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Der Mann für den Übergang. André Schubert, 44, hat bisher Borussias U 23 trainiert und soll bis zur Verpflichtung eines neuen Trainers bei den Profis einspringen.
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Unser Blog zum Bundesliga-Wochenende: André Schubert wird Nachfolger von Lucien Favre - vorerst

Heute in unserem Blog: Borussia Mönchengladbach nach dem Rücktritt von Lucien Favre. Manager Max Eberl ist sautraurig, Jürgen Klopp nicht interessiert

Wer ist der Neue? Noch ein paar Sätze zu André Schubert, Eberls Mann für den Übergang. Wie bereits weiter unten erwähnt, trainiert der 44-Jährige seit diesem Sommer als Nachfolger von Sven Demandt die U 23 der Gladbacher. Nach neun Spieltagen liegt die Mannschaft aktuell auf Platz drei. Zuvor war Schubert ein Jahr lang U-15-Trainer beim DFB. Außerdem hat er die Zweitligisten Paderborn und St. Pauli trainiert. Aus seiner Zeit in Paderborn ist mir ein denkwürdiger Auftritt von ihm in Erinnerung geblieben. Im Frühjahr 2011 musste Schubert mit seiner Mannschaft im Berliner Olympiastadion gegen Hertha BSC antreten. Weil Herthas Trainer Markus Babbel irgendwann einmal geäußert habe, er träume davon, selbst bei einem Spiel gegen Paderborn 70.000 Zuschauern ins Olympiastadion zu locken, setzten die Berliner alles daran, ihr Stadion voll zu kriegen - was unter anderem dank stark verbilligter Karten auch tatsächlich gelang. Herthas 2:0-Erfolg gegen die abstiegsgefährdeten Paderborner sahen 70.600 Menschen. Das verleitete Schubert in der anschließenden Pressekonferenz zu einem launigen Kommentar: "Eine Mannschaft, die es schafft, gegen uns 70.000 Zuschauer ins Stadion zu locken, hat es einfach verdient aufzusteigen. Aber eine Mannschaft, die es schafft, zu einem Auswärtsspiel 70.000 Zuschauer mitzubringen, hat es auch nicht verdient abzusteigen."

Pressekonferenz mit Eberl (17). Das war's aus dem Borussia-Park. Eberl, nach eigener Aussage "sautraurig", wirkte einigermaßen gefasst. Kein böses Wort gegen Lucien Favre, der dem Sportdirektor mit seinem Rücktritt ein paar turbulente Tage beschert haben dürfte. Schon in zwei Tagen bestreiten die Gladbacher ein kompliziertes Heimspiel gegen den FC Augsburg, gegen den am letzten Spieltag der Vorsaison im Grunde die Niederlagenserie begonnen hat, die bis heute anhält. Auf der Trainerbank wird dann Borussias bisheriger U-23-Trainer André Schubert sitzen, zusammen mit Favres altem Trainerteam (Frank Geideck, Manfred Stefes und Uwe Kamps). Laut Eberl ist mit Schubert vereinbart, dass er den Job nur übergangsweise übernimmt. Die Gladbacher suchen derweil nach einem gestandenen Nachfolger für Favre. Eberl ahnt, dass die Suche nicht allzu leicht werden dürfte. Die richtig guten Trainer stehen derzeit unter Vertrag. Alle bisherigen Spekulationen - Thomas Schaaf, Mirko Slomka, Jos Luhukay, Horst Steffen - sind also genau das: Spekulationen.

Pressekonferenz mit Eberl (16). "Wir haben eine große Lücke, die es zu schließen gilt."

Pressekonferenz mit Eberl (15). "Es ist klar, dass jetzt im September nicht die besten Trainer von den Bäumen fallen. Die stehen alle unter Vertrag."

Pressekonferenz mit Eberl (14). "Wir haben keinen Plan B in der Tasche gehabt."

