Potsdam: Was bringt die Videoüberwachung am Hauptbahnhof?
Die Zahl der Straftaten am Potsdamer Hauptbahnhof ist in kurzer Zeit massiv angestiegen - trotz Videoüberwachung: Ist das Sicherheitskonzept für den Potsdamer Hauptbahnhof gescheitert?
Potsdam - Trotz Videoüberwachung mehr als doppelt so viele Straftaten innerhalb eines Jahres am Potsdamer Hauptbahnhof – aber das Innenministerium hat keine plausible Erklärung. Die Diskussion um die Sicherheitssituation am Hauptbahnhof dreht sich im Kreis. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) begründete die drastische Zunahme nun im Innenausschuss des Landtags mit dem Bevölkerungszuwachs in der Landeshauptstadt und dem größeren Besucherverkehr am Hauptbahnhof. Experten, Polizeivertreter und Landtagspolitiker halten das für nicht stichhaltig.
Erhebliche Zweifel daran, ob die Videoüberwachung überhaupt Wirkung zeigt, äußerten Ursula Nonnenmacher, die Innenexpertin der Grünen-Landtagsfraktion, und der Potsdamer Abgeordnete und Innenexperte der Linksfraktion im Landtag, Hans-Jürgen Scharfenberg.
Neuer Rekord: Anstieg von Straftaten über 125 Prozent
Dabei hatte es nach dem Start des Projektes vor 2000 zunächst vielversprechend ausgesehen: Die Zahl der Straftaten im überwachten Bereich sank stetig von 234 auf einen Tiefststand von 81 im Jahr 2010 und pendelte sich dann auf um die 100 ein. Seit 2014 ist aber wieder ein Anstieg zu beobachten, da kletterte die Zahl auf 127. Im vergangenen Jahr gab es dann 286 Straftaten. Das ist ein Anstieg um 125 Prozent binnen Jahresfrist – und neuer Rekord.
Das Polizeipräsidium verwies als Erklärung jüngst noch auf vermehrte Fahrraddiebstähle. Offenbar seien die Täter mutiger und schneller geworden. Die Fallzahl beim Fahrradklau verdoppelte sich 2015 auf 174. Zugleich sank die Aufklärungsquote von zehn auf sieben Prozent.
Unter Experten gilt als sicher, dass durch Videoüberwachung die Kriminalität nur in angrenzende Bereiche verdrängt wird. Aufschlussreich ist daher, wie sich die Kriminalität im weiteren Bahnhofsumfeld entwickelte. Auch dort, wo keine Kameras installiert sind, gab es einen Negativrekord: 2015 waren es 1550 Straftaten, gut 400 mehr als noch 2014. Zum Vergleich: Nach dem Start 2001 mit 1395 Straftaten blieb die Zahl bis 2009 deutlich darunter und bewegte sich zwischen 1000 und 1325.
Schröter: „Ohne Überwachung wäre die Kriminalität noch höher“
Innenminister Schröter sieht die Zahlen dennoch als Nachweis für die Notwendigkeit der Kameras: „Ohne Überwachung wäre die Kriminalität noch höher.“ Die wenigen zu diesem Thema gemachten Studien kommen aber zu einem anderen Ergebnis. So hat etwa die Videoüberwachung in der Berliner U-Bahn nichts an der Kriminalitätsrate geändert. Ähnliches wurde auch in London festgestellt, wo die Polizei flächendeckend Kameras überwacht.
Linke-Politiker Scharfenberg erinnerte daran, dass beim Start des Projekts, damals noch eines der Lieblingsvorhaben von Ex-Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), etwas ganz anderes geplant war. Speziell ausgebildete Kräfte sollten vor den Bildschirmen sitzen. „Wenn sie etwas sehen, sollten sofort polizeiliche Maßnahmen eingeleitet werden, um Straftaten zu verhindern“, sagte Scharfenberg. Die Umsetzung scheiterte aber – aus Personalmangel. „Heute reduziert es sich darauf, dass Straftaten im Nachhinein aufbereitet werden können“, sagte Scharfenberg. In nur wenigen Fällen hätte die Polizei während der Straftaten eingegriffen.
Polizei in Potsdam sei personell nicht in der Lage, sofort zu reagieren
Wie hilflos die Polizei ist, verdeutlichten die Ausführungen von Andreas Schuster, dem Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP): Das Konzept für die Videoüberwachung am Potsdamer Hauptbahnhof sei nie umsetzbar gewesen, sagte er. Damit rund um die Uhr Beamte die Kamerabilder prüfen und Verdächtiges melden können, fehle es heute noch weitaus mehr an Personal als beim Start des Projekts. „Wir wissen, dass wir nicht reagieren können“, so Schuster. Selbst wenn ein Beamter etwas beobachte, sei die Polizei in Potsdam „personell gar nicht in einer angemessen Zeit in der Lage, sofort zu regieren und einem Streifenwagen vorbeizuschicken, um den Täter aufzugreifen“, sagte Schuster.
Tatsächlich wird die Mehrzahl der Straftaten im überwachten Bereich erst im Nachhinein festgestellt. Und selbst dann müssen die Ermittler hoffen, dass die Löschfrist von 48 Stunden noch nicht abgelaufen ist und die Videobilder noch geprüft werden können.
Die Darstellung des Innenministeriums – die seit Jahren wachsende Bevölkerung bringt mehr Kriminalität auch am Hauptbahnhof – trägt auch nicht beim Blick in die Polizeistatistik. Gleicht man die Kriminalitätsrate am Hauptbahnhof mit der Gesamtzahl der Straftaten in Potsdam ab, ist das Ergebnis uneinheitlich. Der Blick auf die Zahlen der Vorjahre zeigt: Es gab Jahre mit mehr Gesamtkriminalität, aber weniger Fällen am Bahnhof. Zudem gibt der Bericht der Innenministeriums keine Auskunft darüber, wie viele Straftaten mit Hilfe der Kameras verhindert oder aufgeklärt werden konnten.
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Um tatsächlich abschreckend zu wirken, speziell auf Fahrraddiebe, müsste deutlich mehr Personal für die Überwachung zur Verfügung stehen. Ein Kommentar >>
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