Bob-WM: Achterbahn im Eiskanal
Bei der Bob-WM wollen die Deutschen das miserable Abschneiden bei Olympia und den Materialstreit vergessen machen. Ein Besuch im Forschungszentrum.
Am Hintern fühle er es, sagt Francesco Friedrich. Da spürt er am stärksten, wie der Bob reagiert. Ob das Gerät auf der Ideallinie hinunterfährt oder ob er mit den Lenkseilen korrigieren muss. Popometer nennen das die Piloten. Wieso sich Friedrich so sehr auf sein Hinterteil verlassen muss, wird deutlich, wenn er erzählt, wie es sich anfühlt durch einen Eiskanal zu rauschen. „Wie Achterbahnfahren ist das“, sagt der Weltmeister im Zweierbob. Der Bob-Bundestrainer Christoph Langen hält das noch für sehr untertrieben. „Das ist wie Achterbahnfahren mal zehn – und mit der Ungewissheit, ob der Wagen hält.“
Mit Höchstgeschwindigkeiten von 130 bis 145 Kilometer pro Stunde rast der Bob die enge Bahn hinunter. Man wird durchgerüttelt, in den Bob gedrückt, hineingepresst. Den eigenen Körper kann man kaum noch kontrollieren. Die Kräfte, die auf einen wirken, sind immens. Ständig spürt man die Schläge und Vibrationen der Eisbahn. In den Kurven rauscht der Bob wie an einer Wand entlang. Zwischenzeitlich kann er die fünffache Erdbeschleunigung erreichen. Und die Kurven fliegen nur so auf einen zu.
„Man denkt nicht während der Fahrt“, betont Friedrich. Dafür sei keine Zeit, man müsse ich auf seinen Instinkt verlassen. „Es gehört sehr, sehr viel Gefühl dazu“, sagt er. Bobfahren ist ein Spiel mit der Fliehkraft, und ein Spiel mit der Gefahr. Es ist die Formel 1 des Winters. „So etwas kann man im normalen Leben nicht erleben“, betont Bundestrainer Langen. „Das ist wie eine Sucht.“
Friedrich will seinen WM-Titel im Zweierbob verteidigen
Am Donnerstag beginnt in Winterberg die Weltmeisterschaft dieser Süchtigen mit den feinfühligen Hintern. Friedrich will seinen Titel im Zweierbob verteidigen. Und im Vierer hofft er auf eine Medaille. Um das zu erreichen, muss allerdings deutlich mehr funktionieren als nur das Popometer. Es zählt auch ein Faktor, bei dem Gefühl kaum eine Rolle spielt: das Material. Und dieser Bereich wird weitab der Eiskanäle verantwortet, in Berlin-Oberschöneweide. Dort, in einem Gewerbegebiet nahe der Spree, befindet sich das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). Das FES konstruiert und betreut die deutschen Bobs – und dabei kommt es eben weniger auf das Feingefühl an als auf exakt messbare Daten. Es geht um Excel-Listen, Tabellen, Diagramme, Spannungsrechungen und 3-D-Animationen.
Michael Nitsch sitzt vor zwei großen Bildschirmen in seinem Büro. Der 49-Jährige ist der Projektleiter Bob beim FES und analysiert gerade die Zeiten der vergangenen Weltcup-Rennen. Er vergleicht die Zwischenzeiten der besten Piloten. Verliert ein Bob plötzlich ungleichmäßig Zeit, liegt es an einem Fahrfehler. Verliert er gleichmäßig Zeit, dann liegt es wahrscheinlich am Material. Und dann muss Nitsch mit seinen Kollegen ran und den Materialnachteil ausbügeln. Das Problem ist nur: „Ein Bob ist ungeheuer kompliziert mit endlos vielen Komponenten“, betont der Maschinenbau-Ingenieur.
