SV Babelsberg: Wie ein Ventil
Der SV Babelsberg 03 bekommt inzwischen weltweit Aufmerksamkeit für sein Aufbegehren und seinen Kampf gegen Nazis. Das ist eine Chance.
Potsdam - Almedin Civa hat in den vergangenen Monaten immer wieder gefragt: „Soll ich dazu was sagen? Soll ich es zum Thema machen?“ Immer wieder entschied sich der Trainer des SV Babelsberg 03, es nicht zu erwähnen und es auf den Pressekonferenzen nach den Spielen seiner Mannschaft beim sportlichen Resümee zu belassen. Civa, ein Mann mit bosnischen Wurzeln, hätte wiederholt erzählen können, wie seine Spieler beschimpft worden sind bei Auswärtsspielen. „Scheiß Türke“ meinte vergangenen Herbst ein Luckenwalder Zuschauer kommentieren zu müssen, als sich Babelsbergs Abukadir Beyazit durchs Mittelfeld dribbelte. Beim Landespokalspiel gegen Brandenburg Süd erklärte ein Zuschauer den Nulldrei-Spielern gleich bei der Ankunft, als sie aus dem Bus stiegen, dass hier deutsch gesprochen werde und nicht türkisch. Willkommen in Civas Arbeitsalltag an Wochenenden auf fremden Fußballplätzen. Der 45-Jährige zuckt mit den Schultern: „Soll ich da jedes Mal ein großes Ding drausmachen?“
Der Verein hat etwas ins Rollen gebracht
Jetzt haben sie beim SV Babelsberg 03 etwas ins Rollen gebracht. Was Spieler und Trainer des Viertligisten auf zahlreichen fremden Plätzen an rassistischen Schmähungen erdulden, lassen sie im eigenen Haus nicht zu. „Nazis raus“ ruft vor allem die Nordkurve im Karl-Liebknecht-Stadion, wenn im Gästeblock rechte Fans ihre Gesänge anstimmen. Besonders widerwärtig geschah das im vergangenen April, als mehr als 100 Neonazis aus Cottbus völlig enthemmt den Arm zum Hitlergruß reckten und Auschwitz-Lieder sangen. Dass später der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) – aus welchen Gründen auch immer – es wichtig fand zu erwähnen, dass „Nazischweine raus“ gerufen wurde, die Nazi-Krawalle aber in einer sportgerichtlichen Bewertung der Vorkommnisse jenes Fußballspiels übersah, überhörte und ignorierte, hat den Verband inzwischen in erhebliche Erklärungsnot gebracht. Und unter internationale Beobachtung: Nicht nur, dass deutschlandweit Zeitungen darüber berichten – inzwischen schreiben die New York Times, die Washington Post, der New Zealand Herald und die Times of Israel über die Auflehnung des deutschen Amateurvereins aus Babelsberg gegen den nordostdeutschen Fußballverband und dessen Wahrnehmungsschwierigkeiten.
Es traf den Vereinsvorstand um Archibald Horlitz im vergangenen Juni wahrhaftig hart, als er das Urteil des NOFV zugestellt bekam: Es war schlicht nicht zu verstehen, weshalb dort die Nazi-raus-Rufe in der Strafbegründung auftauchten. Und noch unverständlicher war es, als die Babelsberger ein paar Tage später das Urteil gegen den FC Energie Cottbus zu lesen bekamen, dass darin nicht ein Wort von Hitlergrüßen und antisemitischen Gesängen stand.
Das Urteil war ein Angriff auch auf die Herkunft des Vereins
Dieses Urteil, es war ein Angriff auf das Selbstverständnis des SV Babelsberg 03 und auf dessen Herkunft: Es waren die Nationalsozialisten, die sich nach 1933 immer wieder am damaligen Vereinsnamen „Nowawes“ störten, den Klub schließlich umbenannten, 1939 mit Eintracht Babelsberg zum SV Potsdam 03 fusionierten und ihn als „Pflegestätte nationalsozialistischen Gedankenguts“ missbrauchten. Die Fremdbestimmung durch die Nazis gehört zu den geschichtlichen Narben des Vereins – andere kamen im Lauf der Zeit hinzu
Ein Stillhalten des SVB konnte im Fall der Konfrontation mit dem NOFV nicht erwartet werden – viel zu lebhaft, zu bewusst und eben auch zu politisch sind der Verein und seine Fans. Und es ist alles andere als Aktionismus, dass der Kiezklub vor Monaten die Kampagne „Nazis raus aus den Stadien“ initiiert hat, um damit auf ein deutschlandweites Problem aufmerksam zu machen. Seit mehr als einem Jahrzehnt veranstaltet der SVB im Sommer ein antirassistisches Stadionfest, bereits vor Jahren integrierte er mit Welcome United 03 ein reines Flüchtlingsteam in den Verein, seit vielen Spielzeiten wird mit der Bande „Fußballfans gegen Homophobie“ am Spielfeldrand klar Stellung bezogen. Genauso hat es der ehemalige SVB-Trainer Cem Efe getan, der es vor zwei Jahren nicht mehr aushielt, dass seine Spieler ständig als „Scheiß Türken“ und „Kanaken“ beschimpft wurden und öffentlich Anstand und Respekt forderte. Zudem ist der SV Babelsberg 03 ein verlässlicher Verbündeter, wenn es darum geht, dass Potsdam klare Kante gegen Rechts zeigt.
