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Tränen im Sommermärchenwald: Nach dem Halbfinal-Aus gegen Italien weint Ballack im Dortmunder Flutlicht. Auch bei der Heim-WM blieb ihm der Final-Einzug versagt.
© AFP

Zum WM-Aus von Michael Ballack: 1000 Tränen tief

Michael Ballack kann nicht an der WM in Südafrika teilnehmen. Es ist die tragische Pointe einer vom Pech und Scheitern geprägten Karriere. 11Freunde-Autor Dirk Gieselmann fragt sich: Wo ist Ballacks Platz in der Geschichte?

Er war die Wade der Nation, ein Siegfried mit dieser einen verwundbaren Stelle. Kann er spielen? Wochenlang schwitzte sich die Fußballnation während der EM 2008 in den Schlaf, doch ja: Er spielte! Und verlor. Er war auch die Karte der Nation: Im WM-Halbfinale 2002 gegen Südkorea nahm er eine Verwarnung in Kauf und somit die Sperre fürs Finale. Er schenkte Deutschland dieses Endspiel und sah doch nur eine weitere Niederlage.

Michael Ballack ist der beste deutsche Spieler des Jahrzehnts, der beste wohl seit Lothar Matthäus, und mit diesem steht er in einer Reihe, mit Bernd Schuster, Franz Beckenbauer, Fritz Walter, als einer derjenigen, die später einmal Symbolfigur einer Generation sein werden. Bloß haben die anderen Könner aus dieser Ahnengalerie sich ihren Platz verschafft, weil sie da waren, wenn es drauf ankam. Man erinnert sich an sie im Moment ihrer größten Triumphe, Welt- und Europameister sind sie allesamt. Michael Ballack wird hingegen vor allem deshalb im Gedächtnis bleiben, weil man so oft um ihn bangen musste. Und für das Pech, das er Zeit seiner Karriere hatte. Als der große Schmerzensmann der deutschen Fußballgeschichte. Der tragische Held. Der Unvollendete. Der Untergeher. Bitte beliebig ergänzen, liebe Trauergemeinde.

Der Prolog einer unfassbaren Geschichte des Scheiterns
Blicken wir zurück: Als der 1. FC Kaiserslautern 1998 Meister wurde, ließ Trainer Otto Rehhagel das junge Supertalent auf der Bank versauern. Ballack wechselte ein Jahr darauf nach Leverkusen, wo er gleich in seiner ersten Spielzeit erneut Deutscher Meister hätte werden können – diesmal als spielbestimmende Gestalt. Doch im letzten Spiel gegen Unterhaching, in dem ein Remis gereicht hätte, unterlief ihm ein Eigentor. Damals war das ein geradezu albernes Missgeschick eines gerade einmal 24-Jährigen, der alles noch vor sich hatte. Heute wissen wir: Es war der Prolog einer unfassbaren Geschichte des Scheiterns.

In der Saison 2001/02 wurde Bayer gleich drei Mal Zweiter, und der gesperrte Ballack musste im WM-Finale überdies Zeuge werden, wie die deutsche Nationalmannschaft Brasilien unterlag. Wie weit hat er es in seiner Karriere gebracht? Eine Antwort könnte lauten: 1000 Tränen tief. Diese Tränen, sie flossen auch nach der Niederlage im Halbfinale der WM 2006 gegen Italien, im Frühjahr 2008, als der FC Chelsea Manchester United im Finale der Champions League unterlag – und sie werden heute geflossen sein, als ihm mitgeteilt wurde, dass er aufgrund eines Innenbandrisses, den er sich durch eine Attacke von Kevin-Prince Boateng im FA-Cup-Finale zugezogen hat, nicht an der WM in Südafrika wird teilnehmen können.

Die miese Grätsche eines übermotivierten Gangsta-Rappers
Die deutschen und englischen Meisterschaften und Pokale, die er in der Zwischenzeit sammelte, sie wirken auf seltsame Weise wie Trostpreise in einer Karriere, der die Vollendung versagt bleiben wird. Einer erneuten Teilnahme an einem Champions-League Finale stehen sein Alter von nun schon fast 34 Jahren und die unklare Vertragssituation beim FC Chelsea im Wege. Die WM wäre sein letztes großes Turnier gewesen. Die letzte Chance, über die eigene Geschichte zu triumphieren. Doch dann, man hätte die Uhr danach stellen können, fällt den Helden die miese Grätsche eines übermotivierten Gangster-Rappers. Ist das so traurig, dass man lachen muss? Oder so witzig, dass man weinen muss?  

»Jogi Löws verlängerter Arm wurde am Sonntagabend in die Röhre geschoben«, vermeldete der Sportinformationsdienst. Schon da bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Sehr geehrte Damen und Herren, lassen sie uns heulen: Ballack war die Wade, die Karte, nun ist er die Ruine der Nation. Nichts geht mehr, Deutschland wird ohne ihn auskommen müssen. Und doch ist er da, weil wie bei keinem deutschen Spieler je zuvor die Lücke so groß war, die er reißt. Wie der Sessel frei bleibt beim ersten Weihnachtsfest ohne Opa, wird auch sein Platz im zentralen Mittelfeld verwaist sein, gleichgültig, ob Schweini, Khedira oder sogar Hitzlsperger versuchen werden, ihn zu ersetzen.

Dort, im Nichts, ist Michael Ballacks Platz: Im Phantomschmerz, im Was-wäre-gewesen-wenn, im Spekulativen, im Unvollendeten, in der Projektion. Dort ist er unerreicht und wird es bleiben.

Ein Trost? Ja, allerdings 1000 Tränen tief. 

Mit freundlicher Genehmigung von 11freunde.de

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