy Murray setzt sich vehement für die Gleichberechtigung im Sport ein. Jetzt kehrt er bei den US-Open nach langer Verletzung wieder zurück.
Andy Murray schien genervt von der Frage. Jemand wollte von ihm wissen, was er von Sam Querrey hält, der als erster US-Spieler seit 2009 ein Grand-Slam- Halbfinale erreicht hat – und sein nächster Gegner sein würde. „Männlicher Spieler!“, sagte Murray und hinterließ verdutzte Gesichter. „Männlicher Spieler“, wiederholte er ruhig. Dann verstanden alle, dass der Tennisspieler auf die verzerrte Geschlechterwahrnehmung hinwies. Von den US-amerikanischen Frauen haben es in der Zwischenzeit nämlich gleich fünf in ein Grand-Slam-Halbfinale geschafft.
Murray legt sich auch mit Kollegen an
Etwas länger als ein Jahr ist diese Szene aus Wimbledon inzwischen her. Es war der bislang letzte Auftritt von Andy Murray bei einem Grand-Slam-Turnier. Seitdem hat der Schotte aufgrund einer Hüftverletzung pausiert. Erst im Juni konnte der 31-Jährige sein Comeback geben, auf die diesjährige Teilnahme in Wimbledon verzichtete er noch. Zum Start der US Open an diesem Montag in New York kehrt mit ihm nun nicht nur die ehemalige Nummer eins der Welt zurück auf die große Tennisbühne, sondern auch „der Feminist, den das Tennis braucht“, wie der „Guardian“ ihn einmal genannt hat.
Diesen Ruf besitzt Murray nicht erst seit seinem viral gegangenen Auftritt in Wimbledon 2017. Schon zuvor hat der Schotte immer wieder öffentlich zu Themen der Geschlechtergerechtigkeit in der Tenniswelt klar Stellung bezogen. „Es fiele mir schwer, überhaupt noch einer der Topspielerinnen ins Auge zu schauen, wenn ich meine Meinung nicht aussprechen würde“, hat Murray in einer Kolumne für die BBC geschrieben.
Dazu legt er sich auch mit seinen Kollegen an. Bereits seit Langem fordert Murray, dass Frauen auf gemeinsamen Turnieren die gleichen Preisgelder erhalten wie Männer. Dies ist bei den Grand Slams inzwischen der Fall, über die gesamte Tennistour hinweg klaffen die Summen jedoch teils weit auseinander. Gerade erst hat der „Guardian“ aufgeschlüsselt, dass 71 der männlichen Spieler unter den Top 100 in diesem Jahr mehr Preisgeld verdient haben als ihre jeweiligen weiblichen Kolleginnen auf derselben Weltranglistenposition. Murray widerspricht Stars wie Novak Djokovic oder Rafael Nadal, die höhere Preisgelder im Männertennis durch größeres Zuschauerinteresse rechtfertigt haben, und kehrt den Spieß um: Die Turnierverantwortlichen seien in der Pflicht, das Frauentennis mehr in den Fokus zu rücken, etwa durch häufigere Spielansetzungen auf den Center Courts.
Der Schotte nahm seine Trainerin in Schutz
„Weibliche Sportlerinnen erhalten selten so viel Sendezeit wie Männer“, sagt Murray. „Und es gibt im Sport immer noch zu wenige Frauen mit Spitzenjobs.“ Doch daran konnte er zumindest selbst etwas ändern: Murray tat das, was man im Englischen „walk the talk“ nennt, und präsentierte 2014 die zweimalige Grand-Slam-Siegerin Amélie Mauresmo als seine neue Trainerin. Auch wenn Murray betonte, er habe die Französin aufgrund ihrer Eignung, nicht ihres Geschlechts engagiert, ein historischer Schritt in der Tennisgeschichte: Mauresmo wurde damit zur ersten weiblichen Trainerin eines prominenten männlichen Topspielers überhaupt. „Es ging darum, die richtige Persönlichkeit mit der richtigen Erfahrung zu finden“, erklärte Murray. „Und wenn das dabei hilft, mehr weibliche Trainerinnen in den Männersport zu bringen, dann ist das eine gute Sache.“
Dass Frauen, die in bisherige Männerdomänen eindringen, mit sexistischen Anfeindungen zu kämpfen haben, war Murray durchaus bewusst. Während seiner Kooperation mit Mauresmo registrierte er eine Stimmung von „Argwohn, Misstrauen und vielleicht sogar Ablehnung“ unter Experten, aber auch Spielern und Trainern, sodass er sich dazu veranlasst sah, seine Trainerin mit einem Beitrag für „L'Equipe“ gegen sexistische Kritik zu verteidigen. „Das Erschütternde war, dass sie jedes Mal heruntergemacht wurde, wenn ich verloren hatte. Meinen vorherigen Trainern ist das nie so gegangen“, schrieb Murray. „Anstatt mich verantwortlich zu machen, hat man plötzlich mit dem Finger auf Amélie gezeigt.“ Sportlich konnte Murray die Kritik egal sein: In knapp zwei Jahren mit Mauresmo als Trainerin zwischen 2014 und 2016 gewann er sieben Turniere und arbeitete sich wieder bis auf Platz zwei der Weltrangliste vor.
Seine erste Trainerin: die eigene Mutter
Die erste Trainerin im Leben des Andy Murray war jedoch seine eigene Mutter. Judy Murray, ehemalige Teamchefin des britischen Fed-Cup-Teams, coachte Andy bereits in seiner Jugend. Sie lässt sich als die Impulsgeberin für das ausgeprägte Bewusstsein ihres Sohnes in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit begreifen. „Durch meine Mutter, die so interessiert und eingebunden war in den Sport, hat es sich für mich immer ganz natürlich angefühlt, dass Mädchen genauso Sport treiben sollten wie Jungs“, schrieb Murray für die BBC. Seine Mutter ließ ihn gemeinsam mit Mädchen trainieren, und bis heute betont Murray, wie gerne er Mixed spielt. Mit seiner Kollegin Laura Robson gewann er 2012 die olympische Silbermedaille. Auch an einem Spiel gegen Serena Williams hat er bereits Interesse gezeigt.
Solche „Battle of the Sexes“ hat es bereits gegeben, legendär darunter das Duell zwischen Billie Jean King und Bobby Riggs im Jahr 1973. King, engagierte Vorkämpferin für die Gleichstellung im Tennis, begrüßt es, dass sich mit Murray zu den starken Stimmen der weiblichen Profis, wie denen der Williams-Schwestern, auch eine männliche gesellt: „Wir brauchen junge Champions wie ihn, um für Gleichberechtigung zu kämpfen.“ Sie bezeichnet Murray als „überzeugten Feministen“. Der hat sich bereits in seinem Beitrag für „L'Equipe“ gefragt, ob er denn ein Feminist geworden ist. Sein Schluss: „Wenn es als Feminist darum geht, dafür zu kämpfen, dass eine Frau genauso behandelt wird wie ein Mann, dann gehe ich davon aus.“
Leonard Brandbeck