Bäume in Potsdam: Verwurzelt in Potsdam
Sie sind die heimlichen Stars und doch beachtet sie kaum einer: Bäume. Das Buch "Bäume in Potsdam" erzählt die Stadtgeschichte anhand von 33 markanten Gehölzen, die meist versteckt sind und einige spannende Geschichten erzählen können.
Potsdam - Ohne sie und die Parks, in denen sie stehen, würde die Landeshauptstadt kaum derart anziehend wirken: Bäume sind die heimlichen Stars von Potsdam. Doch während jeder Reiseführer wortreich die Architekten und Gestalter der Potsdamer Schlösser und Gärten rühmt, wird den dort wachsenden Gehölzen nur selten größere Aufmerksamkeit zuteil – dabei sind etliche von ihnen exotisch, uralt und geschichtsträchtig.
Dieses Manko wollen der Potsdamer Baumforscher Claas Fischer und der Fotograf Frank Gyßling mit einem neuen Buch beseitigen, das am heutigen Donnerstag erscheint: „Bäume in Potsdam – Ein Begleiter durch Parks und Geschichte“ erzählt die Geschichte Potsdams anhand von 33 markanten Bäumen, die über das gesamte Stadtgebiet verstreut sind – vom Amerikanischen Zürgelbaum im Park Marquardt bis zur Robinie am Jagdschloss Stern.
Souvenir von damals ist heute 30 Meter hoch
Eine große Karte zeigt die Standorte der jeweiligen Bäume. Etliche Farbfotografien aus allen Jahreszeiten porträtieren die hölzernen Zeitzeugen, zum Beispiel das „Souvenir“, das der „Reise-Kaiser“ Wilhelm II. Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Osmanischen Reich mitbrachte: Eine mächtige, heute rund 30 Meter hohe Libanon-Zeder, die auf dem Potente-Stück unweit des Drachenhauses steht, ein Geschenk des befreundeten Monarchen Sultan Abdul Hamid II.
Die Bäume dienen den Autoren gewissermaßen als Landmarken, um die Leser durch die Stadt zu führen. In einer Mischung aus Geschichts- und Biologiestunde wird zum einen anekdotisch von den Potsdamer Herrschern und ihrer (Garten-)Bautätigkeit berichtet und zum anderen von den Bäumen, ihren Eigenschaften, ihren Besonderheiten und ihrer Geschichte. So erfährt man unter anderem von den 1300 Maulbeerbäumen, die zum Zwecke der (erfolglosen) Seidenraupenzucht bis 1780 auf dem Babelsberger Weberplatz und den umliegenden Alleen gepflanzt wurden. Die meisten gingen schnell wieder ein, doch eine Weiße Maulbeere steht bis heute am Weberplatz nahe der Friedrichskirche. Ebenfalls bis heute gehalten hat sich die „Kleine Kiwi“ an der Orangerie im Neuen Garten: 1880 wurde die Ranke hier gepflanzt und zählt damit zu den ältesten Kiwi-Pflanzen Deutschlands.
Sinnliches Erleben der Stadtbäume
Fischer erzählt in leichtem Tonfall aus der Potsdamer Geschichte und vermittelt sein biologisches Wissen anschaulich und mit viel Sachkenntnis. Dabei weist er immer wieder auf Möglichkeiten hin, die Bäume sinnlich zu erfahren: Riechen kann man sie am besten durch Zerreiben der Blätter, teilweise sind die Blüten essbar. Auch Haushaltstipps werden mit den Bäumen verbunden, so bekommen Brötchen ein süßes Aroma, wenn man sie vor dem Backen in die Blätter der Ahornblättrigen Platane wickelt, zu finden am Stadtkanal nahe der Havel-Mündung. Sinnlich sind auch die beiden Japanischen Kuchenbäume, die der Asien-Fan Friedrich II. 1887 im Lustgarten Sanssouci pflanzen ließ. Sie haben ihren Namen von dem süßen Duft, den ihre Blätter nach feuchten Herbsttagen verströmen.
Aufgelockert wird das Buch unter anderem durch Exkurse zu Pionierbäumen, die als Erstes eine Freifläche besiedeln, die Potsdamer Weingärten oder die dicksten Bäume Brandenburgs. Auch Ausflüge in Volkssagen und Mythologie werden unternommen: So erfährt man unter anderem, dass die Germanen glaubten, Erlen seien „beseelt“, weil sich ihr Holz beim Schlagen blutrot verfärbte.