Pressekonferenz mit Eberl (13). "Ich bin sautraurig", sagt Eberl.

Pressekonferenz mit Eberl (12). "Wenn Favre für mich ausgebrannt gewirkt hätte, hätte ich nicht so um ihn geworben", sagt Eberl. "An den Transfers wird's nicht liegen. Das Problem war, dass der Kader wegen Verletzungen nicht zur Verfügung gestanden hat. Wenn wir den Kader komplett gehabt hätten, würden wir heute hier nicht setzen. Die Kaderentscheidungen haben wir gemeinsam getroffen."

Pressekonferenz mit Eberl (11). "Ich habe das Gefühl, dass die Mannschaft dran glaubt", sagt Eberl. "Die Mannschaft ist intakt, die Mannschaft ist sauber. Verletzte Spieler kommen zurück. Ich hoffe, dass André Schubert der Mannschaft ein neues Gefühl geben kann."

Pressekonferenz mit Eberl (10). Der neue Trainer wird eine neue Ansprache haben, "dementsprechend hast du neue Reize", sagt Eberl. "Er hat Bock drauf."

Pressekonferenz mit Eberl (9). "Der Zeitpunkt ist nie passend. Es ist jetzt so, wie es ist. Wir müssen damit jetzt umgehen."

Pressekonferenz mit Eberl (8). Zur arbeitsrechtlichen Frage des Rücktritts. "Da wird's eine juristische Klärung geben", sagt Eberl.

Getrennte Leute. Lucien Favre und Max Eberl müssen sich auf neue Partner einstellen.
Getrennte Leute. Lucien Favre und Max Eberl müssen sich auf neue Partner einstellen.
© dpa

Pressekonferenz mit Eberl (7). "Wir werden jetzt nicht in Hektik verfallen", sagt Eberl. Zu Klopps Absage: "Ich habe kein Angebot an Jürgen Klopp abgegeben."

Pressekonferenz mit Eberl (6). André Schubert, der Trainer der U 23, wird die Mannschaft zunächst übernehmen. Eberl spricht von einer Lösung für den Übergang. "Wir haben Lösungen im Kopf", sagt Eberl.

Pressekonferenz mit Eberl (5). Eberl zur Reaktion der Spieler. "Keiner hat damit großartig gerechnet." Borussias Sportdirektor hat "ein Stück weit Traurigkeit und Enttäuschung" festgestellt. "Aber wir können uns nicht zu sehr einigeln und in Schockstarre bewegen."

Pressekonferenz mit Eberl (4). Eberl auf die Frage, wie oft Favre denn schon haben kündigen wollen: "Das ist jetzt egal, wie oft und wann."

Pressekonferenz mit Eberl (3). Eberl sagt, dass Favre Sorge hatte, "keine richtige Lösung mehr zu finden. Wir haben versucht, ihm diese Sorgen zu nehmen."

Pressekonferenz mit Eberl (2). "Ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir mit Lucien den Turnaround geschafft hätten", sagt Eberl. Außerdem bestätigt er, dass es nicht das erste Mal war, dass Favre an Kündigung gedacht habe.

Pressekonferenz mit Eberl. "Er hat die ganze Argumentation nicht an sich herangelassen", sagt Eberl. Die Presseerklärung habe den Klub überrascht, Borussia wurde aber laut Eberl kurz zuvor unterrichtet.

Klub der Frühaufsteher. "Die Gefühlslage kann sich jeder vorstellen", sagt Eberl. Er sei sehr, sehr traurig. Borussias Sportdirektor bekam am Sonntagmorgen um zwanzig nach sieben einen Anruf von Favres Berater, der ihm mitteilte, dass der Schweizer aufhören will. Man habe versucht, ihn umzustimmen.

Max allein auf dem Podium. Die Pressekonferenz im Borussia-Park beginnt. Max Eberl, der Sportdirektor, sitzt allein auf dem Podium.

