Klimaforschung in Potsdam: „Uns läuft die Zeit davon“
Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz weist der designierte Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström, auf die Dramatik der Lage hin. Es bleibe nur noch ein Jahrzehnt für die Klima-Kehrtwende.
Herr Rockström, was macht die UN-Klimakonferenz in Katowice Anfang Dezember so bedeutend? In Paris waren doch verbindliche Ziele festgelegt worden.
Wir haben nur noch ein Jahrzehnt für eine CO2-Kehrtwende, um die Menschen noch vor den größten Risiken des Klimawandels zu schützen. Daher muss die Politik jetzt auf der UN-Weltklimakonferenz Maßnahmen anstoßen, die die Kurve der Treibhausgasemissionen schnell und endgültig nach unten bringen. Der neue Sonderbericht des Weltklimarats IPCC zeigt klar, was mit 1,5 Grad globaler Erwärmung auf dem Spiel steht. Schaffen wir es nicht, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, überschreiten wir damit eine planetare Grenze. Denn bereits bei dieser Erwärmung könnten wir zum Beispiel weltweit die Korallenriffe verlieren. Dazu kommt, dass wir bei einer Erwärmung von mehr als 1,5 Grad vielleicht bereits sogenannte Kipppunkte überschreiten, die zu einer sich selbst verstärkenden weiteren Erwärmung führen könnten.
Wie das?
Etwa, wenn die arktischen Eisflächen auf dem Meer schmelzen und so weniger Sonnenstrahlung reflektiert werden kann. Oder weil durch tauenden Permafrost Methan in die Atmosphäre freigesetzt wird und der Boden vom Speicher zur Quelle von Treibhausgasen wird. Wir können leider nicht ausschließen, dass schon bei einer Erwärmung von deutlich unter zwei Grad Prozesse angestoßen werden, die den Klimawandel auch ohne weiteres menschliches Zutun langfristig und vielleicht unumkehrbar weiter antreiben würden. Doch was die Politik gegenwärtig an Maßnahmen auf den Tisch legt, reicht bislang nicht einmal zur Einhaltung der Zwei-Grad-Grenze von Paris. Ein Grad Celsius Erwärmung haben wir global bereits verursacht – und wir sind auf dem Weg zu vier Grad bis Ende des Jahrhunderts, wenn wir jetzt nicht handeln.
Ein Grad Erwärmung klingt nicht viel …
… und doch haben wir in diesem Jahr gesehen, wie sich bereits ein Grad Erwärmung anfühlt. 2018 wird wohl als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Folgen der Erderwärmung erstmals um den ganzen Erdball herum so deutlich wurden. Hitzewelle und Überflutungen in Japan, massive Dürre im Winter in Australien, die bislang schlimmsten Waldbrände in Kalifornien, ungewöhnliche Hitze und Trockenheit im Sommer auf der gesamten Nordhalbkugel mit Waldbränden unter anderem in Schweden und Brandenburg, der stärkste Monsun in Indien seit 50 Jahren, mit 51,2 Grad Celsius die höchste jemals in Afrika gemessene Temperatur, außerordentlich starke tropische Wirbelstürme, wie etwa die Hurrikans „Michael“ und „Florence“. In meiner Heimat Schweden müssen die Schulbücher umgeschrieben werden, weil der bislang höchste Gipfel des Gletschers durch die sommerliche Rekordhitze an Höhe verloren hat, es ist nun nur noch der zweithöchste Berg. In diesem Sommer konnten wir vielleicht zum ersten Mal so hautnah erleben, was die Klimaforschung schon lange versucht klarzumachen: Mit fortschreitendem Klimawandel werden wir wohl auch häufigere oder intensivere Wetterextreme erleben.
Was also muss in Katowice auf den Tisch?
Eine Halbierung der Treibhausgas-Emissionen in der nächsten Dekade und dann in jeder weiteren Dekade eine weitere Halbierung. Davon wären alle Sektoren betroffen: Industrie, Landwirtschaft, Transport, Gebäude, Energieversorgung. 1,5 Grad Erwärmung können nur durch einen zügigen globalen Wandel zur Nachhaltigkeit erreicht werden. Bis 2050 müssen wir die CO2 -Emissionen auf null bringen. Doch uns läuft die Zeit davon.
Inwiefern?
Uns verbleibt für das 1,5-Grad-Ziel noch ein Budget von rund 500 Gigatonnen Kohlendioxid, das weltweit in die Atmosphäre ausgestoßen werden darf. Bei den aktuellen jährlichen Emissionen blieben uns also nicht einmal mehr zehn Jahre. In der Wirtschaft ist das noch nicht einmal ein Investitionszyklus. Das ist eine enorme Herausforderung für die Klima-Verhandlungen in Polen, aber auch für die internationale Klimapolitik. Und selbst das allein wird noch nicht ausreichen.
Was meinen Sie damit?
