STATIONEN: Von Häusern und Menschen
Zweiter Potsdamer Stadtspaziergang: Mit dem Denkmalpfleger Jörg Limberg durch die Villenkolonie Babelsberg Erfreuliche Nachricht im Kaiserschloss: Ab Juni 2006 wieder Besichtigungen möglich / Glinka-Bötzow, der doppelte Hoflieferant
Am 30. September 1883 veranstaltete Adolph L''Arronge eine stimmungsvolle Feier. Anlass war die Gründung des Deutschen Theaters in Berlin, das zu einer künstlerischen Institution werden sollte. Mit am Tisch saßen seine Societäre, vier damals sehr bekannte Schauspieler. Die Feier fand in Babelsberg statt. L''Arronge hatte nämlich bereits 1878 die Grundstücke Ringstraße 6 und 16 in der im Entstehen begriffenen Villenkolonie Neubabelsberg gekauft. Der Modeschriftsteller war unter anderem mit Volksstücken wie „Mein Leopold“ oder „Hasemanns Töchter“ nicht nur bekannt, sondern auch reich geworden.
Diese Geschichte erzählte Jörg Limberg vor dem Haus Virchowstraße 43, wie die Ringstraße heute heißt. Der Potsdamer Denkmalpfleger hatte die Führung des zweiten PNN-Stadtspaziergangs übernommen. Er stellte die von italisierenden Palästen über englische Landhäuser und alpenländisch angehauchte Bauten bis zu Gebäuden im Heimatstil reichenden Villen nicht nur architektonisch, sondern stets mit Bezug auf ihre prominenten Bewohner vor. Die mehr als 40 teilnehmenden Leser führte Limberg damit von einem Aha-Erlebnis zum nächsten.
L'' Arronges Villa ging später in den Besitz des jüdischen Bankiers Jakob Goldschmidt über. Er hatte durch risikoreiche Geschäfte, „feindliche Übernahmen“ (den Begriff gab es damals noch gar nicht) und den Aufkauf von Unternehmen einen neuen, aggressiven Bankenstil eingeführt. Der machte ihn steinreich, verschaffte ihm aber auch ungezählte Neider und Feinde. Seine extravaganten Partys versäumte aber kaum einer der prominenten Nachbarn, die ihn abschätzig „das Jaköble“ nannten. Goldschmidt soll in einen Baum seines zum Griebnitzsee hinunterführenden Parks sogar ein Telefon eingebaut haben. Es übermittelte ihm die neuesten Börsennachrichten, und er soll dann mitten in der Party seine Orders „Kaufen - verkaufen“ gegeben haben. Da Hochmut vor dem Fall kommt, verlor er 1932 beim großen Bankenkrach sein Vermögen.
Ausgangspunkt des Stadtspaziergangs war die Truman-Villa, die heute der FDP-nahen Naumann-Stiftung dient. Von der Originalausstattung ist nach der Brandstiftung im Jahr 2000 leider wenig geblieben. So konnte Geschäftsführer Rolf Berndt die Wandtäfelungen und die schweren dunklen Möbel nur schildern, die Truman, Stalin, Churchill, Marschall Shukow, Eisenhower und auch George Marshall gesehen haben, dessen Marshallplan die Bundesrepublik ihren wirtschaftlichen Wiederaufstieg nach 1945 mitverdankt. Auf die Streitfrage, ob der amerikanische Präsident hier den Befehl zum Atombombenabwurf auf Hiroshima gab, ging Berndt nicht ein. Sicher sei aber, dass in der Villa das Ultimatum entstand, in dem Truman Japan vergeblich zur Kapitulation aufforderte.
Jörg Limberg schloss am Startpunkt der Tour einen kurzen Überblick über das Entstehen und Wachsen der Villenkolonie Neubabelsberg an, die auf die Architekten Hermann Ende und Wilhelm Böckmann zurückgeht. Ab 1873 entstanden in mehreren zeitlichen Schüben bis in die 20er Jahre die Behausungen für Großindustrielle, Bänker, Verleger, Architekten, Schriftsteller und natürlich die Filmstars der UFA. Der Denkmalpfleger wählte dann statt des vorgesehenen Kurses über die Robert-Koch- und Rosa-Luxemburg-Straße den Bogen durch die Virchowstraße, aber er tat recht daran, wenn so auch die Villa von Marika Rökk, Adenauers Wohnhaus und das Domizil des Arbeiterschriftstellers Hans Marchwitza auf der Strecke blieben. Limberg konnte auf der neuen Route, siehe L''Arronge, Geschichten erzählen, die nun wirklich kaum einer kennt. Denn auch die Kenntnisse des „alten Potsdamers“ über die Villenkolonie sind ja sehr begrenzt, da sie nach dem Bau der Mauer am und im unzugänglichen Grenzgebiet lag. Am Johann-Strauß-Platz 11 trafen geplante und gelaufene Strecke dann wieder zusammen. Die Besucher durften das zum Verkauf stehende Landhaus, das Hermann Muthesius 1921/22 für den Seidenfabrikanten Hans Guggenheim erbaut hatte, sogar betreten. Hier soll die spätere Eigentümerin, die Filmschauspielerin Brigitte Horney, dem verfemten Autoren Erich Kästner 1942 die Möglichkeit gegeben haben, sein Drehbuch für den Film „Münchhausen“ zu schreiben, die wohl fantasievollste UFA-Komödie.