Gewohnt ungewohntes Bild. Früher jede Saison eine Pflichtveranstaltung: Borussia Mönchengladbach verkündet einen Trainerwechsel. Inzwischen ganz ungewohntes Gefühl. In knapp zehn Minuten können wir unsere verblassenden Erinnerungen mal wieder auffrischen.

Klopp hat kein Interesse. Unmittelbar nachdem die Fans von Borussia Mönchengladbach am Sonntagabend den ersten Schock halbwegs verdaut hatten, hat bei ihnen schon wieder die Schnappatmung eingesetzt. Das war, als die Anhänger kurz nach Favres Rücktrittsverkündung registriert haben, dass Jürgen Klopp aktuell auf dem Markt ist. JÜÜHÜÜRGEN KLOPP!? Und jetzt alle wieder runterkommen. Klopp wird es nicht, hat sein Berater mehreren Medien mitgeteilt, woraus dann die Schlagzeile wurde: Klopp sagt Gladbach ab. Ob die Gladbacher ihn überhaupt angefragt haben – reine Spekulation.

Natürlich gebietet es der fußballerische Sachverstand, bei der Suche nach einem neuen Trainer erst einmal größtmöglich zu denken und auch den Mann in den Blick zu nehmen, der von allen derzeit verfügbaren den größten Namen hat. Dass Jürgen Klopp für die Gladbacher trotzdem keine realistische Option sein kann, erkennt man spätestens beim zweiten Hinsehen.

Unabhängig davon, dass die Gladbacher für Klopp inzwischen generell eine Nummer zu klein sind: Seine Verpflichtung wäre auch ein vollkommener Bruch mit dem bisherigen Stil der Gladbacher. Borussias Fußball war unter Favre so was von Anti-Klopp wie nur irgend möglich. Gegenpressing, Klopps heiliges Prinzip, findet bei den Gladbachern nicht statt. Und mit einem Trainerwechsel die komplette Vereinsphilosophie über den Haufen zu werden, das ist eigentlich genau das, was heute niemand mehr will.

Im Grunde hält sich jeder Verein für diesen Fall eine Art Schattentrainer in der Nachwuchsabteilung. Das war selbst bei Hertha BSC mit Pal Dardai der Fall. In Mönchengladbach gab es zwei, die kurzfristig für Favre hätten einspringen können. Der U-19-Trainer Horst Steffen und der U-23-Trainer Sven Demandt. Dummerweise haben beide wegen ihrer erfolgreichen Arbeit im Nachwuchs der Borussia den Verein inzwischen verlassen. Steffen trainiert die Stuttgarter Kickers, die er aus der Abstiegszone der Dritten Liga in die Spitzengruppe geführt hat. Sein Name wird von den Medien dementsprechend auch jetzt als möglicher Nachfolger Favres genannt. Demandt wiederum ist im Sommer zu Wehen Wiesbaden gewechselt, nachdem er mit Borussias U 23 Meister der Regionalliga West geworden war.

Die Stelle des Schattentrainers hat Borussias Sportdirektor Eberl nach dem Abgang Demandts mit André Schubert besetzt, der schon die Zweitligisten Paderborn und St. Pauli trainiert hat und jetzt für Borussias U 23 zuständig ist. Sein Makel könnte sein, dass er bisher noch nicht die Zeit hatte, sich in Mönchengladbach stärker zu profilieren. Für Schubers persönliche Ambitionen könnte Favres Rücktritt ein wenig zu früh gekommen sein, obwohl es gut möglich ist, dass er am Mittwoch, im Heimspiel gegen Augsburg, gemeinsam mit den bisherigen Co-Trainern Frank Geideck und Manfred Stefes auf der Bank sitzen wird.

