Industriedenkmal in Potsdam wird Innovationszentrum: Umbau und neue Pläne für RAW-Ruine
In der ehemaligen RAW-Halle soll ein Innovationszentrum entstehen. Ein Rundgang mit früheren Eisenbahnern durch ein Industriedenkmal vor dem Umbau.
Potsdam - Wo nun Bäume gen Glasdach wuchern, Schienen vor sich hin rosten und Kabel von der Decke baumeln, dort schufteten früher knapp 1500 Arbeiter. Wolfgang Verleih war einer von ihnen. Über 40 Jahre arbeitete der heute 82-Jährige Caputher als Betriebsschlosser im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) nicht weit vom Hauptbahnhof.
Als er die Halle das erste Mal seit 1998 betritt, kommen sofort die Erinnerungen hoch. „Dort hinten war das Radsatzlager, da habe ich als Lehrling angefangen“, erzählt er. 1951 war das. Als jüngstes von vier Kindern brachte er das Geld nach Hause, denn der Vater war „im Krieg geblieben“, wie er sagt. Später dann mit der „Jungbrigade“ beim Ausbau von Achsen von den Reisezugwaggons, die hier repariert und gewartet wurden. „Wir haben die Bolzen gefettet, das Öl abgewischt, die Teile saubergemacht“, erinnert er sich. Später hätten sie dann eine riesige Waschmaschine bekommen, berichtet der 82-Jährige und deutet auf eine große, rechteckige Grube im Betonboden, wo der Apparat damals stand. „Da konnten wir die Puffer, Drehgestelle und andere Einzelteile waschen“, sagt Verleih.
RAW-Halle verfällt zusehends - doch bald soll sie wieder mit Leben gefüllt werden
Heute ist von alldem nicht mehr viel zu erkennen. 1997 ging Wolfgang Verleih in Rente. Zwei Jahre später schloss das Werk. Seither steht es leer – und verfällt zusehends. „Mir tränt das Herz, wenn ich das so sehe“, sagt Verleih. Imposant ist die 1912 gebaute Halle aber trotz ihres desolaten Zustands. Vor allem durch die hohe Decke, gestützt durch Verstrebungen und Säulen, deren Symmetrie ins Auge fällt. Durch das, was von der Verglasung noch übrig ist, fällt viel Licht auf die dadurch entstehende riesige Fläche ohne Zwischenwände.
Dieser Bausubstanz will nun der Berliner Projektentwickler Trockland wieder Leben einhauchen. Wie berichtet soll dort bis 2021 ein Innovationszentrum mit 1000 Arbeitsplätzen entstehen. Trockland hat das Grundstück mit der denkmalgeschützten Halle von der Firma Semmelhaack gekauft und plant, mithilfe von internationalen Kapitalgebern einen hohen zweistelligen Millionenbetrag zu investieren. Über die Entwürfe spricht der Entwickler derzeit mit der Stadt. Sicher ist aber: „Die Halle wollen wir denkmalgerecht erhalten“, sagt Mirco Nauheimer, Vertreter der Investoren. Ergänzt durch einen Neubau sollen 25 000 Quadratmeter Nutzfläche entstehen, Raum für Start-ups, IT-Firmen, Kreativ- und Medienwirtschaft. Die Geschichte des Gebäudes wolle er dabei berücksichtigen, sagt Nauheimer. So überlegt er etwa, einen Zugwaggon zu integrieren.
„Ich finde es richtig gut, dass hier etwas Neues entstehen soll"
„Ich finde es richtig gut, dass hier etwas Neues entstehen soll und das wieder hergerichtet wird“, sagt Verleih. Denn für ihn war das RAW über Jahrzehnte quasi der Lebensmittelpunkt. „In drei Schichten haben wir gearbeitet, sechs Tage die Woche“, sagt er. Während seine Freunde am Samstagabend zum Feiern nach Berlin fuhren, trat er an zur Nachtschicht bis Sonntagfrüh. Immerhin: „Auf ihrem Rückweg haben wir die Kumpels noch in der Mitropa am Bahnhof auf ein Bierchen getroffen“, lacht Verleih.
Doch das RAW ist mehr als ein Stück persönliche Erinnerung, es ist auch Teil Potsdamer Industriegeschichte. Verleih und sein ehemaliger Kollege Eckhard Schulze, der ab 1967 Investitionsleiter im RAW war, haben darüber Bücher, Broschüren und Zeitungsartikel gesammelt. Gegründet wurde das Werk bereits 1838, mit einer Werkstatt für Lokomotiven und Waggons am Wasserturm, und wurde dann mehrfach erweitert. Bis zur Eingemeindung von Babelsberg 1939 war es Potsdams größter Industriebetrieb, mit bis zu 2000 Beschäftigten in den 1920er- und 30er-Jahren. Im Krieg wurden Teile davon von Bomben getroffen, die jetzt noch stehende Halle aber nicht getroffen. 1945 dann, am Ende des Zweiten Weltkriegs, so weiß es Schulze aus Erzählungen von Kollegen, sei dann die Rote Armee angerückt, habe alles ausgeräumt und mitgenommen. Sogar Stalin persönlich sei angeblich damals bei seiner Reise in die Stadt zur Potsdamer Konferenz auch ins RAW gekommen. „Die haben hier drei Kräne abgebaut, die Kessel und Maschinen, sogar die Glasscheiben haben sie mitgenommen“, sagt Schulze.
Von der RAW zur S-Bahn und zur Bahn
Schon im Oktober 1945 sei das Werk aber an die Deutschen übergeben worden und der Betrieb wurde wieder aufgenommen. Unter schwierigen Bedingungen, die harte Arbeit, wenige Maschinen, sogar eine Hungerrevolte habe es damals gegeben, sagt der 76-Jährige.
In der DDR dann, wie so oft, der politische Druck auch im Werk, in die SED einzutreten. „Ich habe das nicht gemacht“, sagt Verleih, den Aufnahmeantrag habe er leer abgegeben. Seinen Meister konnte er trotzdem machen.
In den 1990er-Jahren wurde das Werk von der Deutschen Bahn übernommen und letztendlich abgewickelt. „Es wurde immer weniger auf Instandhaltung gesetzt“, sagt Schulze, die RAWs deutschlandweit nach und nach geschlossen. Ein Teil der Beschäftigten kam bei der Berliner S-Bahn unter, oder anderswo bei der Deutschen Bahn.
Für das RAW-Gelände gab es seither mehrere gescheiterte Versuche zur Rettung, unterschiedliche Pläne zur Nutzung. Aber auch mehrere Brände und Plünderungen – von den Kabeln liegen nunmehr die Hüllen herum, vom Glas die Scherben. Doch das soll sich bald ändern: Schon 2019 soll der Umbau der Halle starten und schon in drei Jahren hier statt Schweißer an der Radsatzmaschine Programmierer am Rechner sitzen.
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