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Marko Stamm führt die Wasserfreunde Spandau 04 ins Finale
© imago/Camera 4

Wasserfreunde Spandau 04: Absolute Spitze - und keiner kriegt's mit

In der Schule saß Marko Stamm neben Jerome Boateng. Der Fußballspieler verdient heute beim FC Bayern Millionen. Der Berliner kann von seinem Sport gerade mal leben. Dabei ist kaum jemand erfolgreicher als die Spandauer Wasserballer.

Das Spiel ist längst entschieden, als Marko Stamm sich noch einmal aufbäumt. Er lässt den Ball über dem Kopf kreisen, wie ein Cowboy das mit seinem Lasso macht. Eine kleine Ewigkeit scheint er im Wasser zu stehen, obwohl es knapp zwei Meter tief ist und ganz bestimmt keine Balken hat. Kurze Täuschung nach links, nach rechts, nochmal links, alles begleitet von Attacken eines Gegners. Erlaubt ist, was der Schiedsrichter und die anderen nicht sehen. Am Ende des Manövers geht der Torwart in die rechte Ecke, aber da hat Stamm den Ball längst weitergespielt, mitten durch zwei verdutzte Verteidiger, den Rest erledigt ein Kollege vor dem leeren Tor.

Sie arbeiten wie die Profis, verdienen fast nichts

„Ich mach’ halt gern mal die verrückten Sachen“, erzählt Marko Stamm später. Als sei es nicht verrückt genug, Wasserball zu spielen. Wasserballer arbeiten härter als die teuersten Fußballprofis und verdienen ungefähr so viel wie eine Kassiererin bei Aldi. Selbst wenn sie so erfolgreich sind wie die Wasserfreunde Spandau 04.

In diesen Tagen spielen sie gegen Waspo Hannover mal wieder um die Deutsche Meisterschaft. Alter Adel gegen neureichen Emporkömmling. Das erste von maximal fünf Spielen ging vor einer Woche in Hannover mit 11:5 an die vom Kapitän Marko Stamm angeführten Spandauer, das zweite in Berlin gewannen sie 12:11 nach Fünfmeterwerfen. Im dramatischen dritten Finalspiel haben sie tatsächlich verloren. Sollten sie am Mittwoch in Hannover siegen, müsste der Briefkopf um einen 36. Titel erweitert werden.

Berlins Sportfans haben lange Zeit auf Herthas Qualifikation für die Champions League gehofft, auf einen Aufstieg von Union, einen Europapokalsieg der Füchse. Alles nichts geworden. Am Ende muss es Spandau richten, wie eigentlich immer, die Wasserballer sind erfolgreicher als Hertha, Union und die Füchse zusammen. Wer sie als Äquivalent zu den Fußballspielern von Bayern München bezeichnet, macht sich der groben Untertreibung schuldig. Im Wasserball hieß der Meister seit 1979 dreimal nicht Spandau. Seit Jahrzehnten gehören die Wasserfreunde zu Berlin wie Bolle und Bier. Und doch bekommt es kaum einer mit, daran würde auch eine 36. Meisterschaft nicht viel ändern.

Der Gründungsmythos hat einen Namen: Hagen Stamm

Ursachenforschung am anderen Ende von Berlin, weit weg von Spandau im Neuköllner Stadtteil Britz. „Gehen Sie schon mal vor in den Garten, ich hab’ noch ein bisschen zu tun“, sagt Hagen Stamm, gleich wird die neue Waschmaschine geliefert. Dabei ist der Mann knapp zwei Meter groß, seine Schultern passen kaum durch den Türrahmen. Er hätte die Waschmaschine auch eigenhändig nach Hause tragen können.

