Potsdam: Zum letzten Mal Kapitänsteller
Das „Gastmahl des Meeres“ schließt. Inhaber und Chefkoch Jürgen Rückert war 37 Jahre dabei
Den Kapitänsteller gibts für 13 Euro – verschiedene Fischsorten vom Grill, dazu Salzkartoffeln. „Dafür bekommen sie woanders nicht mal eine Vorspeise“, sagt Jürgen Rückert. 60 Jahre ist er alt und mehr als die Hälfte davon kochte er im „Gastmahl des Meeres“ in der Brandenburger Straße, die damals Klement-Gottwald-Straße hieß. Jetzt ist Schluss. Das Restaurant, für viele ehemalige DDR-Bürger Traditionsgaststätte und per se Garant für ein gewisses Maß an Qualität, macht dicht. Am 12. Oktober könnte der letzte Kapitänsteller über den Tresen gehen, am 14. Oktober kommt alles, was nicht niet- und nagelfest ist, unter den Hammer. Dann versteigert der Potsdamer Auktionator Frank Ehlert die gesamte Einrichtung aus Gasträumen und Küche sowie das Inventar – bis zum letzten Fischbesteck.
Traurig ist Rückert mittlerweile nicht mehr. „Dann mach ich halt was anders, Köche werden überall gesucht“, sagt er. Den Abschied kommunizieren oder gar mit seinen Stammkunden zelebrieren, das möchte er nicht. „Ich bin damit durch“, sagt er. Auch ein besonderes Abschiedsessen wird es nicht geben. „Das was da ist, gibt’s“, sagt er nüchtern.
Den Spruch kennen viele noch aus der Zeit bis 1989. Rückert, seit 1977 Küchenchef in dem Restaurant, hat mit seinem Team damals oft viel rausgeholt aus dem, was da war. „Wir hatten Rotbarsch bestellt und bekamen Makrele“, sagt er. Dabei hatte er noch Glück: Sämtliche Gaststätten der Kette „Gastmahl des Meeres“ – das waren zeitweise 35 zwischen Sassnitz und Suhl – wurden bevorzugt beliefert. „Wir standen auf einer Stufe mit den Interhotels“, sagt Rückert. Die Rostocker Hochseefischerei lieferte subventionierten Fisch, 40 bis 50 Tonnen im Jahr. Zusätzliches Gemüse zog Rückert in Gewächshäusern seines eigenen Gartens. Manchmal gab es eine üppige Zuteilung von Werder-Äpfeln, dann wurde Apfelmus gekocht. Eine Abwechslung zum stereotypen Mischkompott. „Das wollte doch keiner“, sagt Rückert, lacht und schüttelt den Kopf. Auch mit einer Art Krabbenfleisch-Konserve aus Vietnam konnten sie nichts anfangen. Was DDR-Wirtschaftskader blindlings im Ausland teuer eingekauft hatten, wollten im „Gastmahl des Meeres“ nicht mal die Katzen. „Das ging direkt in die Tonne.“
Aber dennoch kamen die Gäste in das Haus direkt am Brandenburger Tor. Bis in die 1950er sei hier das Restaurant „Gambrinos“ gewesen, sagt Rückert. 1967 wurde die Gaststätte zum Fischrestaurant. „Gastmahl des Meeres“ heißt es seit 1970. Es kamen viele Touristen, Stammkunden aus Potsdam, Berlin und dem Umland. Man feierte hier Omas Geburtstag, musste dafür freilich rechtzeitig reservieren oder eben etwas länger warten, bis ein Tisch frei wurde. Bis zu 800 Gäste speisten hier am Tag, sagt Rückert. Und das trotz Mittagspause, in der das Restaurant geschlossen war, und mit weniger Sitzplätzen als heute, weil sich zu DDR-Zeiten eine Außenbestuhlung nicht durchsetzen ließ. Außerdem ging das Essen schneller, sagt Rückert, niemand konnte sich nach dem Mahl lange an einem Espresso festhalten. „Bei uns gab es weder Eis noch Heißgetränke, wir hatten dafür gar keine Maschinen.“ Kaffee gab’s nebenan im Café Babette.
Jetzt sitzt der Koch, seit 1991 Inhaber, bei einem Kaffee und wartet auf Mittagsgäste. Längst sind es nicht mehr Hunderte, vielleicht 20 oder doch mal 80 am Tag. Das Personal ist von 25 auf vier geschrumpft. Früher mussten allein drei Frauen den Abwasch erledigen und das Filetieren der ganzen Fische brauchte auch seine Zeit. Heute gibt es Spülmaschinen und die Fische kommen pfannenfertig.
Aber es hat nicht gereicht zum Überleben. Das liegt auch daran, dass sich gefühlt an dem Haus selbst kaum etwas verändert hat. Der Eigentümer – ein Berliner – habe nichts dagegen unternommen, dass das einst prächtige Haus immer mehr herunterkam. Das ärgert Rückert. Die Fassade sieht schäbig aus, Putz und Farbe bröckeln ab. Das komplette Obergeschoss steht bereits seit Jahren leer – das ganze Objekt ist wenig einladend. Der alte Mietvertrag laufe jetzt aus, für einen neuen Kontrakt werde die doppelte Miete verlangt. Das wollte er nicht, das sei nicht zu schaffen, sagt der Chef. Rückert bezahlte bereits aus eigener Tasche das Nötigste, Dachreparaturen und eine neue Heizungsanlage. Gastraum und Küche wurden Anfang der 90er-Jahre renoviert, aber seitdem ist nicht mehr viel passiert. Der DDR-Charme hängt noch in den dekorativen Fischernetzen und den Tischgruppen, Eiche rustikal.
Eine Wand ist allein mit Ehrungen und Urkunden behängt. 1972 gab es das „Goldene Fischbesteck“ für das Restaurant, das damals gerade zwei Jahre alt war. Und von 1980 bis 1988 wurde das Haus durchgehend mit dem „Goldenen Fisch“ ausgezeichnet. Manche dieser Trophäen wird Jürgen Rückert mitnehmen, bevor er das Haus abschließt. Wer noch einen Satz Teller mit dem typischen Dekor des Restaurants – Kobaltblau auf Weiß – haben möchte, kann das am 14. Oktober ersteigern.
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