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Nur im Notfall. In der Fahrerkabine der autonomen Tram sitzt Fahrer Manfred Kienitz – der jederzeit in das Fahrgeschehen eingreifen und eine Notbremsung vornehmen kann. Doch bei der Testfahrt am Montag war das nicht nötig. Der Zug erkennt die Verkehrssituation und bremst und beschleunigt eigenständig.
© Sebastian Gabsch

Nahverkehr in Potsdam: Weltneuheit: Autonom fahrende Straßenbahn erfolgreich getestet

Weltpremiere im Potsdamer Süden: Die autonom fahrende Tram hat ihren ersten Test mit Publikum bestanden.

Plötzlich wird ein Kinderwagen auf das Gleis geschoben. Doch Manfred Kienitz, der für den Notfall auf dem Fahrersitz der herannahenden Tram Wache hält, muss nicht selbst bremsen. Denn die Kameras und Sensoren der ersten autonom fahrenden Straßenbahn der Welt haben die Gefahr an das Computersystem im Wageninneren gemeldet. Das bremst die Straßenbahn scharf ab, sie kommt einige Meter vor dem Kinderwagen zum Stehen.

Neuheit aus dem Siemens-Konzern

Die Vollbremsung vor dem Kinderwagen, in dem sich aus Sicherheitsgründen natürlich kein Baby befand, war einer der Tests bei der ersten offiziellen Publikumsfahrt der Tram am Montagnachmittag. Der Siemens-Konzern hat zur Vorstellung dieser Weltneuheit eingeladen. Die Bahn des Typs Combino ist noch bis Freitag auf einem sechs Kilometer langen Teilstück zwischen dem Betriebshof des Verkehrsbetriebs (ViP) in der Fritz-Zubeil-Straße und der Wendeschleife an der Gaußstraße unterwegs – nur für Besucher der Berliner Bahntechnikmesse Innotrans.

Im Mittelpunkt des Interesses, neben der umgebauten Bahn und der Technik, steht Manfred Kienitz, der für die ViP seit fast 30 Jahren Trams fährt. Immer wieder bekommt er Fragen von Reportern. Ist das Fahren jetzt zu langweilig, lautet eine. Kienitz sagt: Das Fahren ist nun auf jeden Fall einfacher und sicherer. Und: „Ich vertraue der Technik in der Regel.“ Sollte etwas nicht klappen, muss er eingreifen.

Keine Komplikationen

Doch dazu kommt es nicht, die Testfahrt mit Publikum verläuft ohne Komplikationen. So erkennt die Bahn jede Ampel, bremst an Schienenübergängen leicht ab, beschleunigt von allein und bimmelt immer wieder, wenn an den Haltestellen jemand zu nahe kommt. Rund 80 Meter weit nach vorn reichen die Sensoren, erklärt ViP-Technikchef Oliver Glaser. Das sei bei einer maximalen Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde ausreichend. So fährt während des Tests plötzlich ein Auto vor die Bahn – auch hier gelingt es den Sensoren zu erkennen, dass gebremst werden muss. Auf mehreren Bildschirmen in den Wagen können die Fahrgäste verfolgen, wie die Computertram ihre Umgebung wahrnimmt, die Verkehrslage selbstständig bewertet.

Dass Potsdam für die Teststrecke ausgewählt wurde, liegt unter anderem an der Nähe zu Berlin – bei Adlershof hat Siemens eine Forschungsabteilung. Zudem sei der ViP schon lange Kunde von Siemens, hieß es. Vor dem Termin am Montag sei die Bahn schon seit Mai in einem geheimen Testbetrieb auf der relativ ruhigen Strecke knapp 3000 Kilometer gefahren, so der Siemens-Konzern, der das Forschungsprojekt auch finanziert. Diese mehrmonatige „Lernphase“ sei nötig gewesen, damit die Tram alle Eigenheiten der Strecke kennenlernt und jeweils adäquat reagieren kann, erklärt Siemens-Projektmanager Christian Klier, selbst gebürtiger Potsdamer: „Daher bin ich besonders stolz, dass wir jetzt hier fahren.“

Wie Potsdam profitieren kann

Und die Potsdamer sollen von dem Test profitieren: Die nun verwendeten Assistenzsysteme sollen bei der anstehenden Beschaffung neuer Straßenbahnen berücksichtigt werden und das Fahren sicherer machen, wie ViP-Chef Glaser sagt. Zudem führe Siemens zusammen mit dem Forschungszentrum Informatik der Universität Karlsruhe derzeit eine Studie in Potsdam durch, wie der ViP-Betriebshof automatisiert werden könnte – etwa ob „zeitintensive Rangierprozesse“ von Trams automatisch erfolgen können.

Auch Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) erlebt die Premierenfahrt mit. Auf solche innovativen Konzepte sei die Verkehrsplanung der Zukunft angewiesen – schon daher passe das Projekt nach Potsdam, sagt er. Zudem entbehrt die Weltpremiere nicht einer gewissen Ironie: So hatte der ViP vor den Sommerferien wegen eines Personalnotstands vorfristig einen Notfahrplan auflegen müssen – es sei immer schwieriger, genügend Personal zu finden, hieß es damals.

Doch laut Technikchef Glaser dürfte es noch 20 bis 30 Jahre dauern, ehe solche Bahnen ohne Fahrer wirklich zum Einsatz kommen. Für die öffentliche Akzeptanz solcher Systeme würden wohl zunächst stets noch Notfallfahrer benötigt. Und ob man so wirklich Personal sparen könne, sei die Frage, so Glaser: Nötig seien dann Angestellte in den Bereichen Überwachung und Kontrolle sowie mobile Teams mit Technikern, die bei Problemen schnell vor Ort sein könnten.

Daher würden sich die Berufsbilder im Verkehrsbetrieb (ViP) verändern. Zugleich macht Glaser aber auch deutlich, dass autonom fahrende Trams natürlich betriebswirtschaftlich günstiger fahren können – schon weil dann keine Fahrerzuschläge an Abenden oder am Wochenende fällig werden. Damit könne man irgendwann einmal mehr Fahrten für den gleichen Aufwand anbieten, so die Hoffnung der Entwickler. Insofern schaut auch Manfred Kienitz nicht sorgenvoll auf seinen Berufsstand, auch wenn die Aufgaben sich ändern könnten. Auf die Frage eines Reporters, ob er fürchte, dass er mit an der Abschaffung seines Jobs arbeite, sagt Kienitz: „Nein, eigentlich nicht.“

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