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Potsdam: „Was macht denn deine Bombe?“

Am Freitag wurde im Wohngebiet Am Stern eine Weltkriegsbombe entschärft. Rund 10 500 Potsdamer mussten ihre Wohnungen verlassen.

Am Stern - Am größten ist die Erleichterung vielleicht bei Rainer Fanghänel. Nach mehreren Tagen Ausnahmezustand kann der Potsdamer am Freitagnachmittag kurz nach halb zwei wieder in sein Haus. „Jetzt muss ich erstmal durchatmen“, sagt er sichtlich gerührt. Kurz vorher hatte Sprengmeister Mike Schwitzke die Weltkriegsbombe vor Fanghänels Haustür unschädlich gemacht. Jahrzehntelang war er fast täglich darüber gelaufen – das Geschoss schlummerte in 2,50 Meter Tiefe. Dabei hatte ihm sein Großvater sogar von dem Blindgänger erzählt. „Das ist aber in Vergessenheit geraten“, sagt Fanghänel, der seit 1969 in dem Haus wohnt. Bis zur Bombensprengung in München im August: „Meine Schwägerin rief mich an und fragte: Was macht denn deine Bombe überhaupt?“ Die Sache habe ihm keine Ruhe gelassen, er beauftragte auf eigene Kosten eine Firma, die die Bombe am Mittwoch dieser Woche fand. Für die Entschärfung am gestrigen Freitag wurde das Wohngebiet evakuiert, rund 10 500 Potsdamer mussten ihre Wohnungen verlassen. „Dass es so einen Umfang annimmt, das hätte ich nie erwartet“, sagt Fanghänel.

Es war das erste Mal, dass in Potsdam eine Weltkriegsbombe durch einen Bürgerhinweis entdeckt wurde, erklärte Elona Müller-Preinesberger (parteilos), die Beigeordnete für Soziales, Ordnung und Umweltschutz. Seit 2006 lässt die Stadt anhand von alten Luftaufnahmen systematisch nach Blindgängern suchen. Auf dem Gelände der Schulen und Kitas sei man damit mittlerweile „fast durch“, so die Beigeordnete. Insgesamt wurden seit 1990 in Potsdam mehr als 130 Weltkriegsbomben unschädlich gemacht. Auch der gestrige Einsatz auf dem Privatgelände sei von Stadt und Land bezahlt worden: „Diese Aktion kann kein Privater bezahlen“, sagt die Beigeordnete. Allein 330 Rathausmitarbeiter waren im Einsatz, zudem 50 Feuerwehrleute und 40 Polizisten. Rund 4500 Anrufer hatten sich auf der eingerichteten Hotline gemeldet.

Am Freitagvormittag dauert es mehr als viereinhalb Stunden, ehe Sprengmeister Schwitzke vom Kampfmittelbeseitigungsdienst überhaupt ans Werk gehen kann. Ab 7.30 Uhr durchkämmen Rathausmitarbeiter den Sperrkreis auf der Suche nach Verbliebenen, gleichzeitig steht das Leben am Stern still, Trams und Busse halten nur noch zum Einsteigen. „Wir klingeln überall. Wenn jemand rangeht, muss er raus“, erklärt Ordnungsamtsmitarbeiter Kai Lange das Verfahren. Doch die Suchtrupps treffen mehrere Bewohner auf Balkonen an. Überzeugungsarbeit ist gefragt – oder klare Worte von den begleitenden Polizisten: „Zwei Minuten hast du, dann kommst du raus. Die Zeit läuft.“

Feuerwehrleute bringen 112 Kranke und Bettlägrige ins Quartier in die Turnhalle der Coubertin-Schule. Mehr als 350 Potsdamer finden den Weg in die Schule, darunter auch Hannelore Leib. Erschreckt sei sie gewesen, als sie von der Bombenentschärfung erfuhr, berichtet die 84-Jährige. „Im Grunde sind das Nachwehen des Zweiten Weltkriegs und den haben wir selber verursacht“, überlegt die frühere Grundschullehrerin. Gegen halb zehn sind die Klassenräume im Erdgeschoss voll besetzt, trotzdem ist es ruhig. Die Ausquartierten warten in den Bankreihen, einige haben Kreuzworträtsel oder Strickzeug dabei, jemand hat seinen Hund auf dem Schoß.

Unruhe indes am Sperrkreis, wo die ersten Bewohner zurück wollen. Erst 12.06 Uhr kann Einsatzleiterin Ilona Hönes vor die Presse treten: „Der Sperrkreis steht jetzt.“ 50 Minuten später dann Aufatmen: Die Entschärfung ist geglückt. Um halb zwei überreicht Elona Müller-Preinesberger dem Sprengmeister als Dank eine Flasche Likör der Marke „Bombardino“. „Anspruchsvoll, aber weniger kompliziert“ sei die Arbeit gewesen, erklärt Mike Schwitzke. Von den zwei Zündern der Bombe sei beim Aufschlag vor mehr als 65 Jahren nur einer detoniert, der andere mit einer Sprengladung von rund 60 Kilogramm scharf geblieben. Weil der Zünder im Boden steckte, musste die Bombe vor der Entschärfung erst verlagert werden. Zudem hatte sich eine drei Zentimeter starke Sand- und Dreckkruste gebildet, die Schwitzke mithilfe von Öl entfernen musste, um die Zange ansetzen zu können. Auch das Herausdrehen des Zünders verlief nicht reibungslos: „Das Gewinde klemmte an manchen Stellen.“

Unterstützt wurde der 41-Jährige am Freitag von den beiden Munitionslagerarbeitern Ralf-Ingo Buchholz und Benno Riel. Sie sollten die Bombe am Nachmittag auch zum Zwischenlager fahren. „Später wird sie auf dem Sprengplatz in Kummersdorf kontrolliert gesprengt“, erklärt Schwitzke, der seit vier Jahren als Sprengmeister arbeitet. Angst habe er nicht gehabt: „Wenn ich Angst hätte, würde ich den Beruf nicht machen.“

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