Hagen Stamm steht für den Gründungsmythos des Spandauer Wasserballwunders, für die Erfolge der ersten Generation, bevor die zweite mit seinem Sohn Marko übernommen hat. In der kommenden Woche feiert er seinen 57. Geburtstag. Das Haar ist angegraut, und ein paar Kilo zugelegt hat er auch. Und doch ist er bis heute das Gesicht eines Vereins, den jeder kennt und kaum einer wahrnimmt. In seiner aktiven Zeit gab es weltweit nicht viele bessere Wasserballspieler als den blonden Riesen aus Spandau. In 323 Länderspielen hat er um die 750 Tore geworfen, so genau weiß das keiner. Er hat vier Europapokale gewonnen, 14 Deutsche Meisterschaften und 12 Pokale. Mit der Nationalmannschaft war er zweimal Europameister und holte 1984 in Los Angeles die olympische Bronzemedaille. Hagen Stamm ist in der ganzen Wasserballwelt bekannt, „geht ja auch nicht anders bei dem bescheuerten Namen. Bei mir denken alle gleich an den Mörder von Siegfried“, auch wenn der dunkles Haar trug und einen Vollbart.

 Hagen Stamm holte seinen Sohn Marko 2008 ins Natiopnalteam.
Immer am Ball. Hagen Stamm holte seinen Sohn Marko 2008 ins Natiopnalteam.
© picture-alliance/ dpa

Hagen Stamm war Spandau und Spandau war der deutsche Wasserball, daran hat sich nicht so viel geändert, obwohl er bereits vor 25 Jahren aus dem Wasser kletterte, um sich seiner Fahrradfirma zu widmen. Seit 1994 steht er den Wasserfreunden als Präsident vor, dazu hat er als Bundestrainer die Nationalmannschaft zweimal zu Olympischen Spielen geführt. 2012 trat Stamm zurück, ließ sich aber vor ein paar Wochen zu einem Comeback überreden. Zunächst auf ehrenamtlicher Basis, was es wahrscheinlich nirgendwo sonst auf der Welt gibt und in keiner anderen Sportart. Inzwischen hat er eine halbe Bundestrainerstelle, mehr gibt der Etat nicht her. Was macht das ungefähr brutto? Hagen Stamm überlegt kurz und schüttelt die graublonde Mähne. „Ich fürchte, das darf ich nicht verraten. Aber ich glaube nicht, dass Sie für dieses Geld arbeiten würden.“ Spandaus Etat liegt für diese Saison bei 600 000 Euro, der vom FC Bayern bei 360 Millionen. Hagen Stamm sagt, damit könnte er Wasserball für die nächsten 100 Jahre finanzieren.

Sie haben ihren Sport zu Tode gesiegt

Dem deutschen Wasserball geht es schlecht, trotz der großartigen Spandauer und vielleicht auch ein bisschen wegen ihnen. Sie haben ihren Sport zu Tode gesiegt. In der Fußball-Bundesliga ist auch mal Bremen, Wolfsburg, Stuttgart oder Dortmund Meister geworden. Wasserball ist der Sport, in dem immer Spandau gewinnt.

Das ist bei den Play-offs der gerade ausklingenden Saison nicht anders. Im Viertelfinale hatten es die Spandauer mit Bayer Uerdingen zu tun. Das erste Spiel gewannen sie auswärts 16:7. Zum zweiten reiste Uerdingen nach Berlin und verlor 1:22. „Für so etwas gibt doch kein Zuschauer Geld aus“, sagt Marko Stamm.

In Mathe hat Boateng immer gesagt: „Das muss mich nicht interessieren, ich verdiene mein Geld später mit Fußball.“

Mit den Wasserfreunden Spandau hat Marko Stamm (mit Pokal) schon etliche Titel gewonnen.
Groß im Becken. Mit den Wasserfreunden Spandau hat Marko Stamm (mit Pokal) schon etliche Titel gewonnen.
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Wie früher der Vater trägt er die Badekappe mit der Nummer 9 und sieht mit dunklem Haar und vollem Bart so aus, wie es vom Drachentötertöter Hagen überliefert ist. Mit seinen 28 Jahren war er auch schon neunmal Deutscher Meister. Der Erfolg hat seinen Preis. Zehnmal Training die Woche, oft schon morgens um halb acht. Zwei Stunden liebevolle Beschäftigung mit einem Ball, der nur 450 Gramm wiegt, im Wasser aber für Ungeübte schon nach ein paar Minuten so schwer wirkt wie der Bleigürtel, den die Profis im Training tragen.

