Sport: Afrika, wir sind da
Stumpf und stampfend: Viele Songs zur Weltmeisterschaft lassen sich bloß mitgrölen – Hoffnung kommt aus Kolumbien und Hamburg. Welches ist Ihr Lieblingsfußballlied?
Oliver Pocher kann nicht singen, also hat er sich Verstärkung geholt. In seinem frisch erschienenen WM-Song „2010: Wir gehen nur zurück, um Anlauf zu nehm’“ liegt ein Klangteppich aus Stadiongejohle unter seiner dünnen Stimme – die dafür umso dicker aufträgt: „Und die Fahnen werden weh’n, mit dem Wind über das Land, und am Brandenburger Tor reichen wir euch dann die Hand“.
Fanmeile, Sommermärchen, Schland- schland – an diese Erinnerungen will Pochers Lied anknüpfen. Musik und Text des schrummelnden Rockstücks sind so simpel, dass auch ein stark alkoholisiertes Publikum keine Schwierigkeiten haben dürfte, den Refrain zu behalten: „Zweitausendzehn, Zweitausendzehn, Zweitausendzehn werden wir die Elf wie ’54 spielen sehn, Zweitausendzehn, Zweitausendzehn, Zweitausendzehn werden wir mit gold’nem Pott nach Hause gehn.“ Und jetzt alle.
Jede Weltmeisterschaft hat ihre Lieder. 2002 bewegte der Hit „Ohne Holland fahr’n wir zur WM“ die Massen, vier Jahre später waren es Herbert Grönemeyers „Zeit, dass sich was dreht“, Xavier Naidoos „Dieser Weg“ und natürlich „54, 74, 90, 2006“ von den Sportfreunden Stiller – das gegen Turnierende so pragmatisch wie optimistisch zu „54, 74, 90, 2010“ umgedichtet wurde, also immer noch gültig ist. Auch Oliver Pocher hat damals ein zu Recht vergessenes Lied veröffentlicht, ein weiteres folgte zur EM 2008 – und nun eben das dritte.
Leider sticht „2010“ weder aus Pochers eigenem Werk noch aus dem übrigen Angebot der WM-Songs heraus, die derzeit auf den deutschen Markt stürmen. Auch Pochers Moderatorenkollege Elton bringt Ende Mai zusammen mit dem Sportfreunde-Stiller-artigen Jungsrocktrio Peilomat einen WM-Song heraus. Er heißt – Überraschung – „Weltmeister“, stampft und stumpft in bereits von Pocher gewohnter Manier, und die Sänger singen von Wundern, großen Träumen und dem „Cup der guten Hoffnung“. Aua. Das abgenutzte Pathos garniert die Combo mit Umkleidekabinenhumor: „Dieses Jahr werden selbst unsere Mädels endlich die Sache mit dem Abseits verstehen.“ Na dann. Als Refrain dient dann die leicht zu merkende Beschwörungsformel: „Wir werden wieder Weltmeister sein, wir werden wieder Weltmeister sein, ja, wir werden Weltmeister sein.“
Mitgröltauglichkeit scheint in der WM-Liedermacherszene das Hauptkriterium zu sein, davon zeugen die unzähligen Stücke, die auf Internet-Videoportalen wie Youtube zu finden sind. In den Clips dominieren selbstbewusste Musikamateure im schwarz-rot-goldenen Dress, plump voranmarschierender Viervierteltakt, vorhersehbare Reime, austauschbare Titel: „Afrika, wir sind da“, „Deutschland ist da“, „Auf geht’s, Deutschland“, „Wir sind Fußballdeutschland“, „Weltmeista“, „Weltmeister Jungs“, „So sehen Sieger aus“.
Wenn in einer solchen Lage Frank Dellé, Sänger der Berliner Dancehallformation Seeed, ebenfalls ein Lied zu Südafrika ankündigt, sollte dies Anlass zur Hoffnung geben. Umso größer die Enttäuschung, dass Dellé mit dem durchaus in die Beine gehenden „Cry Out WM 2010“ lediglich einen bereits im August 2009 erschienenen Song neu betextet hat – und außerdem einräumt, dass er mit Fußball eigentlich wenig am Hut hat: „Hab nicht viel Plan von Löw und Kahn, ist mir egal, will zur WM nach Afrika.“ Diesen Wunsch konnte ihm das Goethe-Institut erfüllen: Am 21. Juni soll der ghanaischstämmige Sänger in Johannesburg auftreten. „Ich kann’s schon sehen, wie wir da stehen, jetzt werden meine Träume wahr.“ Dabei sein ist für Dellé offenbar alles.
Schließlich ist jedes WM-Lied nur eines von vielen. Die ARD hat einen eigenen Turniersong, ebenso die Europäische Gesellschaft für Musik. Der offizielle Song der Fifa stammt – wie bereits vor vier Jahren – von der kolumbianischen Sängerin Shakira. „Waka Waka (This Time for Africa)“ hat sie zusammen mit der südafrikanischen Band Freshlyground aufgenommen. „Waka Waka“, was so viel bedeutet wie „schnell loslaufen“, verbindet großen MTV-Pop wirkungsvoll mit einheimischen Melodien. Der Refrain zitiert das Lied „Zangalewa“ der Kameruner Band „Golden Sounds“, einen Partyhit in vielen Ländern Afrikas. Im Gegensatz zu vielen deutschen „Weltmeister“-Stücken, die afrikanische Rhythmen höchstens als folkloristisches Intro zitieren, ist „Waka Waka“ wohltuend leichtfüßig. Mitgrölen unmöglich, Mitschwingen unvermeidlich – Shakiras Hüften lügen nicht.
Vielleicht ist es ein Vorteil, dass ihr Lied auf einer allgemeinen Ebene ansetzt, beim Kribbeln, beim Sport: „This is your moment, no hesitation“ – dies ist dein Moment, zögere nicht. Auch Shakira scheut kein Pathos, mengt sogar den lieben Gott in ihren Text, geht aber wesentlich subtiler vor als ihre deutschen Sangesbrüder. Obwohl es auch hier Ausnahmen gibt.
Eine von ihnen ist die weithin unbekannte Hamburger Indie-Band Steinfisch. Ihr Stück „Weiter Abschlag“ ist zwar schon vier Jahre alt, wurde aber weder bei der letzten Welt- noch der vergangenen Europameisterschaft angemessen wahrgenommen. Zu Unrecht – ist es doch eines der eindringlichsten, emotionalsten Fußballlieder deutscher Sprache. „Was kann es Schöneres geben als die Ruhe vor dem Sturm, sich die Stollen anzulegen und aus der Abwehr mit nach vorn“, heißt es darin. Und: „Komm, lass uns sehen, wer hier heute gewinnt, wenn der Boden noch tief ist vom Regen“ – auch dieser Song kommt nicht ohne den Verweis auf das verregnete Finale von 1954 aus. Stört aber nicht: Begeisterung, Bescheidenheit, Textgefühl und Sinn für Melodie – das ist pokalverdächtig.
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