Bittschriften-Linde steht nicht mehr
Ein besonders legendärer Baum steht heute leider nicht mehr: Die sogenannte Bittschriften-Linde, die sich direkt vor dem Fenster des Arbeitszimmers Friedrichs II. am Stadtschloss befand. Bürger aus dem ganzen Land kamen hierher und klagten über Unrecht, das ihnen widerfahren war. Der König ließ die Bittschriften einsammeln und entschied spontan über das jeweilige Gesuch. Dass er sich dabei immer wieder in die eigentlich unabhängige Justiz einmischte, tat der Legende vom guten König keinen Abbruch.
Auch andere Bäume geben Einblick in die Persönlichkeit der preußischen Herrscher: Der sehr religiöse Friedrich Wilhelm IV. etwa ließ 1846 rund um die Friedenskirche zwölf Platanen für die zwölf Apostel pflanzen, Stechpalmen, die an die Dornenkrone Jesu erinnerten, sowie zwei Sträucher Mönchspfeffer als Zeichen klösterlicher Enthaltsamkeit. Die Japanischen Blütenkirsch-Bäume an der Glienicker Brücke hingegen erinnern an die deutsche Wiedervereinigung: Sie wurden nach dem Mauerfall von Japan als Symbole des Friedens gespendet und 1990 angepflanzt.
Für einige Gartenanlagen wie den Marlygarten, die Pfaueninsel, den Botanischen Garten oder die Freundschaftsinsel haben die Autoren Extra-Karten erstellt, auf denen ausgewählte Bäume genau verzeichnet wurden. Immer wieder beeindruckt dabei die enorme Artenvielfalt: Allein im Marlygarten werden mehr als 20 besondere Bäume wie der Taschentuchbaum, der Virginische Wachholder oder der Urweltmammutbaum gelistet.
Hängebuche als Baum der Erkenntnis gedacht
Neben den hoch aufgeschossenen Gewächsen faszinieren vor allem die etwas „schrägeren Charaktere“: Zum Beispiel der Gewöhnliche Trompetenbaum nahe der Meierei Sanssouci, dem vermutlich ältesten Baum im gesamten Park, dessen horizontale Äste sich dicht über den Boden wälzen. Er ist das letzte Überbleibsel einer 1790 entstandenen Musterbaumschule, der mehr als 300 alphabetisch angeordnete Bäume und Sträucher angehörten. Ein noch spektakuläreres Aussehen hat die in alle möglichen Richtungen wachsende Hängebuche am Schloss Charlottenhof, der Friedrich Wilhelm IV. im Jahr 1836 die Rolle als „Baum der Erkenntnis“ im Ensemble rund um das Schloss zudachte. Die Buche schützt ihre empfindliche Rinde durch ein extrem tiefes Blätterdach vor Sonneneinstrahlung, wodurch sich eine regelrechte Höhle bildet.
Zu allen Bäumen gibt es Abbildungen der Blätter, der Blüten und der Früchte, auch die jeweilige Blütezeit ist angegeben. Schön wären allerdings noch mehr Infos über das genaue Alter oder die Höhe der vorgestellten Bäume gewesen oder darüber, warum die Sorten gerade an den entsprechenden Standorten gepflanzt wurden. Zum Teil geht Fischer nur sehr kurz auf die Bäume selbst ein und schreibt vor allem über deren Umfeld und die biologischen Eigenschaften, doch hat schließlich nicht jeder Baum auch eine besondere Geschichte zu erzählen. Insgesamt ist das optisch sehr ansprechende Buch ein ebenso informativer wie kurzweiliger Spaziergang durch Potsdams grüne Gefilde. Den Lesern bieten sich etliche Gelegenheiten, die Stadt und ihre heimlichen Stars neu zu entdecken – damit man die Bäume vor lauter Parks nicht übersieht.
Claas Fischer, Frank Gyßling: „Bäume in Potsdam – Ein Begleiter durch Parks und Geschichte“. Das Buch hat 144 Seiten, ist bei Terra Press erschienen und kostet 19,80 Euro.
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