In Sotschi gingen die deutschen Bobs leer aus
Aus etwa 500 Teilen besteht ein Bob. Dort den Fehler zu finden, lässt Nitsch oft verzweifeln. Wie viel Dämpfung braucht man? Wie viel Federung? Was verändert man an den Kufen, am Fahrwerk oder an der Aerodynamik? „Da kriegt man die Krise, man kann nie durchatmen“, sagt Nitsch. „Es ist eine ständige Suche.“ Alles, damit die Bobs noch ein paar Hundertstelsekunden schneller unterwegs sind.
Doch genau das misslang vor einem Jahr. Bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi blieben die deutschen Bobs zum ersten Mal seit 50 Jahren ohne Medaille. Die Piloten und Trainer hatten die Ursache dafür schnell gefunden. Für sie war das Material schuld an den enttäuschenden Ergebnissen. Das FES gehe zu wenig auf die Wünsche der Athleten ein und sei zu unflexibel, lauteten die Vorwürfe. Die Verantwortlichen im FES hat das schwer getroffen. „Das stimmt einfach nicht“, sagt Nitsch. „Wir haben Wochenenden durchgearbeitet – oder am zweiten Weihnachtsfeiertag.“
Bundestrainer Langen findet jedoch, dass das vom Staat geförderte Institut oft in zu starren Vorgaben gefangen ist. „Es dauert eben alles etwas“, sagt er. Aber so unzufrieden er nach Olympia war, ein anderer Partner für den Deutschen Bob- und Schlittenverband (BSD) anstelle des FES kam für ihn nicht infrage. „Wir sind doch jahrzehntelang super gemeinsam gefahren“, betont er.
Beim Start will Langen noch Zeit herausholen
Beide Seiten wollen nun einiges zu besseren Ergebnissen beitragen. Die Trainer und Piloten wollen mehr kommunizieren. Das FES will die neuen Bobmodelle in Zukunft früher fertigstellen, die nächsten 2017 im vorolymischen Jahr. Doch auch kurzfristig wurden neue Schritte bei der Zusammenarbeit vereinbart. So wurde eine AG Technik gegründet, zu der fünf Vertreter des Verbands gehören und drei des FES. Der Austausch verläuft also noch intensiver. Und das macht sich schon bei den Weltcup-Ergebnissen dieser Saison bemerkbar. Francesco Friedrich liegt in der Zweierbob-Gesamtwertung auf Platz drei. Maximilian Arndt ist Zweiter in der Vierer-Rangliste. „Das beweist: Die Bobs von Sotschi können nicht so schlecht sein“, sagt FES-Direktor Harald Schaale zufrieden. „Und es zeigt: Es ist nicht richtig, mit dem Finger nur auf uns zu zeigen.“ Schaale verweist darauf, dass das Material beim Bobfahren eben nur einer von drei Faktoren sei. Hinzu komme der Start und die Fahrweise.
Besonders beim Start will Langen noch einiges an Zeit herausholen. „Die Athletik ist so wichtig – mit mehr Schnellkraft und Maximalkraft ist man entscheidende Hundertstelsekunden schneller“, sagt er. Bobpiloten und ihre Anschieber sind durchtrainierte Topathleten mit einem Körperfettanteil von weniger als zehn Prozent. „Die Belastungen sind schon extrem“, sagt Friedrich, der vom Mehrkampf in der Leichtathletik zum Bobsport kam.
Wenn all die Kraft dann aber auf das Renngerät übertragen ist, geht es wieder nur noch um das Gefühl, das Fahrgefühl. „Oft ahne ich nur, dass ich die Lenkseile berühre“, betont der 24-jährige Friedrich. „Man darf so wenig steuern wie möglich.“ Jedes noch so geringe Querstellen der Kufen ist wie ein Abbremsen. Während der Fahrt muss der Pilot ständig kleine Fehler ausgleichen. Die eine Ideallinie existiert nicht, man muss immer zwei bis drei Spuren im Kopf haben. Einiges zu beachten also bei fünffacher Erdbeschleunigung. „Aber irgendwann macht es klick“, sagt Friedrich. „Und dann ist es wie Autofahren.“ Nur eben wie im Looping.
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