Zweite Fußball-Bundesliga: Ab Platz fünf zittern alle Teams vor dem Abstieg
Die Zweite Liga ist so eng wie nie zuvor. Der Großteil aller Mannschaften ist in Abstiegsgefahr – auch der 1. FC Union.
Beim bloßen Blick auf die Tabellenplatzierung könnte man meinen, der 1. FC Union habe wieder den Normalzustand erreicht. Platz acht nach 27 Spieltagen, das klingt nach Niemandsland, nach grauem Mittelmaß. Seit dem Aufstieg in die Zweite Liga im Jahr 2009 war die Saison für die Berliner im März oder April fast immer gefühlt beendet. Nach oben ging nichts mehr, nach unten war der Abstand auch groß genug, und so trudelt das Team ohne großen Druck ins Ziel. Doch das hat sich mittlerweile geändert. In der Vorsaison hoffte Union bis zum 32. Spieltag auf den erstmaligen Sprung in die Bundesliga – und aktuell befinden sich die Berliner als Achter mittendrin im Abstiegskampf.
Denn bei genauer Betrachtung müssen 14 der 18 Zweitligisten noch um den Klassenverbleib bangen. Arminia Bielefeld als Tabellenfünfter hat nur fünf Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz 16. „So ausgeglichen wie in diesem Jahr war die Liga noch nie“, sagt auch Unions Grischa Prömel. Die Berliner haben nach zwei Unentschieden daheim in Folge sowie dem 2:1-Sieg von Aue gegen Fürth am Montag sogar nur noch drei Punkte Vorsprung auf das Team aus dem Erzgebirge. „Die meisten Mannschaften in der Liga hätten sich das Ergebnis andersherum gewünscht“, sagt Prömel. Das gilt auch für Union.
Die 36 Punkte und das deutlich positive Torverhältnis der Berliner hätten in der Vorsaison bereits für den Klassenerhalt gereicht. Seit der Einführung der Dritten Liga zur Saison 2008/09 und der damit verbundenen Installation der Relegation hatte der Drittletzte nie mehr als 37 Zähler. In der aktuellen Saison werden wahrscheinlich selbst die viel zitierten 40 Punkte nicht für die direkte Rettung reichen.
„Die Liga ist total verrückt“
Mit Erklärungen für die einmalig enge Konstellation tun sich die Beteiligten schwer. „Die Liga ist manchmal total verrückt“, sagt Darmstadts Trainer Dirk Schuster. Unions Christopher Trimmel hatte schon vor Wochen ähnliche Worte bemüht und dabei Holstein Kiel als Beispiel genannt. Obwohl der Aufsteiger von November bis März elf Spiele sieglos blieb, rutschte er nicht von den Aufstiegsplätzen. „Deshalb passt das Wort verrückt am besten zur Zweiten Liga“, sagte Trimmel. Als Hauptgrund dafür wird meist eine Floskel bemüht: Jeder kann jeden schlagen. Aber warum ist das so?
Da ist in erster Linie die Schwäche der Bundesliga-Absteiger. Drängte in den vergangenen Jahren immer mindestens ein großer Name wie Stuttgart, Hannover, Köln oder Hertha mit aller Macht nach oben, ist das Niveau aktuell deutlich niedriger. Ingolstadt befindet sich in einer ähnlichen Lage wie Union, Darmstadt steht als 17. vor dem zweiten Abstieg in Folge. Auch sonst gibt es kaum eine Mannschaft, die konstant und souverän auftritt. „Außer Düsseldorf marschiert momentan keiner durch“, sagt Prömel. Die Punktzahlen belegen das. Hatte Union vor einem Jahr als Vierter bereits 50 Punkte, sind es bei Regensburg aktuell nur 40. Die fehlenden Punkte verteilen sich im Mittelfeld sowie im Keller und bewirken die extreme Ausgeglichenheit. Zwischen den beiden Relegationsplätzen drei und 16 liegen nur elf Punkte.
Doch es ist nicht nur das Fehlen der großen Favoriten. Wie in der Bundesliga gibt es auch in der Zweiten Liga eine große Mehrheit an Mannschaften auf ähnlichem Niveau, die sich auch spielerisch gleichen. Nur wenige Klubs versuchen durch Ballbesitz zum Erfolg zu kommen, auch Innovationen sind selten. Und gelingt es einem Trainer doch mal, mit einem guten Konzept mehr aus einem Team herauszuholen, als es die Summe der individuellen Fähigkeiten eigentlich erlaubt, wird er wie Domenico Tedesco im Sommer schnell abgeworben. So dominiert in der Liga ein Fußball, der sehr auf Pressing, Zweikämpfe, Umschaltspiel und lange Bälle ausgerichtet ist.
Die Ungewissheit macht auch die Personalplanung schwierig
Mannschaften, die spielerische Lösungen finden wollen, tun sich hingegen schwer. Das erfährt auch Union seit Monaten recht schmerzlich. Mit dem Trainerwechsel von Jens Keller zu André Hofschneider wollten die Berliner ihrem Spiel mehr Alternativen hinzufügen und über mehr Ballbesitz agieren. Bisher mit bescheidenen Resultaten. „Zweite Liga heißt erst mal Kampf“, sagt Hofschneider. Das muss Union verinnerlichen, denn gerade Mannschaften, die für höhere Ziele zusammengestellt wurden, tun sich im Abstiegskampf oft schwer.
Psychologisch ist die Situation für die Berliner ohnehin schwierig. Eine klare Richtung war aufgrund der engen Konstellation kaum erkennbar und die Formkurve der meisten Mannschaften gleicht einem Seismographen in einem Erdbebengebiet. „Wenn man gewonnen hatte, war man im Aufstiegsrennen, wenn man verloren hatte, musste man wieder nach unten schauen“, sagte Unions Kapitän Felix Kroos vor zwei Wochen.
Doch die Ungewissheit ist nicht nur für die Psyche der Spieler ein großes Problem. Auch die Personalplanung der sportlichen Leitung wird dadurch erschwert. Die Grundlagen für die kommende Saison werden zu großen Teilen im Frühjahr gelegt. Ohne zu wissen, in welcher Liga man künftig spielt, sind Verhandlungen mit potenziellen Neuzugängen jedoch schwierig.
An einen möglichen Abstieg in die Dritte Liga will momentan aber noch niemand denken, auch wenn die Lage ernst ist. Immerhin stehen noch sieben Klubs zwischen Union und Aue, die sich gegenseitig Punkte wegnehmen werden. „Es ist alles so eng beieinander, dass noch viele Mannschaften unten reinrutschen können“, sagt Marvin Friedrich. Doch in der vergangenen Saison hatten die späteren Absteiger 1860 München und Würzburger Kickers nach 27 Spieltagen mit vier beziehungsweise fünf Punkten sogar einen größeren Vorsprung auf Rang 16 als Union aktuell. „Es kann natürlich noch gefährlich werden“, sagt Friedrich.