Potsdamer Sportleben: „Warum nicht Fußball auf dem Supermarktdach?“
Vor dem Potsdamer Stadtsportball spricht Stadtsportbund-Vorstandsmitglied Andreas Gerlach im PNN-Interview über die kreative Suche nach freien Sportflächen, die Rolle des Spitzensports in der märkischen Metropole und die Schwierigkeit, viele Zuschauer zu den Sportveranstaltungen zu locken.
Herr Gerlach, das neue Jahr ist noch jung genug, um einen Wunsch zu äußern. Was wünschen Sie sich denn für die Sportstadt Potsdam in 2017?
Dass der Potsdamer Sport an die vergangenen Jahren anknüpfen kann, dass er sich weiter so positiv entwickelt. Und dass die außenpolitischen Einwirkungen keine negativen Auswirkungen auf den Sport in Gesamtdeutschland haben. Es soll friedlich Sport getrieben werden.
Warum ist Potsdam denn tatsächlich eine Sportstadt?
Weil erstens sehr viele engagierte Frauen und Männer sich hier in ihrer Freizeit ehrenamtlich für den Sport einsetzen. Zum Zweiten ist es natürlich die große Tradition mit den großen Erfolgen. Und es gibt hier zahlreiche Sportstätten, was die Möglichkeit bietet, eine Vielfalt an Sportarten zu betreiben.
Ist man sich in Potsdams Amtsstuben und kommunalpolitischen Gremien der Bedeutung des Sports ausreichend bewusst?
Im Großen und Ganzen: ja. Aber wenn es so in Details geht, dann gibt es viele Dinge, die dem Sport vorangestellt werden. Das ist manchmal auch schon ein bisschen traurig. Denn man muss ganz klar sagen: Der Sport ist die größte gesellschaftliche Organisation – auch hier in Potsdam. Mit der Anzahl der Mitglieder, der Engagierten und Veranstaltungen. Daher würde man sich an der einen oder anderen Stelle schon etwas mehr Unterstützung wünschen.
Was meinen Sie konkret?
Es geht um die Unterstützung für Veranstaltungen – zum Beispiel hinsichtlich der Bürokratie. Es geht um schnelle Hilfe, wenn mal was kaputt ist, und die Unterstützung bei der Übungsleiterausbildung. Dort gibt es Förderung durch die Stadt, aber die ist über die vergangenen Jahre recht stabil und hat sich aus unserer Sicht nicht dem angepasst, wie die Entwicklung wirklich ist.
Also Sie glauben, dass die Unterstützung und Begleitung des Potsdamer Sports nicht mit der Entwicklung der Stadt mithält?
Ja. Daher müssen wir auch immer wieder mahnen, dass man der gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird und die notwendigen Schritte gegangen werden.
Zeichnen Sie doch mal ein gesellschaftliches Bild der Stadt ohne Sport.
Potsdam wäre für mich eine Kulturstadt mit vielen wunderschönen Gebäuden, zu denen viele Leute hinkommen, diese sich angucken und wieder losfahren. Und natürlich auch eine Stadt der Wissenschaft und Behörden. Potsdam ist attraktiv. Aber die Stadt muss eben auch für die Bewohner attraktiv bleiben – und da gehört der Sport entscheidend dazu.
Inwiefern schafft es denn der Sport, in dieser wachsenden Stadt genügend Angebote zu machen?
Das nötige Angebot wird bereitgestellt. Man muss jedoch nicht auf jede Trendsportart aufspringen und man kann auch nicht überall alles haben. Also wenn hier jemand kommt und sagt, er möchte unbedingt Skispringen in Potsdam, dann soll er machen, allerdings wird die Umsetzung dann kaum möglich sein. Wir haben ein gängiges und breites Spektrum, das es so auch in Zukunft geben wird, denn unsere Quote bei der Ausbildung von Übungsleitern – sei es im Breiten-, Kinder- oder Gesundheitssport – ist gut.
Siegfried Kirschen, der Präsident des Fußball-Landesverband Brandenburg, hat zuletzt erklärt, dass es in seinem Verband immer größere Probleme gebe, weil die Zahl der Ehrenamtlichen sinke. Das Problem sehen Sie im Potsdamer Sport also nicht?
