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Bobsport beim SC Potsdam: Vorbildliches Sportler-Recycling

Der SC Potsdam ist bekannt für seine gute Förderung von Bobanschiebern, die er als Quereinsteiger aus der Leichtathletik gewinnt. In Anerkennung der starken Arbeit wurde dem Verein nun ein bedeutsamer Preis verliehen: das "Grüne Band".

Jörg Weber fallen reichlich Eigenschaften ein, die es braucht, um im Bobanschieben erfolgreich zu werden. „Man muss schnell und explosiv sein, Kraft haben, teamfähig sein und durchaus handwerkliches Geschick besitzen, denn es wird viel an den Bobs herumgebaut, damit sie optimal fahren“, erklärt der Potsdamer Anschiebertrainer. Doch es gibt noch zwei weitere ganz wichtige Voraussetzungen: „Die Leute müssen angstfrei und ein bisschen verrückt sein. Mit bis zu 150 Stundenkilometern den Eiskanal herunterzurauschen, ist nämlich irre.“

In Brandenburgs Landeshauptstadt ließen sich schon zig solcher energischer Adrenalinjunkies finden. Und sie wurden dort geformt. Zu deutschen Spitzenanschiebern, Europa- und Weltmeistern oder gar Olympiasiegern. Für ihre gute, kontinuierliche Talentförderung erhielt die Bobabteilung des SC Potsdam nun vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und der Commerzbank das „Grüne Band“. Dies ist die höchste nationale Auszeichnung im Nachwuchsspitzensport, die hinsichtlich des Jahres 2016 auch an die Handballer des VfL und Judoka des UJKC Potsdam ging. Die SCP-Bobsektion bekam den Preis am Mittwochnachmittag in der Leichtathletikhalle des Luftschiffhafens überreicht.

Talenten wird eine zweite Chance geboten

Jener Ort ist zugleich die Keimzelle der Potsdamer Bobaktivitäten. „Da es als ein Rennsport eingestuft wird, darf man erst mit 18 Jahren Bob fahren. Es wirken dabei g-Kräfte im Bereich von bis zu fünf oder sechs, was bei dieser Häufigkeit der Belastung für heranwachsende Körper einfach schädlich ist. Deshalb“, führt Coach Jörg Weber aus, „können wir nicht wie in anderen Sportarten von klein auf fördern, sondern leben von den Quereinsteigern.“ Vor allem kommen sie aus der Leichtathletik. Sprinter, Werfer, Mehrkämpfer – sie sind prädestiniert für den Job als menschliche Starthilfe. „Weil wir hier in Potsdam eine gute Leichtathletikabteilung haben, wo die Trainer tolle Vorarbeit leisten, können wir mit unserer Anschieberschule hervorragend davon profitieren.“

Grundsätzlich ist es ein vorbildliches Modell des Sportler-Recyclings. „Genauso kann man es sagen“, bestätigt der 52-Jährige: „Viel Geld wird in die Förderung von Nachwuchsleichtathleten gesteckt. Kommen die dann nicht oben in der Spitze an, wäre es doch schade, wenn all der Aufwand verpuffen würde. Stattdessen versuchen wir, den Talenten eine zweite Chance in einer anderen Sportart zu geben. Gewinnen sie dann irgendwann internationale Medaillen, ist das doch für alle perfekt.“ Das Prinzip geht in Potsdam bestens auf. Lang ist die Liste großer Boberfolge von hiesigen Athleten. Allein der ehemalige Sprinter Kevin Kuske brachte es nach der Jahrtausendwende auf vier Olympiasiege sowie jeweils sechs EM- und WM-Titel.

Seit 2000 SCP-Abteilung und Landesverband

Die Anfänge der Potsdamer Anschieberei reichen allerdings noch viel weiter zurück. „Bereits 1972 sind die ersten Leichtathleten von hier zum Bobsport gewechselt“, so Peter Rieger. „Und es folgten immerzu weitere.“ Wie der Geschäftsführer des SC Potsdam erläutert, wurde das Potenzial dieser Bewegung sukzessive größer und sollte letztlich auch stärker für die Region genutzt werden: „Wir wollten das Ganze besser koordinieren und systematisch aufbauen. Deshalb haben wir im Jahr 2000 beim SC Potsdam eine eigene Bobabteilung gegründet – sowie den Bob- und Schlittensportverband Brandenburg.“ Zunächst lag der Fokus dabei ausschließlich auf der Unterstützung von Anschiebern, ehe sogar komplett eigene Crews in die Eisrinnen der Welt geschickt wurden. „Aber das war finanziell sehr kostspielig. Inzwischen sind wir zurück zu den Wurzeln gegangen und konzentrieren uns wieder nur auf das Anschieben“, sagt Rieger.

Aktuell gehören zehn Sportler – immerhin drei von ihnen sind für die am heutigen Freitag beginnende Weltmeisterschaft am Königssee nominiert – zur SCP-Bobgruppe. Deren Betreuung übernimmt Jörg Weber. Er sorgt am Standort Potsdam, der in der Schwerpunktsetzung des DOSB als nationaler Athletikstützpunkt gefördert wird, dafür, dass die Männer und Damen die Qualität entwickeln, um ihre Vehikel bestmöglich auf Touren bringen. Das vorrangig aus Sprint- und Kraftübungen bestehende Training zielt unter dem Strich auf eine Arbeitszeit von rund fünf Sekunden ab. „So lange wird der Bob über etwa 50 Meter angeschoben, ehe eingestiegen wird. Das klingt wenig. Aber das Training ist hochintensiv und mental extrem anspruchsvoll. Es muss sich auf die Herausforderung des Wettkampfs vorbereitet werden – in dem kommt es darauf an, die Kraft richtig einzusetzen und keinen noch so kleinen Fehler zu machen. Vermasselt man etwas beim Start, kostet das Geschwindigkeit. Auf der Fahrt lässt sich das nur schwer wieder ausmerzen“, erzählt Weber.

Neue, moderne Anschubstrecke für Potsdam

Dessen Anschiebertruppe darf sich nunmehr darüber freuen, selbst einen Anschub zu erhalten. Und zwar in finanzieller Hinsicht. Die 5000 Euro Preisgeld des „Grünen Bandes“ sollen für Reisekosten genutzt werden, berichtet SCP-Geschäftsführer Peter Rieger: „Die Jungs und Mädels machen zwar ihr Athletiktraining in Potsdam, aber müssen natürlich sehr oft zum Bahntraining nach Oberhof, Altenberg oder Königssee. Für diese Fahrten kommt das Geld als weitere Unterstützung sehr gelegen.“

Zusätzlich gestärkt werden die Potsdamer Bobsportler derweil auch mit einer anstehenden infrastrukturellen Verbesserung. „Dieses Jahr soll die neue, moderne Anschubstrecke am Luftschiffhafen fertiggestellt werden, was das Trainingsniveau weiter erhöhen wird. Künftig soll dann Deutschlands Anschieberelite noch mehr hier bei uns konzentriert werden.“ In Potsdam, einer Stadt, die prinzipiell nicht zwingend wie eine Wintersporthochburg anmutet, es aber dank seiner verrückten und clever recycelten Schlittenbeschleuniger tatsächlich ist.

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