Als Stuttgart gegen München im Pokal gewann: 9. November 1989: VfB schlägt Bayern - und keinen interessiert's
Am 9. November 1989 gewinnt der VfB Stuttgart das einzige Mal in seiner Vereinsgeschichte im DFB-Pokal gegen den FC Bayern München – doch der Mauerfall stiehlt dem VfB die Show.
Die Pokalgeschichte des VfB Stuttgart ist nicht besonders reich an positiven Erinnerungen, wenn es um Bayern München geht, dem diesjährigen Finalgegner und Favoriten im Berliner Olympiastadion. Abgesehen von einem Spiel. Und es gehört zu der kuriosen Geschichte, dass diesen 3:0 (1:0)-Sieg des VfB zwar zwölf Millionen Bundesbürger mitbekamen, weil die ARD live aus dem Neckarstadion übertrug, sich im weiteren Verlauf des Abend aber bald nichts mehr um Fußball drehte. Es war der 9. November 1989, der Tag an dem die Mauer fiel.
Davon erfuhren viele der 67.800 Zuschauer erst im Stadion. Die Tagesschau begann kurz vor dem Anstoß mit der Schlagzeile: „DDR öffnet Grenzen“. Die Nachrichtenmacher in Hamburg überzogen ihre Sendung. Das Achtelfinale im DFB-Pokal begann später als vorgesehen.
„Ich kann mich an keinen erinnern, der bei diesen Nachrichten und den Bildern keine Gänsehaut bekommen hat“, erzählt Ulrich Ruf, VfB-Finanzvorstand. In der Halbzeit brachte die ARD eine kurze Brennpunktsendung. Auch die Zwillinge Nils und Olaf Schmäler stehen im VfB-Kader. Die beiden sind in Braunschweig nahe der Zonengrenze aufgewachsen. „Ich hab gedacht, jetzt sind die endlich frei. Wir haben an unsere Verwandten gedacht, denen wir immer Päckchen geschickt haben“, erinnert sich Olaf Schmäler. „Das hat an dem Abend keinen kalt gelassen. Nach und nach kamen neue Nachrichten, aber wir mussten das Spiel spielen. Danach gab es kein anderes Thema mehr.“
Die Tagesthemen beginnen mit zwölf Minuten Verspätung um 22.42 Uhr. „Guten Abend, meine Damen und Herren. Im Umgang mit Superlativen ist Vorsicht geboten, sie nutzen sich leicht ab. Aber heute Abend darf man einen riskieren. Dieser neunte November ist ein historischer Tag: Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind, die Tore in der Mauer stehen weit offen“, sagte Moderator Hans-Joachim Friedrichs.
Für den VfB und die Reaktionen nach dem schwäbischen Triumph hatten die Tagesthemen keinen Platz mehr. Peter Schmid, Sohn von Otto Schmid, jenem legendären Torwart des VfB, der in den Fünfzigern mit dem VfB Meistertitel und Pokalsiege sammelte, war damals Reporter für den Süddeutschen Rundfunk. Und Schmid rief nach dem „historischen Pokalsieg“ sofort in der Sendezentrale in Hamburg an, um zu erfahren, wie lange die Sieger-Interviews werden sollten. Die Antwort fiel so unerwartet wie eindeutig aus. „Wir haben keine Zeit, die Mauer ist gefallen“, hörte Schmid. „Für den VfB-Sieg interessiert sich logischerweise fast kein Mensch mehr.“
VfB-Trainer Arie Haan hatte folgende Mannschaft aufgeboten: Eike Immel, Guido Buchwald, Michael Frontzeck, Nils Schmäler, Andreas Stremel, Eyjolfur Sverrisson, Karl Allgöwer, José Basualdo, Jürgen Hartmann, Demir Hotic und Fritz Walter. Walter (43./77.) und Hartmann (64.) schossen die Stuttgarter Tore. Und für den Stuttgarter Doppeltorschützen war die Begegnung mit dem FC Bayern München ein traumhaftes Erlebnis, Mauerfall hin oder her.
„Auf dem Platz hast du davon ja nur kleine Häppchen mitbekommen. Erst später haben wir erfahren, dass die Mauer gefallen war. Die Leute hatten also aus zwei Gründen gejubelt. Immerhin war das unser einziger Pokalsieg“, erinnert sich Walter. „Aber auf dem Platz konntest du gar nicht begreifen, was da los war. Auch viele Zuschauer bekamen es ja erst später in der Nacht mit, als sie den Fernseher einschalteten.“