Die Entwicklung in der ehrenamtlichen Tätigkeit – das tangiert ja nicht nur den Sport – ist nicht einfach. Ganz klar. Aber wenn etwas nicht einfach ist, dann wird daraus immer ganz schnell ein Problem gemacht. Wir erkennen in Potsdam, dass unser Angebot für Übungsleiterausbildungen gut klappt. Wenn man sich in den Kursen umsieht, dann sind da sehr viele junge Menschen dabei.
Am kommenden Samstag wird der „Walk of Fame“ im Sportpark Luftschiffhafen um die Olympia- und Paralympics-Medaillengewinner von Rio 2016 erweitert, danach wird die MBS-Arena beim Stadtsportball zur Tanzfläche. Sportflächen werden in der Stadt derweil als Mangelware angesehen. Kann jeder Potsdamer da Sport treiben, wo er möchte?
Dass hier jemand nicht Sport treiben kann, weil keine Fläche vorhanden ist, ist mir in der Form nicht bekannt. Dass er vielleicht nicht auf der Fläche ran darf, wo er gerne möchte, oder dort nicht allein, zu zweit oder zu dritt ist, mag sein. Denn: In den Stoßzeiten werktags zwischen 15 und 20 Uhr ist es eng, sehr eng, definitiv. Unsere Ausstattung mit Sportflächen ist prinzipiell gut, aber sie könnte besser sein.
Wie genau?
Wir profitieren derzeit stark vom Schulbauprogramm. Dadurch entstehen viele neue Flächen. Allerdings werden beim Bau von Schulsportflächen Vorgaben durch das Land gemacht, die auf ein Minimum abzielen. Es entstehen dann in diesem Zuge Hallen und Plätze, die zum Teil nicht der Norm für Wettkämpfe entsprechen. Dahingehend sollte nachgebessert werden, ansonsten bleibt es ein Dilemma. Allerdings ist es nicht das einzige.
Welches gibt es noch?
Langfristig wird es schwierig, überhaupt noch freie Flächen in Potsdam zu finden, um Sportanlagen zu bauen. Priorität hat der Wohnungsbau, an zweiter Stelle der Schulbau – und dann muss man zusehen, wo man mit dem Sport hin kann.
Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus?
Man wird umdenken müssen. Alternativen müssen erdacht werden, Erfindungsreichtum ist gefragt. Warum denn nicht ein altes Lagergebäude zur Sportstätte umbauen? Oder warum nicht auf dem Dach eines großen Supermarkts oben ein Fußballfeld raufsetzen? In anderen Städten und Ländern ist das schon üblich.
Eine schmucke, wettkampftaugliche Sportstätte in Potsdam ist die MBS-Arena. Diese ist allerdings chronisch defizitär. Wie bewerten Sie den Vorstoß aus dem Rathaus, dass Vereine wie der Volleyball-Bundesligist SC Potsdam und Handball-Drittligist VfL Potsdam einen größeren finanziellen Beitrag für die Nutzung der MBS-Arena leisten sollen als bisher?
Wenn man solch große Veranstaltungsflächen nutzt, kann man nicht immer davon ausgehen, dass das kostenfrei geschieht. Das ist erst mal die Grundeinstellung von mir. Wie hoch die Nutzungsentgelte dann sind, muss man abwägen. Der momentane Stand ist, dass es für die Vereine durchaus realisierbar ist. Aber wenn da jetzt eine Betriebskostenexplosion stattgefunden hat, die auf die Vereine umgelegt werden soll, dann muss man darüber reden. Man muss aber auch ganz klar sagen: Wir haben in Potsdam keine Profivereine. Das sind zwar Clubs, die höherklassig spielen, aber nicht vergleichbar sind mit beispielsweise Borussia Dortmund im Fußball oder dem THW Kiel im Handball. Entsprechend müssen dann Lösungen gefunden werden, die für die Vereine erträglich sind.
Eine Idee, wie die Lösung aussehen kann?
Die Vereine sind Aushängeschilder von Potsdam. Und für solche ist es nicht unüblich, dass Städte darin investieren. Ich sehe da schon eine gewisse Verantwortung der Stadt, wenn es denn gewollt ist, sich diese Vereine als Marken in der Stadt zu halten. Dafür muss dann eben was getan werden – zum Beispiel, indem man nur moderate Beiträge für die Hallennutzung verlangt.
