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Talent von langer Hand. Alexander Zverev spielt schon vergangenes Jahr in Hamburg.
© dpa

Tennis in Hamburg: Alexander Zverev, der neue Boris Becker?

Der 17-Jährige Alexander Zverev überrascht beim Turnier in seiner Heimatstadt und könnte der neue Boris Becker werden.

Hierzulande kennt man sich bestens aus mit 17-Jährigen, die die Tenniswelt aus den Angeln heben. Boris Becker hatte seinerzeit als junger, rot-blonder Schlaks den Rasen von Wimbledon erobert. Und seither hoffen die Deutschen irgendwie immer noch sehnsüchtig auf den nächsten Teenager, der ihnen die größten Trophäen gewinnt. Außer vielleicht Boris Becker, der sich lieber nicht sein Renommee als jüngster Wimbledonsieger aller Zeiten streitig machen lassen will – von diesem Ruf lebt er schließlich nicht schlecht. Und zumindest in diesem Jahr konnte Becker aufatmen, denn in Wimbledon gewann sein eigener Schützling Novak Djokovic und eben kein 17-Jähriger aus Deutschland.

Doch allzu sicher sollte sich Becker lieber nicht fühlen, denn Alexander Zverev ist einer, der sehr bald in seine Fußstapfen treten könnte. Und auch wenn es nicht Beckers Wohnzimmer in Wimbledon war, so hat Zverev bereits sein persönliches Wohnzimmer, den Hamburger Rothenbaum, im Sturm erobert. Und wenn man die gewaltigen Sprünge sieht, die dieser Teenager bei seinen ersten Gehversuchen auf der Profitour macht, will Zverev die Tenniswelt offenbar mit Siebenmeilenstiefeln erstürmen – beim Traditionsturnier in Hamburg steht er sensationell im Viertelfinale.

Der Centre Court in der Hansestadt hatte ganz ihm gehört, zum dritten Mal in dieser Woche. Ihm, dem gerade erst 17-Jährigen, der gespielt hatte wie ein Großer. Santiago Giraldo stand ihm gestern gegenüber. Der Kolumbianer ist 26 Jahre alt, die Nummer 32 der Welt und spielt am liebsten auf Sand. Doch die Freude verging ihm sehr schnell, denn dieser freche, furchtlose Teenager, die Nummer 285, führte ihn phasenweise vor. Nach nicht einmal zwei Stunden war die Sensation perfekt: Der 1,95 Meter große Zverev riss glücklich seine dünnen Arme in die Höhe und genoss für einen Moment den Jubel der 5000 Fans. „Ich weiß nicht, ob ich träume“, meinte der Deutsch-Russe, der ein echter Hamburger Jung ist, nach seinem 6:4 und 7:6-Sieg. „Aber ich glaube, ich habe relativ gut gespielt.“

Michael Stich gab ihm einen Fünfjahresvertrag

Zverev wirkt bei allem, was er tut, so abgeklärt, unaufgeregt und souverän wie einer, der seit Jahren dabei ist. Im Grunde ist er das auch, denn er hat seinen neun Jahre älteren Bruder Mischa immer mit seinen Eltern auf der Tour begleitet. Ihm ist diese Tenniswelt von klein auf vertraut, und vielleicht nimmt er sie deshalb so unerschrocken wahr. Anstatt auf die Fehler des Gegners zu warten, sucht er mit seiner aggressiven Spielweise selbst den Abschluss. Im letzten Jahr war Zverev die Nummer eins bei den Junioren und gewann im Januar den Titel bei den Australian Open. In den letzten Wochen haben sie auch auf der Profitour gelernt, diesen Teenager besser ernst zu nehmen.

Dass er seit Jahren als größtes deutsches Talent gehandelt wird, weiß Zverev natürlich, aber das will er gar nicht hören. Auch nicht, dass Bundestrainer Carsten Arriens ihn für überragend hält oder Altmeister John McEnroe über ihn sagt, er könne ein ganz Großer werden. Auch Hamburgs Turnierdirektor Michael Stich weiß um das „definitiv große Potenzial“, deshalb gab er Zverev nicht nur eine Wildcard, sondern als sein Mentor auch einen Fünfjahresvertrag.

Vergleiche mit Becker und Stich bügelt Zverev als „totalen Schwachsinn“ ab, doch er ist ein Siegertyp. Der Titel beim Challenger-Turnier vor zwei Wochen in Braunschweig war der erste Beweis. Nun ist Zverev der jüngste Spieler, der in dieser Saison ein Match auf Tour-Level gewann und der erste 17-Jährige seit zehn Jahren, der einen Top-20-Spieler (Michail Juschni, 2. Runde) bezwang. Der Rothenbaum hat einen neuen Liebling, das Turnier vielleicht seinen ersten deutschen Sieger seit Stich 1993. „Ich liebe einfach die große Bühne“, sagte Zverev – und wirkte ganz in seinem Element.

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