zum Hauptinhalt
Wellblechpalast
© dpa

Wellblechpalast: Adieu, altes Haus

Berlin verabschiedet sich von einer Halle im Osten, deren Mythos erst vom Westen ermöglicht wurde.

Gut möglich, dass Volker Göde heute zum letzten Mal seine Beschallungsbude aufbaut, zwischen Containern und dem riesigen aufgeblasenen Eisbär den Disk-Jockey spielt. Wie vor jedem Heimspiel der Eisbären wird der kräftige Mann mit markiger Stimme vor der Halle im Sportforum Hohenschönhausen rufen: „So Freunde, noch 20 Minuten, dann ist Bully-Time.“ Die Eishockeyfans werden den Geruch der Bier- und Bratwurstbuden zurücklassen und sich auf die engen Ränge drängeln, um die Eisbären im Halbfinale der Play-offs spielen zu sehen. Verlieren sie gegen Düsseldorf, wird es ein Abschied aus der alten Halle. Ab kommende Saison werden sich nicht mehr 5000 Fans auf Stehtribünen oder Plastiksitze quetschen müssen, in die neue Arena am Ostbahnhof passen 14 200 Zuschauer, vorwiegend auf Polstersesseln.

Der Abschied vom „Wellblechpalast“: Unter diesem Namen kennt man in Berlin die 1958 als offenes Stadion errichtete Arena. Es wird ihr oft eine lange Tradition nachgesagt und dabei eines übersehen: Ihre eigentliche Geschichte beginnt nach der Wende. Den euphemistischen Namen bekam die Halle erst im neuen Deutschland, ein Journalist taufte sie wegen ihres Blechdachs so. Die Geschichte der Arena im Osten wurde vor allem vom Westen geprägt. Die DDR-Oberen reduzierten Eishockey 1970 auf eine Miniliga mit zwei Klubs. Eishockey blieb in Weißwasser populär, im Sportforum bei Dynamo Berlin dagegen, erinnert sich Torwart René Bielke, „konnten wir die Fans oft mit Handschlag begrüßen“. Nur bei Europacup- Spielen war mehr los. Michael Lachmann, Autor des Buches „Wellblechpalastgeschichten“, sah 1977 zum ersten Mal ein Spiel in der Halle. Er erinnert sich an 200, vorwiegend ältere Zuschauer auf Holzbänken. „Es gab Bockwurst mit Brot und auf den halbleeren Gängen roch es nach Zigarettenqualm der Marke Cabinet.“

Erst als der Klub 1990 in die Bundesliga aufgenommen wurde, entstand Fankultur. Doch sportlich musste Dynamo absteigen, um aufzusteigen: Hilfe kam aus dem Westen. Da war der Immobilienhändler Helmut Berg, der Präsident wurde und Geld mitbrachte. Und da war West-Berlins Eishockeyidol Lorenz Funk. Der Bayer mit barocker Figur wurde 1991 Manager, setzte mit Berg 1992 zum Wiederaufstieg die Umbenennung in „Eisbären“durch. Funk machte sich gegen DDR-Fahnen auf den Rängen stark, warb Sponsoren ein und sorgte für außergewöhnliches Fluidum in Hohenschönhausen. Im Vip-Raum gab es Leberkäs, an der Wand hing ein Bild von Franz Josef Strauß. Der gewitzte Funk nutzte die Chancen des Bosman-Urteils. Mit einer kanadisch-schwedischen Auswahl kamen die Eisbären 1998 ins Finale der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Dass mit Sven Felski nur ein Ostdeutscher mitspielte, störte die Fans wenig. Sie sahen ihr Team als Gegenentwurf zu dem, was sonst nach der Wende passierte: Während ein Ostklub nach dem anderen absackte, überholten die Eisbären den ungeliebten Rivalen aus Charlottenburg. Noch heute singen Eisbären- Fans, dass sie die Preussen hassen, obwohl es die nicht mehr gibt, noch immer rufen sie: „Ost-Ost-Ost-Berlin“. Die Stimmung in der enge Halle mit den hereingepferchten Tribünen gilt als legendär. Oscar-Preisträger Pepe Danquart war so fasziniert von ihr, dass er 1999 in seinem Dokumentarfilm „Heimspiel“ ein – etwas verklärtes – Stimmungsbild der Eisbären einfing. Denn die waren längst pleite. Geschäftsführer Martin Müller musste einige Konkursanträge abwenden – bis wieder Rettung aus dem Westen kam. Philip Anschutz, Milliardär aus Denver, kaufte die Eisbären im September 1999.

Anschutz trat mit dem Vorhaben an, eine Multifunktionsarena in Berlin zu bauen. Sein Einstieg bei den Eisbären war der angekündigte Abschied vom Wellblechpalast – was DEL-Spiele betrifft. Trainieren werden die Eisbären weiter dort. Am Ostbahnhof wollen sie dann in der Gegenwart der DEL ankommen: In Köln, Mannheim oder Hamburg wird längst in Großarenen gespielt. Das zünftige Eishockey in alten Hallen verschwindet mit dem Wellblechpalast wieder ein Stück. Nicht alle Fans werden das begrüßen. So wie das eben ist, wenn ein Wirt die Stammkneipe zumacht, um in ein größeres Lokal umzuziehen.

Zur Startseite