Der Weg durch die Villenkolonie endete in der Spitzweggasse, wo neben Mies van der Rohes 1907 geschaffenem Erstlingswerk die Villa Sarre aus dem Jahr 1906 steht. Friedrich Sarre war der Leiter der Islamischen Abteilung des Berliner Kaiser-Friedrich-Museums. Oft wurde er von seinem Freund Enver Bey (später Enver Pascha) besucht, dem türkischen Militärattaché, der dann als Kriegsminister so schwere Schuld bei der Verfolgung der christlichen Armenier auf sich lud.
Die Stadtspaziergänger machten auch im Astrophysikalischen Institut Station, wo sie von Bibliotheksleiterin Regina von Berlepsch empfangen wurden. 1913 war die 1711 durch König Friedrich I. begründete Sternwarte aus Berlin, da der Nachthimmel durch den Lichterglanz der Großstadt und die Staubbelastung der Luft keine Sternenbeobachtungen mehr zuließ, an den Rand des Babelsberger Parks geflüchtet. Seit 1967 finden sie aus gleichen Gründen auch hier nicht mehr statt, die Daten laufen aus weit entfernten Sternwarten, Teneriffa beispielsweise, auf die Computer ein. 1946 waren die meisten der Präzisionsgeräte als Reparationen in die Sowjetunion abtransportiert worden, an dem einmaligen Buchbestand zeigten die Besatzer jedoch weniger Interesse. Die Bibliothek, mehretagig im Rund eines der Kuppeltürme untergebracht, ist deshalb heute mit bis ins Jahr 1482 (!) zurückreichenden Titeln unter anderem von Tycho Brahe, Kepler oder Kopernikus für Besucher eine Hauptattraktion. Jeden letzten Donnerstag im Monat haben sie Gelegenheit, mit Regina von Berlepsch einen Rundgang durch die Sternwarte zu unternehmen.
Letzte Station der Wanderung – die Stadtspaziergänge sind zugleich ein kleiner Vorgeschmack auf das kommende Themenjahr von Kulturland Brandenburg, in dem sich alles um die Baukunst drehen soll – war zur Mittagszeit Schloss Babelsberg. Weil aus Finanznot die Sanierung und Restaurierung des Kaiserschlosses ins Stocken geraten ist, kann es seit 2003 nicht mehr besichtigt werden. Für die PNN-Leser aber wurde es durch den jungen Historiker Marcus Prost geöffnet. Erfreulichste Nachricht: Ab Juni 2006, wenn die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten an 23 Orten eine große Ausstellung zur Restaurierung zeigt, ist es für das Publikum wieder geöffnet.
Zweite erfreuliche Mitteilung an die Stadtspaziergänger, die gut drei Stunden empfindlicher Kühle und gelegentlichem Schneetreiben getrotzt hatten: Das Betreiberehepaar der Gaststätte „Kleines Schloss“ lud sie auf eine wärmende Ingwersuppe, Glühwein und Tee ein. Arnd Gilka-Bötzow berichtete über das Lokal, eins aber ließ der Wirt unerwähnt: Er steht gleich doppelt in der Tradition der kaiserlichen Hoflieferanten, die Wilhelm I. in seinem Schloss mit Getränken versorgten. Der eine Vorfahre von ihm, Bötzow, lieferte das Bier, der andere, Gilka, den Lieblingskümmel des alten Kaisers.
Von der Rudolf-Breitscheid-Straße bis zur Spitzweggasse ziehen sich die 176 Nobelbauten der Villenkolonie Neubabelsberg hin – darunter auch das Erstlingswerk von Ludwig Mies van der Rohe (Foto oben) und die zum Verkauf stehende Muthesius-Villa am Johann-Strauß-Platz (Foto Mitte). Viele der Villen gehörten vermögenden jüdischen Familien. Am Ende der Spitzweggasse erinnert ein Gedenkstein an die letzten Babelsberger Juden, die von hier aus 1943 in die Vernichtungslager deportiert wurden. Zur Einkehr lädt wieder die Gaststätte im ehemaligen Hofdamenhaus ein. Aus den „Strandterrassen“ der DDR-Zeit wurde das „Kleine Schloss“ mit anspruchsvoller Ausstattung und Angebot – hier konnten sich die PNN-Spaziergänger aufwärmen (Foto unten). eh
Erhart Hohenstein
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