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Jos Luhukay, 50, hat Hertha BSC in seiner ersten Saison zum Wiederaufstieg geführt und anschließend ins vordere Mittelfeld der Bundesliga. Zuvor trainierte der Niederländer aus Venlo die Bundesligaklubs FC Augsburg und Borussia Mönchengladbach.
© Imago

Hertha-Trainer Jos Luhukay im Interview: „An Europa zu denken, ist nicht realistisch“

Zum Jahresabschluss gibt es für Hertha BSC noch den Höhepunkt in Dortmund. Wir haben vor dem Spiel Trainer Jos Luhukay getroffen und mit ihm über Europacup-Aussichten, den neuen Torhüter und seine Reisepläne im kommenden Sommer gesprochen.

Herr Luhukay, schauen Sie sich viele Fußballspiele an?

Natürlich. Nicht nur die Bundesliga. Ich bin viel in Holland unterwegs, mich interessiert die Europa League, mich interessiert die Champions League. Mich interessieren auch die Nationalmannschaften. Man stößt immer auf Erkenntnisse, die einem helfen können. Ich gucke zum Beispiel darauf, wie meine Kollegen reagieren, wenn ihre Mannschaft in Führung geht oder in Rückstand gerät, welche Wechsel sie dann vornehmen.

Haben Sie Borussia Dortmund auch live im Stadion beobachtet?

In dieser Saison leider noch nicht. Aber es ist nicht so, dass es für uns irgendwelche Geheimnisse im Spiel der Dortmunder gibt. Man kennt die Spieler von A bis Z, egal welche elf am Samstag auflaufen.

Für Ihr Team ist das Spiel ein emotionaler Höhepunkt zum Abschluss der Hinserie.

Absolut. Diese Atmosphäre, diese Emotionalität. Das letzte Mal war ich vorige Saison in Dortmund, in der Champions League gegen Ajax Amsterdam. 80 000 Zuschauer, so nah am Spielfeldrand. Das ist …, das ist: Gänsehaut. Das Stadion sucht seinesgleichen in Europa. Auf den Rängen spürst du jede Aktion, die auf dem Spielfeld passiert. Wobei ich sagen muss: Als Trainer kriegst du die Wellen, die da entstehen, gar nicht so mit. Du kannst das nur wenig genießen, eigentlich gar nicht. Weil du selbst total unter Spannung stehst und nur auf das Spiel fokussiert bist.

Die Dortmunder spielen einen Fußball, der perfekt zur Atmosphäre in ihrem Stadion passt: mit viel Euphorie, viel Aufwand – und auch viel Erfolg. Orientieren Sie sich mit Hertha ein bisschen an diesem Stil?

Überhaupt nicht. Man muss seine eigenen Vorstellungen haben, seine eigene Philosophie. Ich orientiere mich nicht an anderen Kollegen oder gegnerischen Mannschaften. Ich muss mich als Trainer nach dem richten, was ich an Qualität bei meiner eigenen Mannschaft vorfinde. Das ist mein Antrieb. Der Blick auf andere lenkt nur ab.

Wenn man sieht, wie Sie vor fünf Jahren mit Gladbach gespielt haben und heute mit Hertha, erkennt man schon Unterschiede.

Ich glaube nicht, dass der Unterschied so groß ist. Alle meine Mannschaften haben versucht, mutig zu spielen. Bei Hertha haben wir im Sommer gesagt: Wir wollen so, wie wir im vorigen Jahr in der Zweiten Liga erfolgreich waren, auch in der Bundesliga erfolgreich sein. Wir versuchen, hoch zu verteidigen, 30 Meter vor dem eigenen Tor. Vor einer Woche waren wir hinter Bayern München und Borussia Dortmund die Mannschaft, die die wenigsten Torschüsse und die wenigsten Torchancen zugelassen hat. Und ich behaupte, dass keine Mannschaft die Bayern in ihrem Stadion so gefordert hat, wie wir es getan haben. Robin Dutt …

… der Trainer von Werder Bremen …

... hat nach dem Spiel gegen uns gesagt, er habe in den letzten anderthalb Jahren eine klare Entwicklung bei uns gesehen, die er mit seinem Team auch nehmen will. Das habe ich als großes Lob aufgefasst.

Auf welchen Zeitraum ist diese Entwicklung bei Hertha angelegt?

Nicht nur kurzfristig, eher mittelfristig. Als ich mich für Hertha entschieden habe, war der Plan, in drei Jahren den maximal möglichen Erfolg zu erzwingen, also den Aufstieg zu schaffen und die Mannschaft in der Bundesliga etablieren.

Im Moment sieht es ganz gut aus.

Wenn man nur auf die Tabelle schaut – ja. Wir sind an den Europa-League-Plätzen dran, das ist sensationell. Aber es ist nicht realistisch, an den Europapokal zu denken. Aus wirtschaftlicher Sicht können wir in den nächsten beiden Jahren eigentlich gar nicht unter den ersten sechs landen. Die Mannschaften vor uns haben ganz andere Voraussetzungen. Wolfsburg kauft mal eben einen Luiz Gustavo für 17 Millionen Euro. Wir holen Hajime Hosogai. Das war der einzige Transfer, für den wir im Sommer Geld ausgegeben haben – und dann auch nur eine Million.