Tagesspiegels Liebling? Für alle, die zu faul sind, bis zu den Kommentaren runterzuscrollen, sei hier auf den Beitrag unseres Lesers Nappsuelze verwiesen. Er schreibt: „Favre war ja bisher immer Tagesspiegels Liebling. Jetzt wird es endlich an der Zeit sich einen neuen Liebling zu suchen. Ich gestehe, eine Schadenfreude kann ich hier nicht ganz verbergen.“

Woran könnte es wohl liegen, wenn der Eindruck entstanden ist, dass Lucien Favre ein Liebling unserer Redaktion ist, dass er in unserer Berichterstattung also ziemlich gut weggekommen ist? Vielleicht daran, dass er in Mönchengladbach ziemlich gut gearbeitet hat?

Noch mal zur Erinnerung: Favre hat die Mannschaft im Februar 2011, nach dem 22. Spieltag, auf Platz 18 übernommen; der Abstand auf den Relegationsplatz betrug sieben Punkte - trotzdem schaffte er die Rettung.
Im Jahr darauf führte er die Mannschaft auf Platz vier und damit erstmals seit 16 Jahren wieder in den Europapokal.

In vier Jahren unter Favre belegten die Gladbacher immer einen einstelligen Tabellenplatz - das haben im selben Zeitraum nur die Bayern, Leverkusen, Dortmund und Schalke geschafft. Dreimal gelang die Qualifikation für den Europacup.

In der vergangenen Saison war die Borussia die beste Mannschaft der Rückrunde.

Unter Favre wurden Marco Reus, Marc-André ter Stegen, Christoph Kramer und Patrick Herrmann deutsche Nationalspieler.

Und diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Falsches Wappen. Lucien Favre hat für sich entschlossen, kein Trainer von Borussia Mönchengladbach mehr sein zu wollen.
Falsches Wappen. Lucien Favre hat für sich entschlossen, kein Trainer von Borussia Mönchengladbach mehr sein zu wollen.
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Im Klub der Vereinslegenden. Für alle Jüngeren, also Menschen, die ihren 35. Geburtstag noch nicht gefeiert haben. Borussia Mönchengladbach war einmal ein Verein, der sich durch eine fast übermenschliche Treue zu seinen Trainern auszeichnete. Nach dem Bundesligaaufstieg 1965 dauerte es 24 Jahre, bis der Klub sich zum ersten Mal von einem Trainer trennte. Wolf Werner hieß der Mann, der gewissermaßen Bundesligageschichte schrieb. Zuvor hatten die Gladbacher genau drei Trainer: Hennes Weisweiler (1964 bis 1975), Udo Lattek (1975 bis 1979) und Jupp Heynckes (1979 bis 1987). Seitdem ist Borussias Historie reich an Trainerwechseln, doch mit Favre haben die Gladbacher lange gehofft, wieder an ihre eigene Geschichte anzuknöpfen. Nicht ganz zu Unrecht. Der Schweizer ist bei Borussia der Trainer mit der drittlängsten Amtszeit (nach Weisweiler und Heynckes).

Dass Favre ein, sagen wir, eigenwilliger Charakter ist, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Dass er zu Zweifeln neigt, ist offenkundig. Man muss ihn auch zu nehmen wissen – und zwar so, wie er ist. Das schien den Gladbachern bisher gut gelungen zu sein. Besser zum Beispiel als den Verantwortlichen bei Hertha BSC in der Nach-Dieter-Hoeneß-Ära. Das Verhältnis zu Sportdirektor Max Eberl schien ein besonderes zu sein. Dirk Gieselmann hat das bei „11 Freunde“ in folgendes Bild verpackt: „Favre, der zuweilen wie ein zerzauster Stardirigent rüberkam, der erst dann mit der Welt in Einklang kommt, wenn er die Partitur aufschlägt und den Auftakt geben kann, und Eberl, der robuste, lebenspralle Konzertmeister aus Niederbayern, der selbst nicht zu den Genies zählt, aber gerade deshalb umso besser mit ihnen umgehen kann – sie schienen sich aufs Beste zu ergänzen.“

