Geschwisterkind-Regel in Brandenburg gekippt: Wenn der Schulplatz plötzlich nicht sicher ist
Mitten im Anmeldeverfahren für Schulen müssen manche Eltern nun um den sicher geglaubten Platz für ihr Kind fürchten: Die bestehende Geschwister-Regel ist gerichtlich gekippt worden.
Potsdam - Es geht um ein bisher bestehendes Recht, auf das sich Eltern von angehenden Grundschülern verlassen haben: die sogenannte Geschwisterkind-Regel. Auch die Familie E. aus Potsdam verließ sich darauf. Bis sie vor wenigen Tagen ein Schreiben der Schulleitung der Montessori- Oberschule in Potsdam-West erhielten. Mit einer für sie überraschenden Absage.
Zwei Kinder der Familien besuchen die Schule schon, ein Drittes sollte nun dazukommen. Doch die Anmeldungen für die Schule würden die Aufnahmekapazität übersteigen, erhielt Familie E. vor wenigen Tagen die Absage aus der Montessori-Schule. Die Auswahl der Schüler erfolge nach der Nähe der Wohnung zur Schule oder nach dem Vorliegen eines wichtigen Grundes, gibt das Schreiben das Prozedere wieder. Doch nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg aus dem Oktober sei der Besuch eines Geschwisterkinds eben nicht mehr automatisch ein solcher wichtiger Grund. Über diese neue Praxis sei die Schulleitung am 26. Februar vom Landesbildungsministerium informiert worden. Der betroffenen Familie E. wird zumindest aber die Chance gegeben, bis Mitte April „individuell beachtliche Gründe“ geltend zu machen – und gleichzeitig eine Ausweichschule anzugeben. Für Familie E. wäre das nicht akzeptabel. „Wir werden uns wohl durchklagen müssen, um den Besuch der Wunschschule für unsere Kinder zu ermöglichen“, teilte die Familie auf Nachfrage mit.
Nur noch in Ausnahmefällen gilt Geschwisterkind-Regel
Das OVG-Urteil bestätigte auch der Sprecher des Bildungsministeriums, Florian Engels. Das Gericht sei nicht der Argumentation des Landes gefolgt, dass sich aus dem gemeinsamen Besuch von Geschwisterkindern auch Betreuungserleichterungen ergeben. Künftig werde die Anerkennung von „Geschwisterkindern“ nur noch „Ausnahmecharakter“ haben, machte Engels deutlich. Dies bedürfe jeweils einer Einzelfallprüfung, etwa auf der Grundlage einer Stellungnahme der Eltern oder eines protokollierten Gesprächs. Nur danach könne eine „privilegierte Aufnahme“ gerechtfertigt werden.
Speziell für Potsdam ist die Entscheidung folgenreich. Bildungsausschusschef Clemens Viehrig (CDU) sagte, für die betroffenen Eltern sei die Entscheidung mehr als bedauerlich, da sich dadurch der persönliche Aufwand ungleich vergrößere: „Im schlimmsten Fall hat eine Familie ein Grundschulkind im Norden und eines im Süden.“ Zudem würden die Ablehnungsbriefe für viele Eltern „aus heiterem Himmel“ kommen: „Hier liegt ein klares Informationsdefizit vor.“ Ministeriumssprecher Engels konnte am Mittwoch nicht sagen, warum die Schulbehörde nicht die Öffentlichkeit informiert hat – auch er erfuhr von der Änderung erst nach PNN-Anfrage.
Einige Eltern profitieren aber auch
CDU-Experte Viehrig sagte aber auch, gleichwohl werde mit der Entscheidung das Prinzip „Kurze Beine, kurze Wege“ gestärkt: „Einige Eltern werden sich über die neue Praxis freuen, da sie plötzlich einen Platz bekommen, mit dem sie nicht gerechnet haben.“ Auch der Sprecher des Potsdamer Kreiselternrats, Markus Kobler, sprach von Entscheidung mit zwei Seiten: „Bis jetzt musste man Eltern erklären, warum ihr Kind nicht aufgenommen werden kann, obwohl andere Kinder weiter weg wohnen – jetzt muss man Eltern erklären, dass trotz Geschwister ihr Kind nicht in der Grundschule aufgenommen wird.“ Vorsichtig rechne er mit einigen Dutzend betroffenen Eltern in Potsdam, die nun neue Schulen suche müssen. Vergangenes Jahr waren in Potsdam 1780 Erstklässler eingeschult worden.
Ähnlich differenziert äußerte sich der Linke-Bildungsexperte Stefan Wollenberg. Zwar sei das Aussetzen der Regelung im Prinzip nachvollziehbar, wie er sagte. Für betroffene Familien mit mehreren Kindern bedeute die neue Regelung gleichwohl eine „erhebliche Härte“. Wollenberg weiter: „Die Schlussfolgerung gerade in Potsdam, wo alle Grundschulstandorte voll ausgelastet sind, kann nur sein, dass man bei der Planung der Platzkapazitäten nicht immer nur auf Kante nähen kann, sondern auch eine sinnvolle Reserve einplanen muss.“
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