Die Transfers gingen trotzdem auf.

Das ist ein Glücksfall. Alle sechs Neuen haben uns geholfen, sowohl sportlich als auch finanziell, weil sie uns so gut wie kein Geld gekostet haben. Aber gelingt uns das noch einmal? Wenn wir diese Saison auf einem guten Tabellenplatz beenden, wird die Erwartung für die nächste Saison wahrscheinlich noch ein Stückchen höher sein. Ist das überhaupt möglich, mit dem was uns zur Verfügung steht? Reichen unsere Mittel, um qualitativ den nächsten Schritt zu gehen? Wir können nicht in einem Jahr zwei, drei oder vier Schritte machen. Das ist keine Schutzbehauptung. Das sind für mich Fakten.

"Ich weiß nicht, ob wir überhaupt Geld ausgeben können."

Ist die wirtschaftliche Situation nicht insofern von Vorteil, weil sie zu Sorgfalt zwingt?

Nehmen Sie mal unseren neuen Torhüter Rune Jarstein, den wir in dieser Woche verpflichtet haben. Natürlich ging das nur, weil sein Vertrag ausgelaufen und er ablösefrei auf dem Markt war. So eine Gelegenheit bekommt man wahrscheinlich kein zweites Mal. Das mussten wir einfach machen. Ohne Geld musst du kreative Lösungen haben. Vor der Saison haben wir unglaublich viel Zeit in die Kaderplanung investiert, in die Beobachtungen, die Gespräche mit den Spielern. Das wird im nächsten halben Jahr wieder so sein. Ich sage ganz ehrlich: Es geht wahrscheinlich wieder nur um ablösefreie Spieler. Ich weiß nicht, ob wir überhaupt Geld ausgeben können. Wenn doch, dann nur für einen Spieler. Oder höchstens zwei. Mit ganz begrenzten Summen. Wir müssen unglaublich sorgfältig sein. Und kreativ.

Wie der BVB. Der stand vor ein paar Jahren finanziell noch schlimmer da als Hertha jetzt – und hat viel richtig gemacht.

Das kann man nicht vergleichen. In Dortmund gibt es nur den BVB. In Berlin gibt es ein breites Spektrum von Vereinen, die auch auf Top-Niveau erfolgreich sind. Ob das Eishockey ist, Basketball oder Handball. Ein Fan oder ein Sponsor gibt aber nur einmal sein Geld aus, nicht zwei oder drei Mal. Vielleicht ist das auch ein Aspekt, dass es für Hertha BSC so schwierig ist, über Sponsoren die wirtschaftliche Situation deutlich zu verbessern.

Sehen Sie sich andere Berliner Teams an?

Im Fernsehen finde ich es sehr schön, auch mal was anderes als Fußball zu sehen. Ich mag Eishockey, war vor einigen Wochen zum ersten Mal bei Alba in der Halle und finde auch Handball sehr dynamisch. Aber ich komme viel zu selten dazu, mir das mal live anzuschauen.

Und wenn Ihre Frau nach Berlin kommt, was machen Sie dann?

Wenig. Meine Frau ist viel in der Stadt unterwegs. Ich warte zu Hause, und wenn sie mich anruft, treffen wir uns auf einen Kaffee und ein Stück Kuchen. Ich will mich nicht ständig in der Öffentlichkeit bewegen. Als Trainer von Hertha BSC erkennt dich in Berlin jeder, jeder spricht dich an. Am liebsten sitze ich irgendwo in einer Ecke, trinke einen Kaffee und lese meine Zeitung. Ich bin froh, wenn ich ein bisschen Ruhe habe.

Haben Sie Ihrer Frau schon erklärt, dass sie Ihren nächsten Sommerurlaub in Brasilien verbringen muss?

Nein, das würde ich mich heute auch noch nicht trauen (lacht).

Denken Sie denn darüber nach, zur WM zu fliegen?

Ich weiß es noch nicht. Ich war noch nie in Brasilien. Aber als bei der WM-Auslosung die Bilder aus den unterschiedlichen Spielorten gezeigt wurden, hat man schon einen kleinen Einblick bekommen. Ich kann mir gut vorstellen, warum Ronny gern in seine Heimat fliegt. Da scheint immer gutes Wetter zu sein.

Sie könnten Ronny in seiner Heimatstadt Fortaleza besuchen, ihn ein wenig auf Trab halten und sich auch noch das Gruppenspiel der Deutschen gegen Ghana ansehen.

Ich sage jetzt nicht Ja, aber auch nicht Nein. Vielleicht fliege ich wirklich spontan für ein paar Tage hin. Ich würde schon gern ein Spiel der Brasilianer erleben, nicht als Trainer, sondern als Liebhaber des Fußballs. Diese Atmosphäre im Stadion, mit viel Musik und viel Tamtam. Das ist schön. Ich kenne das nur aus dem Fernsehen, aber es muss toll sein: wenn man dabeisitzt und von der Stimmung mitgerissen wird. Wer weiß, vielleicht fange ich dann auch an, ein bisschen zu schaukeln.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

Stefan Hermanns, Michael Rosentritt

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