Hinter der schönen Fassade hat es sehr wohl Verwerfungen und auch Risse gegeben, sie waren wohl auch schon einmal tiefer als zuletzt, als sich Favre und Eberl miteinander arrangiert zu haben schienen. In der Saison 2012/13, nach dem Abgang von Marco Reus, Dante und Roman Neustädter, war Favre in einer ähnlichen Situation. Geplagt von Zweifeln etwa an der Transferpolitik Eberls und Selbstzweifeln, was aus dem Kader herauszuholen sei, trieb er den Verein an den Rande des Wahnsinns. Wer damals vertrauensvolle Gespräche mit Mitarbeitern des Klubs führte, hörte schnell eine tiefe Gereiztheit beim Thema Favre heraus. Eberl war sogar kurz davor, die Zusammenarbeit zu beenden, ehe Favre und letztlich auch die Mannschaft noch die Kurve bekamen.

Auch diese Erfahrung hat dazu geführt, dass Favre in der aktuell schwierigen Situation - Tabellenletzter der Fußball-Bundesliga, sechs Pflichtspielniederlagen hintereinander - mehr Rückhalt genossen hat, als es in anderen Klubs der Fall gewesen wäre. Eberl hat den Trainer nicht von ungefähr erst vor ein paar Tagen, scheinbar ohne Not, als „unrauswerfbar“ bezeichnet. Es gab trotz der dürftigen sportlichen Bilanz weder eine interne noch eine mediale Diskussion über den Trainer.

Weitere Reaktionen. „11 Freunde“ schreibt über Favres Rücktritt: „Trotz einer durchaus nachvollziehbaren inneren Logik dieses verzagten Genies (Ich kann es einfach nicht mehr!), wirkt das dann doch ziemlich rücksichtslos.“ Mit seiner Entscheidung „ stürzt Favre die Borussia mit seiner einsamen Entscheidung von einer rein sportlichen in eine strukturelle Krise. Und es wirkt auch egoistisch: Favre hat es jetzt hinter sich, die Borussia aber nicht. (...) Er hat dem Verein die Ruhe genommen, die er ihm einst schenkte. Ein Mann zwischen Gott und Sündenbock. Zwischen Genie und Wahnsinn.“

Für die „Aachener Zeitung“ ist es „ein kauzig-merkwürdiger Abgang, der aber irgendwie zu ihm passt“.

Und der „Express“ schreibt: „Favre schlägt mit dieser Veröffentlichung allen Fohlen-Granden ins Gesicht.“

Um 14 Uhr will sich der Klub äußern

Auch das noch. Max Eberl, Borussias Sportdirektor, hat heute übrigens Geburtstag. Wird 42. Wäre gut möglich, dass er sich Glückwünsche verbittet. Gibt schließlich Wichtigeres.

Das Leben muss weitergehen. Ein Verein in Schockstarre. Das gesammelte Schweigen bei Borussia Mönchengladbach. Der Klub braucht noch ein wenig, um wieder zu sich zu kommen. Verständlicherweise. Für 14 Uhr haben die Gladbacher eine Pressekonferenz angekündigt. Meine Prognose: Jürgen Klopp wird nicht repetiere nicht als neuer Trainer vorgestellt.

Das meinen die anderen. Die einsame Entscheidung von Lucien Favre trifft in den deutschen Medien auf wenig Verständnis. Die „Bild“-Zeitung schreibt über den Schweizer: „Er lässt seine Spieler, die Fans und Manager Max Eberl einfach im Stich. Pardon, Monsieur Favre, das ist stillos und feige.“

Der „Kicker“ bewertet den Rücktritt als Affront: „Mit seinem skurrilen Alleingang brüskiert er den Klub und stellt die Verantwortlichen öffentlich bloß. Ein nettes Dankeschön für den in der Branche nicht selbstverständlichen Rückhalt, den Eberl und Co. dem Schweizer in der tiefen sportlichen Krise gaben.

