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Deutsches Traumpaar: Steffi Graf und Boris Becker strahlten 1989 mit ihren Siegertrophäen um die Wette. Becker holte danach in Wimbledon nie wieder den Titel, Graf gelang das immerhin noch fünfmal.
© dpa

9. Juli 1989 – der größte Tag des deutschen Tennis: Als Steffi Graf und Boris Becker gemeinsam in Wimbledon siegten

Vor 30 Jahren gewannen Steffi Graf und Boris Becker am selben Tag in Wimbledon. Heute ist ein Boom wie damals weit weg – trotz guter sportlicher Aussichten.

Boris Becker hat in seiner Karriere viele Trophäen gesammelt. Von einigen muss er sich in diesen Tagen allerdings verabschieden. Das Londoner Aktionshaus Wyles Hardy & Co versteigert noch bis zum 11. Juli insgesamt 82 Erinnerungsstücke des deutschen Tennisstars, darunter Pokale, Schläger und handsignierte Sportschuhe – sogar ein Paar Socken ist dabei. Wer will, kann mitbieten. Das Interesse sei riesig, berichtete Auktionator Terry Madden vor einem Jahr, als die Versteigerung schon einmal angesetzt war.

Damals konnten Beckers Anwälte den Ausverkauf noch stoppen, diesmal muss der mittlerweile 51-Jährige machtlos zusehen. Seit ihn ein Londoner Gericht 2017 für bankrott erklärt hatte, untersteht das Vermögen des Deutschen einem Insolvenzverwalter. Weil Becker seine Schulden nicht bezahlen konnte oder wollte, sollen die Gläubiger mit den Einnahmen aus der Auktion abgefunden werden – zumindest zum Teil. Becker bleiben anschließend nur noch die eigenen Erinnerungen an seine Großtaten auf dem Tennisplatz – davon gab es immerhin eine ganze Reihe.

Mehr noch, zusammen mit Steffi Graf hat er in den 1980er Jahren einen Tennis-Boom in Deutschland ausgelöst, den niemand für möglich gehalten hätte. Danach haben viele gehofft, die Euphorie würde über Jahrzehnte anhalten. Doch heute lässt sich sagen: So wie damals wird es wohl nie wieder werden. Obwohl deutsche Spieler wieder ganz oben angreifen, spielen so wenige Menschen hierzulande Tennis wie seit 1980 nicht mehr. Viele denken deshalb wehmütig zurück an die guten alten Zeiten.

Anders als Boris Becker muss sich Steffi Graf über die Zukunft ihrer Pokale keine Sorgen machen. So wichtig sind sie ihr ohnehin nicht. Vor ein paar Wochen ist sie 50 Jahre alt geworden, von einer rauschenden Party ist nichts bekannt. Sie gab keine Interviews, die Öffentlichkeit meidet sie so gut, wie es für eine Jahrhundertsportlerin wie sie möglich ist. Schon während ihrer Karriere war das so, Grafs Erfolge galten fast schon als Selbstverständlichkeit. Auch weil sie – anders als Boris Becker – die ganz großen Emotionen nicht auf dem Platz auslebte. Dabei gab es Zeiten, in denen Tennis-Deutschland davon geträumt hatte, dass die Champions Graf und Becker auch außerhalb ihres Sports zum Traumpaar werden würden.

Tatsächlich kamen sie sich am Abend des 9. Juli 1989 sehr nahe. Auf einer besonderen Dinner-Party im edlen Londoner Hotel Savoy wurden sie Arm in Arm und ins Gespräch vertieft gesichtet. Die traute Zweisamkeit hatte allerdings ihren Grund. Denn Stunden zuvor gewann zunächst Graf in Wimbledon den Einzeltitel bei den Frauen, und wenig später ließ Becker den Triumph bei den Männern folgen.

So saßen sie danach beim traditionellen Champions Dinner zusammen an einem Tisch, der von manchem erhoffte gemeinsame Tanz fiel allerdings aus. Nicht etwa, weil Graf über Beckers spätes Erscheinen verärgert gewesen wäre – angeblich wurden bereits die Vorspeisen wieder abgetragen, als der damals 21-Jährige auftauchte – sondern, weil es schon zu jener Zeit im hochherrschaftlichen London Rituale gab, die allgemein nicht mehr als zeitgemäß erachtetet wurden.

Das Wetter sorgt für einen einzigartigen Tag

Dass die Einzelfinals beim berühmtesten Tennisturnier der Welt damals überhaupt am selben Tag ausgetragen wurden, hatte mit dem Wetter zu tun. Normalerweise finden die Endspiele von Frauen und Männern am Samstag und Sonntag statt. Doch das Turnier vor 30 Jahren war ziemlich verregnet, weshalb Graf und Becker am 9. Juli nacheinander den Centre Court betraten – und ihn jeweils als Champions wieder verließen. So wurde jener graue Tag von London bis heute der wohl größte in der Geschichte des deutschen Tennissports.

Dass es irgendwann vielleicht eine Wiederholung gibt, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil der Centre Court in Wimbledon seit einigen Jahren über ein Dach verfügt. Und selbst für den Fall, dass es 14 Tage lang durchregnen würde an der Church Road hat der altehrwürdige Club Vorsorge getroffen. Inzwischen ist auch der zweitgrößte Platz der Anlage unabhängig vom englischen Schmuddelwetter.

