Potsdamer Linke-Kreischef Krämer gibt sein Amt auf: "Viele Debatten in Potsdam werden viel zu verbissen geführt"
Der Potsdamer Linke-Kreischef Sascha Krämer gibt aus privaten Gründen sein Amt auf. Im PNN-Interview blickt er mit gemischten Gefühlen auf seine Arbeit zurück.
Herr Krämer, Ihre Frau arbeitet demnächst für die Friedrich-Naumann-Stiftung in Südafrika, Sie kommen mindestens für eineinhalb Jahre mit. Was machen Sie dann eigentlich – außer Kinderbetreuung für ihren kleinen Sohn?
Erst einmal ankommen, uns einrichten. Ich darf in dem Land laut Gesetzeslage nicht arbeiten, daher werde ich mich meinem Fotografie-Hobby widmen, auch versuchen ehrenamtlich aktiv zu sein. Was klar ist: In den eineinhalb Jahren werde ich auch einen Blick von außen auf Potsdam erhalten.
Wie meinen Sie das?
Nach neun Jahren Kreisvorstand wird man an manchen Stellen vielleicht etwas blind für die wirklich wichtigen Themen, verkämpft sich im Klein-Klein. Viele Debatten in Potsdam werden viel zu verbissen geführt – etwa das Elitenthema Garnisonkirche, das die Lebenswirklichkeit vieler Potsdamer nicht betrifft. Auch die Farbe von Fassaden oder die Höhe von Gebäuden beantwortet für mich nicht die Frage, in welcher Stadt wir leben wollen.
In welcher Stadt wollen wir denn leben – welche drei Dinge sind am wichtigsten?
Dass die Herkunft nicht entscheidend ist, für das, was wir machen. Dass sich jeder wiederfindet und sich beteiligen kann. Und dass Einwohner wichtiger sind als Touristen – und dass das Wachstum überall einhergeht mit sozialer Infrastruktur. Auch das Thema Mobilität müsste in Potsdam mutiger angegriffen werden.
Aber bei der Verkehrspolitik haben Sie sich in ihrer Fraktion nicht durchsetzen können. Ihr Kommunalwahlprogramm war viel grüner als die Politik der Fraktion.
Das ist in Teilen richtig. Es gab aber auch aus Teilen der Fraktion heraus Initiativen für bessere Fußgänger- und Radverkehr und mehr öffentlichen Nahverkehr. Ich persönlich denke, dass man Autos künftig aus der Stadt heraushalten sollte. Ein großer Wurf wäre für mich etwa ein ticketfreier öffentlicher Nahverkehr für Potsdam – die Stadt wächst und wächst, doch die Straßen bleiben die gleichen.
Hat Sie die Politik der Mehrheit in der Fraktion, gerade für Autofahrer, verärgert?
Bei diesem Thema gibt es bei uns immer Debatten. Das ist kein Geheimnis.
Sie geben nun den Vorsitz der Linken ab. Ist das ein gut gewählter Zeitpunkt vor der Bundestagswahl und dem Entschluss, wer für die Linken um das Amt des Oberbürgermeisters kandidiert?
Bei den Potsdamer Linken gibt es genug gute Leute, die die Arbeit vielleicht auch auf mehr Schultern verteilen müssen, als ich das praktiziert habe.
Was hätten Sie besser machen müssen? In Erinnerung geblieben ist etwa ihr Stinkefinger gegen einen „Bild“-Reporter mitten im Wahlkampf 2014.
Ja, das war ein Fehler. Manchmal muss man eben über den Dingen stehen – und als öffentliche Person anders agieren. Immerhin habe ich aber später bei den Kommunalwahlen nach Jann Jakobs und Hans-Jürgen Scharfenberg die drittmeisten Stimmen in Potsdam bekommen.
Unter Ihrer Ägide hatten die Linken in Potsdam allerdings tendenziell abnehmende Wahlergebnisse. Woran lag das?
Wir sind als Linke bei der Kommunalwahl erneut stärkste Kraft geworden und das in der stetig wachsenden Stadt. Das muss man erst einmal schaffen. Gemeinsam haben wir einen sanften Generationswechsel in der Partei und der Fraktion hinbekommen. Man braucht sich nur anzuschauen, wie jung der Kreisvorstand ist und wie viele junge und neue Linke in der Stadtfraktion sitzen. Vielleicht kam das zwar etwas zu spät. Wir sind mit vielen wenig bekannten Kandidaten angetreten, die erst einmal die großen Fußstapfen der Vorgänger ausfüllen müssen.
Aber Sie haben doch auch damit zu kämpfen, dass Potsdam wächst – und klassische Linke-Wähler weniger werden ...
Vielleicht haben wir uns zu lange auf früheren Wahlergebnissen ausgeruht. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre müssen wir unser Profil schärfen und klar kommunizieren: Die Linke ist die politische Alternative, die für soziale Gerechtigkeit und Solidarität streitet, die für mehr Demokratie und die Rechte der Bürger eintritt, die die ökologische Herausforderung als Chance begreift und dabei die soziale Dimension nicht aus den Augen lässt. Und wir hätten manche Fragen, wie etwa nachhaltigen Verkehr, stärker in den Fokus rücken müssen.
Allerdings hätten Sie da gegen Hans-Jürgen Scharfenberg Politik machen müssen. Sie beschreiben die Zusammenarbeit mit ihm in Ihrer Parteizeitung als, so wörtlich, „anstrengend“. Was meinen Sie damit?
Zunächst lebt unsere Partei von unterschiedlichen Sichtweisen. Und natürlich kann Herr Scharfenberg manchmal dickköpfig sein – ich aber auch. Und man muss ihn eben für neue Themen begeistern, ihn mitnehmen. Insofern haben wir verschiedene Themen für die Linke abgedeckt, statt gegeneinander zu arbeiten.
Sollte Herr Scharfenberg auch wieder Oberbürgermeister-Kandidat der Linken werden? Was raten Sie Ihrer Partei?
Das wird er zu gegebener Zeit für sich entscheiden. Aber nach vielen Männern rate ich zu einer Person jenseits von Parteien, aus der Mitte der Gesellschaft. Der Stadt würde ein Kandidat oder eine Kandidatin außerhalb der Parteien gut tun. So laufen auch unsere Bemühungen im Kreisvorstand.
Am Wochenende feiern Sie eine große Abschiedsfeier. Selbst CDU-Politiker sind eingeladen. Das ist doch bemerkenswert ?!
Ich bin gerade 40 Jahre alt geworden, habe viele Freunde und Bekannte – selbst in der CSU, aus Zeiten, als ich Mitarbeiter im Bundestag war. Mit denen will ich feiern. Was mich wirklich stört, ist, dass in der Politik viele Themen parteipolitisch behandelt werden – es geht aber um Politik für die Stadt, für die Menschen. Das sollte im Vordergrund stehen. Deswegen sind die nun bestehenden wechselnden Mehrheiten in der Stadtverordnetenversammlung etwas Gutes für Potsdam.
Das Interview führte Henri Kramer
ZUR PERSON: Sascha Krämer (40) war seit 2010 Kreischef der Linken. Als Nachfolger des Politologen stellen sich die Stadtverordneten Stefan Wollenberg und Kati Biesecke zur Wahl.
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