Favre pfeift auf den Vertrauensvorschuss, er lässt den Klub und die Mannschaft im Stich - und das ausgerechnet in der englischen Woche mit den wegweisenden Spielen gegen Augsburg und in Stuttgart. Auch daran werden sich die Liga-Manager erinnern, wenn wieder mal ein Trainerstuhl zu besetzen ist. (...) Es ist kein trauriges, sondern ein höchst groteskes Ende der Erfolgsstory, die Favre und Borussia Mönchengladbach über viereinhalb Jahre zusammen geschrieben haben.“

Das Online-Fanzine „Seitenwahl.de“ Seitenwahl meint: „Mit der Art und Weise, wie Lucien Favre sich am Tag nach der Derbyniederlage in Köln vom Hof stiehlt, beschädigt der kapriziöse Schweizer sein eigenes Denkmal.“

Die Kollegen von „Torfabrik.de“ werten Favres Entscheidung als unverantwortlichen Alleingang: „Rein fachlich gesehen gibt es im Profifußball kaum jemanden, der diesem Mann das Wasser reichen kann. Deshalb ist sein Verlust für Borussia Mönchengladbach, vor allem jetzt in dieser Situation, eine regelrechte Katastrophe. Es ist der Super-GAU“, schreiben sie. Und weiter: „Es ist eine Entscheidung, die ihm ohne Zweifel freisteht. Wenn er tatsächlich das Gefühl hat, nicht mehr der perfekte Trainer zu sein, muss er Konsequenzen ziehen. Der Zeitpunkt, mitten in der englischen Woche, ohne internen und externen Druck und nach einem Spiel, wo trotz der Niederlage Licht am Ende des Tunnels erkennbar war, sowie die Art und Weise des Vollzugs sind allerdings beschämend.“

Die „Rheinische Post“ (größte Zeitung in Mönchengladbach) urteilt: „Mit seinem Alleingang aus dem Amt beschädigt Lucien Favre seine erfolgreiche Arbeit in Mönchengladbach nachhaltig. (...) Es bleibt das Gefühl eines unwürdigen Abgangs. Das Gefühl eines unwürdigen Endes einer aus Borussen-Sicht traumhaften und so undenkbaren Zeit. Und es bleibt im Borussen-Land seit Sonntagabend eine mulmige Gefühlslage: Die, dass Gladbachs neuer Trainer ein tonnenschweres Erbe antritt. Dass den fetten Jahre nicht selbstverständlich weitere fette folgen müssen. Dass das Biotop Borussia wieder zum ganz normalen Bundesligisten schrumpfen könnte.“

„Spiegel online“ kann Favre zumindest ein bisschen verstehen. Weil der Schweizer nach den jüngsten Niederlagen wie „die Verzagtheit in Person“ wirkte, wie „jemand, der nicht mehr an sich und seine Arbeit glaubt. Und wer es selbst nicht mehr fühlt, der kann es auch nicht mehr vermitteln. Favre ist kein klassischer Krisenmanager. Es ist eben anders als 2011. Da kam er und sorgte allein dadurch für Aufbruchstimmung, dass er so vieles anders machte als seine erfolglosen Vorgänger. Diesen Trumpf konnte er jetzt nicht mehr ausspielen. Er hat seine Konsequenzen gezogen.“

Favre überrumpelt die Borussia. Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich Analogiker bin? Ja, habe ich, ist aber schon lange her. Für alle, die sich nicht mehr erinnern: Ich glaube im Fußball an stetig wiederkehrende Muster. Ich glaube, dass man aus der Vergangenheit Vorhersagen für die Zukunft treffen kann. Der Analogismus ist im Grunde nichts anderes als eine theoretische Ausformung des preisgekrönten Fußballspruchs von Hans Meyer: „In schöner Regelmäßigkeit ist Fußball doch immer das Gleiche.“ (Fußballspruch des Jahres 2007) In meiner Redaktion werde ich als Analogiker ein wenig belächelt. Aber, mein Gott, ist Galileo Galilei nicht auch belächelt worden?