An einem Dienstagvormittag um halb zehn befreit sich Marko Stamm vom Blei, zieht den schwarzen Bademantel an und fängt an zu erzählen. Marko Stamm war keine zwei Jahre alt, als er die ersten Schwimmzüge machte, aber Wasserball mochten ihn die Eltern nicht spielen lassen. Der Schatten des Vaters war lang und zu viel Druck tut selten gut. Fußball, Tennis, Hockey und natürlich Schwimmen – er musste alles durchprobieren. Mit 14 spielte er das erste Mal für Spandau und fuhr ein Jahr später schon mit der Jugend-Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft nach Long Beach. Ah Berlin, hat ein Amerikaner gesagt, ist das nicht die Stadt, in der Spandau liegt? Und gab es da nicht mal diesen großartigen Wasserballer Hagen Stamm?

Schon als Jugendspieler musste Stamm im Wasser reichlich Hiebe einstecken, die in erster Linie seinem Vater galten. „Wenn du an den Alten nicht rankommst, rächst du dich an seinem Sohn.“ Als der Bundestrainer Hagen Stamm den Stürmer Marko Stamm 2008 für die Olympischen Spiele in Peking nominierte, zerriss die Branche das Maul über vermeintliche Familien-Mauscheleien.

Daheim hilft den Wasserballern alle Popularität wenig

Daheim in Spandau hilft den Wasserballern alle Popularität wenig. Bei der zweiten Tasse Kaffee im Garten in Britz erzählt Hagen Stamm von den Festtagen, an denen ihm die Spandauer Honoratioren versprechen, ganz bestimmt werde in nächster Zukunft ein neues Bad für die Wasserballer gebaut. Schon eine Woche später weiß keiner mehr was davon. „Da fragt man sich manchmal schon, ob wir den Namen Spandau nicht ablegen sollten“, sagt Stamm.

Er hat in seiner aktiven Zeit seinen Verein nie verlassen – obwohl es ein Angebot aus Italien gab, das er eigentlich nicht hätte ablehnen dürfen. „100 000 Mark im Jahr, das war damals unglaublich viel“, aber Stamm zierte sich. „Ich habe noch ein Auto verlangt, kein Problem. Ein Haus am Meer, auch okay. Da hat meine Frau gefragt: ‚Na, was denkst du dir jetzt aus?’“ Er hat sich nichts mehr ausgedacht, alles abgelehnt. „Ein Verein im Leben reicht, da halte ich es wie Uwe Seeler mit dem HSV. Aber ich leide nicht so viel wie er.“

Sein Sohn ist mit dem Fußballspieler Jerome Boateng zur Schule gegangen, wenn der denn mal da war und nicht mit Hertha oder der Nationalmannschaft unterwegs. Im Mathematik-Unterricht hat Boateng immer gesagt: „Das muss mich nicht interessieren, ich verdiene mein Geld später mit Fußball.“ Sein Jahresgehalt bei Bayern München wird heute auf elf Millionen Euro geschätzt. Marko Stamm freut sich über Zuwendungen der Sportförderkompanie der Bundeswehr – „es reicht zum Leben und um auf hohem Niveau Wasserball zu spielen“.

Ihr Slogan: Wir lieben pralle Bälle und feuchte Becken

Zum Halbfinale um die Meisterschaft tritt Spandau beim OSC Potsdam an. 400 Zuschauer lärmen mit Tröten, Trommeln und Klatschpappen, aber über allem steht die Intimität familiärer Atmosphäre. Man kennt sich. Der Potsdamer Trainer Alexander Tchigir war früher Meister mit Spandau, der Präsident Andreas Ehrl Europapokalsieger.

Wasserball live ist ein aufregendes Erlebnis. Es geht hin und her und her und hin, alle paar Sekunden recken 14 Burschen ihre breiten Schultern aus dem Wasser, und es ist wohl kein Zufall, dass das Publikum zur Hälfte aus Frauen besteht. „Wo sonst sehen die schon so viele gutaussehende Jungs mit so wenig Klamotten“, sagt Hagen Stamm. Als er 2008 mit der Nationalmannschaft ins Olympische Dorf von Peking einzog, klebten sie erstmal ein Plakat an die Wand: „Wir lieben pralle Bälle und feuchte Becken.“ Das brachte ihnen pikierte Blicke der benachbarten Kunstspringer ein, aber auch jede Menge Aufmerksamkeit.