Zu einer besseren Finanzierung würde natürlich helfen, wenn möglichst viele Zuschauer zu den Spielen strömen. Das ist in Potsdam aber eher nicht der Fall, die Besucherzahlen halten sich in Grenzen. Ob nun beim SC Potsdam und VfL Potsdam in der MBS-Arena oder bei Babelsberg 03 und Turbine im Karl-Liebknecht-Stadion. Beispiel Turbine: Dort ist der Zuschauerschnitt über die vergangenen Jahre hinweg stetig gesunken – selbst in der erfolgreichen aktuellen Saison ging es bislang noch weiter runter. Wie ist der überschaubare Zuschauerzuspruch zu erklären?
Das ist eine Geschichte, die uns auch schon über viele Jahre verfolgt und beschäftigt. Das breite Angebot an Sportveranstaltungen hier in Potsdam ist sicherlich ein Faktor bei diesem Phänomen. Wir haben auch nicht die ganz großen Zuschauermagneten wie einen Fußball-Bundesligisten der Männer. Dennoch wirken diese Vereine – und das ist wichtig – über die Medien weit in Deutschland hinein, teilweise auch darüber hinaus, wenn Turbine zum Beispiel im Europapokal antritt.
Ist die Nähe zu Berlin und die Konkurrenz zu dem dortigen hochkarätigen Sportangebot eine Erklärung?
Auch. Es ist vor allem aber eine Frage der Zeit. In Potsdam muss sich ja erst einmal ein fester Stamm an Fans bilden – das geht nicht von jetzt auf gleich. Sicherlich könnte man versuchen, die Attraktivität einer Mannschaft noch mal drastisch zu steigern – aber dafür braucht es eben wieder eine ganze Menge Geld. Ich denke, dass ist nicht der Weg, der gegangen werden sollte. Stattdessen sollten wir weiter kontinuierlich mit den Vereinen und den Fans zusammenarbeiten, damit sich die Lage nicht nur stabilisiert, sondern auch verbessert.
Stichwort: verbessern. Darum geht es im Spitzensport, es ist das Streben nach der Top-Leistung. Warum braucht Potsdam den Spitzensport?
Die Frage kann man generell stellen, nicht nur auf Potsdam bezogen. Warum braucht man auf der Welt Spitzensport?
Und zwar warum?
Weil Spitzensport ein Motor für viele Dinge ist. Er hat eine Vorbildfunktion, wirkt sich positiv auf den Schulsport, die breitensportliche Vereinsentwicklung, die Gesellschaft an sich aus. Und für Potsdam haben die Erfolge der Spitzenathleten eine sehr große Marketingwirkung. Allein deshalb muss man das befürworten. Durch die lange Tradition ist auch bereits hier ein gewisses Selbstverständnis entstanden: Potsdam hat eine Spitzensportaffinität – und ich bin mir sicher, dass das so bleibt.
Wie schwer fällt es denn, Spitzensport mitzuorganisieren, wenn Veranstaltungen wie Olympia inzwischen so sehr vom Kommerzgedanken und der Dopingproblematik bestimmt werden?
Das kann man nicht gutheißen. Nichtsdestotrotz wird das die Motivation der Menschen, sich bis in den Spitzensportbereich miteinander zu messen, nicht stoppen. Wir sehen den sportlichen Vergleich der Leistungsfähigkeit weiterhin als enorm wichtiges Element der gesamten Menschheit an.
Werden Sie bei Ihrer Arbeit mit den Kritikpunkten am Spitzensport konfrontiert?
Ständig, selbstverständlich. Wir leben ja nicht in einer Kiste, die hier im Raum steht. Natürlich werden wir mit den Negativerscheinungen Doping und übertriebener Kommerz konfrontiert. Das stimmt nachdenklich, wir setzen uns damit auseinander. Aber das hält uns nicht davon ab, die Elitebildung im Sport zu fördern.
In Deutschland wird gegenwärtig der Spitzensport neu geordnet. Wie beurteilen Sie das Reformvorhaben?