Es wird nicht ausreichen, nur die verschiedenen Sektoren, wie das Energiesystem oder den Transport, zu dekarbonisieren. Der 1,5 Grad-Bericht des IPCC zeigt ganz klar, dass es auch von den CO2-Senken – etwa durch Aufforstung ganzer Wälder – abhängig sein wird, ob wir es schaffen, die globale Erwärmung unter zwei Grad zu halten. Wenn wir auf diesem Planeten leben möchten, müssen wir uns auch um ihn kümmern. Mensch und Natur sind nur begrenzt anpassungsfähig an Klimaveränderungen, daher ist eine Transformation zu einer nachhaltigen Zukunft so wichtig. Nicht weniger als das sollte in Katowice nun auf dem Tisch liegen. Die Nationen können nicht einfach nur dasitzen und auf das beharren, was in Paris vereinbart wurde. Das wird sonst Makulatur.
In Paris hatten Vertreter des PIK um ein Mindestziel von maximal Zwei Grad Erwärmung gerungen.
Zu Recht. Doch der IPCC-Sonderbericht basiert auf den neuesten Erkenntnissen der Klimaforschung und macht nun deutlich, dass 1,5 Grad das neue zwei-Grad-Ziel sind. Besonders deutlich werden die Unterschiede in der Arktis zu sehen sein: Bei zwei Grad mehr wäre der Arktische Ozean etwa alle vier Jahre im Sommer eisfrei, bei einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad immerhin nur alle 40 Jahre. Das zeigt doch, wie ernst die Lage in einer Zwei-Grad-Welt wäre – und darauf muss man in Katowice nun reagieren. Besser als je zuvor wissen wir mit diesem Bericht, dass es noch größerer Anstrengungen bedarf, um die Menschheit und die Natur vor den schlimmsten Folgen des Klimawandels zu bewahren.
Geht die Menschheit mit offenen Augen in eine Katastrophe?
Viele Menschen verschließen tatsächlich die Augen vor dem, was auf uns zukommt. Wir fahren die völlig überhitzte Maschine der modernen Welt auf einen Steilhang zu – das Scheinwerferlicht leuchtet uns hell den Weg, und doch sehen wir nicht hin. Die Risiken, wenn wir nicht handeln, sind enorm. Doch die Wissenschaft bietet längst Lösungsansätze und Maßnahmen, die die Politik nur ergreifen muss.
Was frustriert Sie?
Die Erkenntnisse der Wissenschaft zeigen uns bereits heute, was uns mit fortschreitendem Klimawandel erwartet, und wie wir diese Risiken vermeiden können. Doch der aktuelle Trend zeigt immer noch in die falsche Richtung, weil wir die notwendigen Maßnahmen zur Klimastabilisierung nicht konsequent genug ergreifen. Dennoch bin ich optimistisch – optimistischer als 2009 nach der Weltklimakonferenz von Kopenhagen. Die globalen Anstrengungen zur Klimastabilisierung sind heute viel energischer. Es gibt Lösungspfade und die Forschung, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft bewegen sich in die richtige Richtung. Der Weg liegt vor uns, wir müssen ihn nur noch beschreiten.
Was könnte die Menschen wachrütteln?
Der Klimawandel und seine Risiken sind abstrakt und häufig nur schwer zu verstehen. Doch nicht nur das Eis in der Antarktis wird unter der globalen Erwärmung leiden, auch jeder Einzelne könnte von gesundheitlichen Risiken betroffen sein. Und ich denke, die eigene Gesundheit ist so persönlich, dass die Menschen aufwachen. Vor allem ältere Menschen werden unter erhöhten Temperaturen und steigender Luftfeuchtigkeit stark leiden. Mit solchen Zusammenhängen werden wir uns auch am PIK zukünftig verstärkt auseinandersetzen. Auch die Ernährung ist ein entscheidender Hebel.
Mit welchen Auswirkungen?
Die Art der Ernährung kann unsere Gesundheit beeinflussen, aber ist auch ein wichtiger Treiber für den Klimawandel. Interessanterweise kann bereits der bloße Wechsel zu einer stärker pflanzlichen „flexitarischen“ Ernährung die Treibhausgasemissionen aus der landwirtschaftlichen Produktion ungefähr halbieren. Das wäre nicht nur gesünder für uns, sondern auch für unseren Planeten. Am Ende bin ich aber der Meinung, dass wir die Verantwortung nicht auf den Schultern der einzelnen Individuen abladen können.
Sondern?
Klimapolitik kann nicht nur auf die Änderungen des Lebensstils setzen. Wir brauchen für eine ambitionierte Klimapolitik auch die Unternehmen, Banken und Versicherungen. Politik und Wirtschaft müssen das anleiten. Das Klimaproblem wird nicht dadurch gelöst, dass jeder ein wenig mehr Fahrrad fährt und seinen Lebenswandel etwas ändert. Das sind zwar wichtige Faktoren. Aber wir müssen uns vor Augen führen, dass wir uns nun in einer tiefgreifenden Verschiebung des Erdsystems befinden. Um hier die größten Risiken zu vermeiden, braucht es ganzheitlichere Anstrengungen, als umweltbewusst zu leben.
Johan Rockström (52) bildet mit Ottmar Edenhofer die neue Führungsspitze des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Der renommierte Resilienzforscher stammt aus Schweden.
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