Der Verein ist ein verlässlicher Verbündeter im Kampf gegen rechts
Als sich im September 2012 tausende Potsdamer einer geplanten NPD-Demo entgegenstellten und den Aufmarsch der Neonazis verhinderten, standen in der ersten Reihe neben Oberbürgermeister Jann Jakobs zahlreiche Nulldrei-Anhänger und SVB-Funktionäre. Ebenso vor zwei Jahren, als im Winter bei zahlreichen Demos verhindert wurde, dass Pegida einen Fuß in die Stadt bekommt. Im vergangenen Sommer demonstrierten die Spieler des Viertligisten auf dem Trikot die Position des Vereins: „Potsdam! Bekennt Farbe“ stand da – kurz zuvor war der Verein dem städtischen Bündnis für Toleranz, Gewaltfreiheit und friedliches Miteinander beigetreten. „Ich habe dieses Trikot gern getragen, weil es zu uns passt“, sagt Nulldrei-Kapitän Philip Saalbach.
So wie all dies zum Selbstverständnis des SVB gehört, so selbstverständlich schienen die Aktivitäten des Vereins bislang zu sein. Es gehörte zu allgemeinen Erwartungshaltung und Wahrnehmung. Ob als gelobtes, gern gesehenes Engagement oder als linker Zeckenverein beschimpft – Nulldrei hatte seine Rolle und sein Image. Kaum jemand hatte in den vergangenen Monaten Notiz genommen vom Kampf des SVB gegen einen Fußballverband, der mit rassistischer und judenfeindlicher Hetze in Stadien eher leichtfertig als entschlossen, eher nachlässig als konsequent umgeht. „Für mich ist das schwierig zu ertragen in einem Teil von Deutschland, in dem jeder Vierte die AfD wählt“, begründet SVB-Präsident Horlitz seinen bislang hartnäckigen Konfrontationskurs gegen den NOFV.
Solidaritätsbekundungen in Bundesliga-Stadien, 145 neue Mitglieder
Doch scheint sich in diesen Tagen etwas zu ändern. Fast scheint es, als seien viele bei ihrer Suche nach einem Ventil fündig geworden, um den ganzen AfD-Frust abzulassen, die Wut und vermeintliche Ohnmacht gegen den Rechtsruck in Deutschland, gegen Flüchtlingshetze und Alltagsrassismus, gegen Nazis in Stadien. Als habe man endlich zurück zur Sprache gefunden, um seinen Ärger auszudrücken über den Etikettenschwindel von Verbänden, weil die statt großer Reklame im Kampf gegen Rechts eher versagen als erfolgreich sind. Da ist plötzlich ein Fußballklub, der sogar den Entzug seiner Spielberechtigung riskiert, um den Mund aufzumachen.
Klar, die üblichen Anfeindungen gibt es weiterhin. Und nicht jeder findet gut, was der SVB gerade macht; nicht jeder versteht es. Aber der SVB erfährt derzeit eine Resonanz und eine Unterstützung, die noch nie dagewesen ist: In Bundesliga-Stadien rollen Fans Transparente mit dem Namen des Viertligisten aus und bekunden ihre Solidarität. Die Fan-Stube des SV Werder Bremen bittet den Vorstand des Erstligisten, ein Benefizspiel gegen den SVB zu organisieren, die Chefetage von Borussia Dortmund hat im Karli angerufen. Nach einem Babelsberger Spendenaufruf, um mit einem Fonds den Kampf kleiner Vereine gegen Rechts zu unterstützen, sind in den vergangenen Tagen mehrere Tausend Euro eingegangen. Die SVB-Geschäftsstelle wird aktuell zur Versandzentrale von Nazis-raus-Shirts. 145 neue Mitgliedsanträge sind seit Anfang diesen Monats eingegangen. „Wir erfahrenen gerade eine unglaubliche Solidarität und sehen es als unsere gesellschaftliche Aufgabe, andere Vereine zu unterstützen, die in einer ähnlichen Situation sind“, sagt Nulldrei-Präsident Horlitz.
Der Viertligist kann Mutmacher sein
Tatsächlich aber hat der SV Babelsberg 03, der Viertligist aus Potsdam, die Chance zu viel mehr. Er kann den ersten Ton angeben – dafür, dass „Nazis raus“- Rufe wieder laut und hörbar werden, nicht nur in Stadien. Er kann der Mutmacher dafür sein, dass es sich lohnt, hartnäckig da zum genauen Hinsehen zu ermahnen, wo es sich andere leichtmachen und lieber wegschauen. Er kann ein Gewinn sein – für den Fußball. Für Potsdam. Und für seinen Trainer Almedin Civa ist der SVB Antwort genug, sollte er sich demnächst wieder fragen müssen, ob er einen dummen Spruch zum Thema machen soll: Viele wissen inzwischen, wie der SVB das sieht.
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