Andererseits war die Tennis-Euphorie in Deutschland damals so groß, dass einige Verantwortliche dem Größenwahn zu verfallen drohten. „Es ist sicher noch eine Steigerung möglich“, sagte beispielsweise der damalige Präsident des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), Claus Stauder, nach dem doppelten Triumph. Und fügte hinzu: „Solche Champions wie Steffi und Boris werden nur alle zehn Jahre geboren.“

Inzwischen darf das als gewaltige Untertreibung gelten, aber in den Achtzigerjahren verfielen viele Deutsche einem Sport, der vorher in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle gespielt hatte. Tatsächlich folgte ein erneutes Double schon zwei Jahre später, als Steffi Graf und Michael Stich ebenfalls beide im Einzel von Wimbledon triumphierten – allerdings nicht am selben Tag.

Wimbledon läuft nur noch im Bezahlfernsehen

Nach mehr als einem Jahrzehnt voller Höhepunkte kühlte das Verhältnis der Deutschen zum Tennis fast bis auf den Gefrierpunkt ab, trotz eines sportlichen Aufschwungs in jüngster Zeit. Dass der Rasenklassiker in diesem Jahr hierzulande wieder nur im Bezahlfernsehen zu verfolgen sein wird, löst deshalb kaum mehr als ein Schulterzucken aus.

1989 mussten sich ARD und ZDF hingegen massiver Proteste erwehren. Die Rechte für Wimbledon hatte sich der noch recht junge Privatsender RTL plus gesichert, der allerdings nur in etwa der Hälfte der deutschen Haushalte zu empfangen war. Trotzdem schalteten noch zehn Millionen Menschen die Übertragung am 9. Juli ein. Gerd Szepanski, der damals das Männerfinale kommentierte, sprach später in dieser Zeitung vom „Durchbruch des Privatfernsehens in Deutschland“.

Wer damals nicht zuschauen konnte, musste improvisieren. In Berlin zum Beispiel mit Hilfe des US-Soldatenfernsehens AFN und BBC Radio. Während auf dem Bildschirm die Wimbledon-Finals ohne Ton liefen, kam aus London der Kommentar dazu via Radioempfänger. Dass Bild und Live-Reportage dabei nicht synchron liefen, war zu verschmerzen.

Hoffnungsträger: Angelique Kerber geht als Titelverteidigerin ins Wimbledon-Turnier 2019, Alexander Zverev als amtierender ATP-Weltmeister.
Hoffnungsträger: Angelique Kerber geht als Titelverteidigerin ins Wimbledon-Turnier 2019, Alexander Zverev als amtierender ATP-Weltmeister.
© Tony McDonough/dpa

Goldene Zeiten, die längst Geschichte sind. Auch für den Verband. Der DTB hat seit der Ära von Graf und Becker fast die Hälfte seiner Mitglieder verloren und steht inzwischen bei 1,4 Millionen aktiver Tennisspieler – so wenige wie seit 1980 nicht mehr. Dabei gibt es vor dem Start des Wimbledon-Turniers 2019 am Montag durchaus Anlass zur Hoffnung. Immerhin stellt Deutschland mit Angelique Kerber die Titelverteidigerin bei der 133. Auflage der All England Championships. Und mit Alexander Zverev kommt der amtierende ATP-Weltmeister der Männer ebenfalls aus deutschen Landen.

Die Vorzeichen sind damit genauso wie 1989 beim historischen Triumph von Becker und Graf. Dass Kerber und Zverev ein solcher Coup 30 Jahre später ebenfalls gelingt, ist allerdings nicht nur wegen der beiden regensicheren Hauptplätze auf der Anlage von Wimbledon zweifelhaft.

In diesem Jahr gehört Angelique Kerber zu den Favoritinnen

„Wer weiß, ob das noch mal passiert. Ich hoffe natürlich“, sagte Kerber kürzlich in einer ZDF-Dokumentation über Steffi Graf. Immerhin sie darf sich berechtigte Hoffnungen auf den Siegerpokal machen. Auch wenn die vergangenen Monate eher nicht nach Wunsch verliefen, gehört sie zu den Favoritinnen.

Für Alexander Zverev gilt das in diesem Jahr sicherlich noch nicht. Auch wenn er mit einem guten Gefühl nach London reist. Schließlich hat er dort im November seinen bisher größten Erfolg mit dem Sieg beim ATP-Finale gefeiert – wenn auch nicht auf Rasen, sondern unter dem Hallendach der Multifunktionsarena von North Greenwich, ein gutes Stück nordöstlich vom Wimbledon-Club. Seither allerdings erlebt er eine kleine, bis mittlere Schaffenskrise, immerhin zeigte die Tendenz zuletzt wieder leicht nach oben.

Dass Zverevs Name irgendwann auf dem Wimbledon-Pokal steht, ist durchaus möglich. Aber es ist immer so eine Sache mit den Erwartungen. Dass Becker 1989 zum dritten und letzten Mal den Titel holen würde, hatte er damals selbst nicht gedacht: „Ich habe mir den Pokal heute noch einmal genau angesehen. Da ist noch viel Platz für meinen Namen“, scherzte er seinerzeit beim Champions Dinner. Andererseits muss er somit auch nicht befürchten, dass noch mehr Schätze aus seinem Trophäenschrank versteigert werden.

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