Generell ist der Konzentrationsprozess im deutschen Sport notwendig. Wir haben seit Jahren einen Rückgang in der Gesamtheit der Talente in Deutschland. Egal, in welcher Sportart. Um dem entgegenzuwirken, braucht es eine konzentrierte, intensivere Förderung. Es gab bislang ein gewachsenes System aus Bundesstützpunkten, das ziemlich groß und flächendeckend war und zum Teil aus politischen Intentionen entstanden war. Jetzt wird versucht, das sportfachlich neu zu organisieren. Das ist eine schwierige Geschichte, wenn eben gewachsene Strukturen aufgebrochen werden. Wichtig ist dabei: An den weiterhin geförderten Standorten muss eine vernünftige Ausstattung beibehalten werden – also die finanzielle Unterstützung des Bundes für Trainerstellen, Sportstätten und Athletenbetreuung muss stimmen.
Die von Ihnen angesprochene Konzentration bedeutet: Schrumpfkur für mehr Effizienz. Einige Bundesstützpunkte sollen wegfallen. Bisher hatte Potsdam sieben dieser Elite-Einrichtungen: Kanu-Rennsport, Leichtathletik, Triathlon, Moderner Fünfkampf, Wasserball, Rudern und Schwimmen. Um die Zukunft der beiden letztgenannten wurde und wird besonders intensiv debattiert. Wie ist der aktuelle Sachstand für diese zwei Fälle?
Also nachdem für das Rudern zunächst sehr, sehr negative Zeichen da waren, hat nun ein Erkenntnisgewinn beim Deutschen Ruderverband eingesetzt, dass Potsdam viel für den Fortbestand des Bundesstützpunktstatus tut. Die herausragende Nachwuchsarbeit und dass sich noch mal in der Trainerarbeit zusammengerauft wurde, um die Leistungen zu optimieren, sind gut beim Verband angekommen. Um es zu betonen: Noch ist nichts entschieden – aber ich denke, dass wir beim Rudern auf einem sehr guten Weg sind mit der angestrebten gemeinsamen Bundesstützpunktlösung Potsdam/Berlin.
Und wie steht es um das Schwimmen?
Dort sind wir auf einem guten Weg. Im Deutschen Schwimm-Verband ist derzeit viel in Bewegung. Es gibt ein neues Präsidium, intern wird einiges hin- und hergeschoben und geguckt, welche Aufgaben wo landen werden. Dadurch ist alles ein bisschen in der Schwebe. Aber die Karten für Potsdam stehen nicht schlecht.
Jüngst hatte Chefbundestrainer Henning Lambertz im Interview mit der „Westdeutschen Zeitung“ klar gemacht, dass seiner Ansicht nach Berlin, Hamburg, Heidelberg und Essen als Bundesstützpunkte für die Beckenschwimmer gesichert seien und die Entscheidung bezüglich des fünften noch offenen Standorts zwischen Halle/Magdeburg und Potsdam fällt.
Na bitte, dann sind wir schon bei einer 50:50-Chance. Vorher war die Chance viel kleiner. Der DSV (Deutscher Schwimm-Verband, Anm. d. R.) weiß um die guten Bedingungen in Potsdam, deshalb gehört der Standort überhaupt erst zu den heißen Anwärtern. Nun muss der DSV – die anderen Fachverbände natürlich jeweils für sich auch – abwägen, wie mit den begrenzten Mitteln umgegangen wird. Allein dieser Prozess der Auseinandersetzung ist doch aber schon sehr hilfreich für den deutschen Sport, finde ich. Was da dann für das Land Brandenburg und die Stadt Potsdam herauskommt, bleibt abzuwarten.
ZUR PERSON: Andreas Gerlach (56) ist als Schatzmeister ehrenamtliches Mitglied im Vorstand des Stadtsportbundes Potsdam. Zudem arbeitet er als Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes Brandenburg. Gerlach zählte während seiner leistungssportlichen Karriere zu den besten Degenfechtern in der DDR. Mehrfach gewann er die nationale Meisterschaft. Durch den Boykott des Ostblocks der Sommerpiele 1984 in Los Angeles blieb ihm eine Olympia-Teilnahme versagt.
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