Daran fehlt es im Alltag.

Zum ersten Halbfinalspiel in Potsdam hat das lokale Fernsehen mal wieder keine Zeit. Hagen Stamm sitzt am Beckenrand und würde wahrscheinlich selbst ganz gern ins Wasser springen, so dick ist die Luft. Mit verschränkten Armen und ohne äußere Anteilnahme verfolgt er das Spielgeschehen. „Als Bundestrainer kannst du es dir nicht erlauben, deinen Verein anzufeuern“. Spandau siegt 19:8, Marko Stamm wirft drei Tore und zeigt zum Schluss seinen Zaubertrick mit dem Lasso-Arm. „Gutes Spiel“, sagt der Vater und herzt den Sohn, „aber zum Schluss ward ihr ein bisschen müde, oder?“

Rivale Hannover hat Geld, viel Geld

Da sei schon was dran, sagt Marko Stamm ein paar Tage später. Die Belastungssteuerung ist auf die Finalserie ausgelegt. Auf den Gipfel gegen Waspo Hannover an diesem Wochenende, einen neuen Big Player im deutschen Wasserball und den Spandauern in herzlicher Feindschaft verbunden. Die Stimmung zwischen Spandau und Hannover ist ungefähr so wie früher zwischen Bayern München und Werder Bremen, als dort der Manager Willi Lemke das Klassenkämpfer-Wort führte.

Hannover hat in den vergangenen Jahren so viel Geld investiert, wie es im deutschen Wasserball noch nie der Fall war. Es ist das Geld von Karsten Seehafer, der als Spieler selbst mal Deutscher Meister war, Waspo im Nebenberuf trainiert und im Hauptberuf Unternehmer ist. „Hannovers Etat ist doppelt so hoch wie unser“, sagt Hagen Stamm. „Für die Liga ist diese neue Konkurrenzsituation eine gute Sache“, doch als Bundestrainer hätte er es ganz gern gesehen, wenn das viele schöne Geld im Sinne einer gemeinsamen Sache investiert würde. „Die spielen fast nur mit Ausländern, die Nationalmannschaft ist ihnen ziemlich egal.“

Ihre neuen Freunde: die blaue Armee von Hertha

Um halb elf packt Marko Stamm seine Sachen zusammen. Genug geplaudert. Zeit für eine Siesta vor dem Krafttraining am Nachmittag, da steht auch schon Spandaus Torhüter Laszlo Baksa vor ihm und bittet um den Bademantel des Kapitäns, „ich will mich vor dem Finale nicht erkälten“. – „Na, gehört sich das für einen Profi?“, entgegnet Stamm, worauf Baksa lachend erwidert, sie könnten diese Frage ja gern bei einem privaten Wettschießen klären. „Man merkt schon, dass die Spannung steigt“, sagt Marko Stamm. „Die Stimmung ist jedenfalls gut.“

Vor ein paar Wochen sind die Spandauer Wasserballer im ICE zurück nach Berlin auf eine Abordnung des Hertha-Fanclubs Blue Army getroffen. Hertha BSC hatte gerade in Bremen verloren, aber im Bahn-Bistro lässt sich auch die schlimmste Niederlage schön trinken. Die Spandauer waren in ihren schwarz-roten Klubanzügen leicht zu identifizieren, und mit jedem Bier stimmten die Fußballfans neue Jubelgesänge auf die Wasserballer an. „Einfach sensationell!“, sagt Marko Stamm. Am Mittwoch beim Finalspiel Nummer vier in Hannover werden die Ehrengäste von der blauen Armee wohl nicht zugegen sein, dafür sitzt am Beckenrand ein Bundestrainer, der schwer mit sich und der gebotenen Neutralität ringen wird. Gegen Hannover könnte es mit der Zurückhaltung vorbei sein, verrät Hagen Stamm. „Da bin ich immer noch so aufgeregt wie früher!“

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