Am vergangenen Wochenende habe ich mich jedenfalls mal wieder eindrücklich in meiner Haltung bestätigt gefühlt. Am Wochenende hat der 1. FC Köln das sogenannte rheinische Derby gegen Borussia Mönchengladbach gewonnen. Das kommt ziemlich selten vor, in Köln noch seltener als in Mönchengladbach. Der letzte Erfolg des FC lag schon ziemlich genau sieben Jahre zurück. Im Oktober 2008 siegten die Kölner im Borussia-Park 2:1. Am Tag darauf wurde Gladbachs Trainer Jos Luhukay entlassen. Und was passierte nun nach dem 0:1 in Köln? Richtig, die Gladbacher brauchen wieder einmal einen neuen Trainer, nachdem Lucien Favre am Sonntagabend seinen Rücktritt erklärt hat.

Ich gebe zu, dass ich bis Sonntagabend etwa halb sieben eine derartige Entwicklung nicht mal im Entferntesten für möglich gehalten hätte. Den Verantwortlichen bei Borussia Mönchengladbach ist es wohl ähnlich ergangen. So wie sich die Dinge darstellen, haben sie mit aller Macht versucht, Favre im Verlaufe des Sonntags - wie schon häufiger in der Vergangenheit übrigens - von seiner Entscheidung abzubringen. Zweimal tagten die Entscheidungsträger mit ihm. Mit welcher Abmachung die Beteiligten schließlich auseinandergingen, lässt sich aus der Ferne nur erahnen. In der Regel verständigt man sich in solchen Fällen darauf, nichts zu überstürzen, sondern das Ganze noch mal sacken zu lassen, eine Nacht über alles zu schlafen und dann einen neuen, frischen Blick auf die Welt zu werfen.

Bis ins Mark getroffen

Für diese Variante spricht einiges - unter anderem die seltsame Verkündung der Entscheidung durch Favre selbst. Er informierte die Presseagenturen, offenbar nicht aber seinen Arbeitgeber. Das zumindest lässt die Reaktion des Vereins vermuten. Sportdirektor Max Eberl wurde auf Borussias Internetseite mit den Worten zitiert: „Wir haben Lucien Favre erklärt, dass wir weiterhin uneingeschränkt und voller Überzeugung hinter ihm stehen. Wir sind nach wie vor total davon überzeugt, dass Lucien der perfekte Trainer für Borussia ist und wir gemeinsam mit ihm die aktuelle, sehr schwierige sportliche Situation überstehen werden.“ Und Rolf Königs, der Präsident des Vereins, äußerte sich wie folgt. „Wir haben gehofft, dass wir ihn auch dieses Mal überzeugen können, bei uns und mit uns weiterzumachen. Mit seinem öffentlich gemachten Rücktritt hat er nun Fakten geschaffen, die uns bis ins Mark treffen. Wir haben mit Lucien Favre viereinhalb überaus erfolgreiche sportliche Jahre hinter uns und sind sehr traurig, dass dieser gemeinsame Weg nun offenbar zu Ende ist.“

Favres Rücktritt zu Beginn einer englischen Woche in der Bundesliga hat die Gladbacher regelrecht überrumpelt. Am Mittwoch spielen sie zu Hause gegen den FC Augsburg, am Samstag müssen sie beim ebenfalls noch punktlosen VfB Stuttgart antreten. Und in der nächsten Woche kommt Manchester City nach Mönchengladbach, zum ersten Champions-League-Heimspiel der Vereinsgeschichte, ehe der VfL Wolfsburg im Borussia-Park gastiert.

All das macht den wundersamen Abgang des wundersamen Monsieur Favre noch ein bisschen wundersamer. Aber es passt eben auch, wie die „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben hat, zur Persönlichkeitsstruktur des ewigen Pessimisten, „dass er eigentlich permanent im Zustand des möglichen Rücktritts lebt“.

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