70 Jahre Potsdamer Konferenz: Trumans „kleines Weißes Haus“
US-Präsident Truman reiste mit Schiff und Flieger nach Potsdam und wohnte in der prächtigen Villa der Familie Müller-Grothe. Wirklich gefallen hat sie ihm nicht.
Potsdam - Die systematische Bebauung des Areals am Griebnitzsee beginnt Ende des 19. Jahrhunderts. Wer hier ein Grundstück erwirbt, kommt in der Regel aus Berlin und hat Geld. Viele sind Unternehmer, die sich hier ein Sommerhäuschen bauen. Carl Müller-Grote ist einer der Ersten. Der Verlagsbuchhändler aus Berlin, der auch Werke von Fontane drucken lässt, kauft das Grundstück Nummer zwei der heutigen Karl-Marx-Straße, direkt am Hiroshima-Nagasaki-Platz. Seine „Villa Erlenkamp“ wird 1891 fertig, ein schmuckes, mächtiges Haus für eine große Familie mit acht Kindern, umgeben von einem riesigen Gartengelände. Unter dem Namen Erlenkamp ist es heute kaum bekannt – eher als Truman-Villa. Im Sommer 1945 diente es als Domizil für den US-amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman, auch der US-Außenminister James F. Byrnes und Verteidigungsberater William D. Leahy wohnten hier. Das Haus wird damals vorübergehend auch „Little White House“ genannt.
Truman kommt als erster der drei Konferenzteilnehmer in Potsdam an. Mit seiner Entourage reist er per Schiff nach Antwerpen und fliegt dann am 15. Juli von Brüssel weiter nach Berlin-Gatow. Wenig später landet, ebenfalls in Gatow, der britische Premier Churchill. Ihn begleitet seine Tochter Mary. Die an ihre Mutter schreibt: „Heute Morgen hat Vater Präsident Truman einen Besuch abgestattet. Truman lebt in einem fürchterlich hässlichen Haus ungefähr 400 Yards von uns entfernt ...“, schreibt Robert S. Mackay, der damals mit dabei war und sich stets für die Villa als einen Erinnerungsort einsetzte, über das Truman-Haus.
Wertvolle Möbel, Gemälde und Teppiche sind für immer verloren
Was Truman damals in dem Haus vorfand, darüber lässt sich nur spekulieren. In der Regel ist es im Sommer 1945 so, dass die Russen die Bewohner verjagen, alles Private rausschmeißen und die Räume anschließend wieder nach Gutdünken einrichten. Der über Nacht aus seinem Haus geworfene Carl Gustav Müller-Grote, der mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung in der Babelsberger Heinestraße untergekommen ist, schreibt am 24. Juli einen Brief, auf Englisch, an den amerikanischen Präsidenten: „Es war höchst bitter mit anzusehen, dass, als wir auszogen, unser großes Haus von hunderten russischer Soldaten ausgeräumt wurde, unser ganzes Eigentum auf Wagen geladen und fort gekarrt wurde, wir wissen nicht wohin. Wertvolle Möbel, Gemälde, Skulpturen, Antiquitäten, Vorhänge, Teppiche und Wäsche sind für immer verloren. Am Silber bedienten sich die Truppen. Bitte, Mr. Truman, würden Sie mir helfen, mein Haus nach Abzug der amerikanischen Delegation zurück zu bekommen? Damit es nicht für immer verloren ist?“ Truman jedoch glaubt den Besitzer damals irgendwo in Sibirien. Der Brief dringt ohnehin nicht bis zu ihm vor.
Erst 1956 schreibt Sohn Dietrich Müller-Grote noch einmal an Truman. Berichtet, dass seine Mutter 1945 verstarb, 1949 sein Vater. „In jener kleinen Wohnung, einen halben Kilometer von seinem Haus entfernt lebend, ohne es auch nur von außen noch einmal wieder gesehen zu haben.“ Was Enteignungen betrifft, ist man in dem Villenviertel damals und auch 1961 nicht zimperlich.
Dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima zugestimmt
Nach der Konferenz wohnt für einige Zeit Marschall Shukow in der Karl-Marx-Straße 2, dann kommt hier das Institut für Rechtswissenschaften unter, 1961 eine Grundschule. Der Schulhof endet am Zaun, dahinter beginnt der Grenzstreifen, der sich das ganze Seeufer entlangzieht. Der Balkon im ersten Obergeschoss, von dem Truman einen grandiosen Blick über den See gehabt haben muss, wird schließlich wegen Baufälligkeit abgerissen. Später zieht auch die Schule aus, das Gebäude liegt einfach zu unmittelbar im Grenzgebiet.
Im Sommer 1945 ist das kein Thema für den amerikanischen Präsidenten. Der Präsident hat in Potsdam ganz andere Sorgen, auch den Krieg im Pazifik. Er wird in dem Haus in Babelsberg dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima zustimmen. Haus Erlenkamp an sich sagt ihm wenig zu. „Ein Albtraum, unmöglich, aber eben rein deutsch ...“ Dennoch lässt es sich hier aushalten. Sogar feiern. Eines Abends wird auf der geräumigen Terrasse musiziert, Truman lässt einen jungen Konzertpianisten einladen und blättert bei dessen Vortrag am Flügel höchstpersönlich die Noten um. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln und Alkohol ist gesichert, für die Amerikaner werden täglich aus Paris Mineralwasser, Wein, Champagner und frische Lebensmittel eingeflogen. Als Stalin allerdings am 17. Juli bei Truman seinen Antrittsbesuch macht, zögert der Amerikaner, die „russischen Jungs“ zum Essen einzuladen. „Was gibt es denn heute?“, fragt er leise seinen Adjutanten. „Leber und Speck“, flüstert der zurück. „Ach was, wenn es gut genug ist für uns, ist es auch gut für genug für sie.“ Und Stalin bleibt. Ganz so spartanisch ist das Essen dann doch nicht, es gibt außerdem Spinatcremesuppe, gebackenen Schinken, Kartoffeln und grüne Bohnen.
1999 brannte die Truman-Villa fast völlig aus
Wo damals getafelt wurde, sind heute Konferenzräume der Naumannstiftung, die das Anwesen 1998 von der Erbengemeinschaft kauft. 1999 eine Tragödie, die Villa brennt aufgrund von Brandstiftung fast völlig aus. Danach wird sie modern wiederhergerichtet. Immerhin wird im großen Salon der Kamin nach historischen Fotos neu aufgebaut, ebenso im rechts angrenzenden Zimmer eine filigrane Holzarbeit, eine Art Raumteiler vor dem Fenster. Und im Keller, früher Küche und heute Kantine, kann man die originale preußische Kappendecke bestaunen.
Ab und zu kommen heute Besucher, die hier zur Schule gegangen sind und wollen ihren alten Klassenraum sehen, sagt eine Stiftungsmitarbeiterin. Von der Familie Müller-Grothe ist nur Tochter Agnes 1954 noch einmal im Haus, als sie wegen einer Steuersache nach Potsdam muss. Und bittet darum, noch einmal ihr Elternhaus sehen zu dürfen. Sie ist zufrieden mit dem, was sie sieht, sehr gepflegt sei es. Nach oben in die einst privaten Zimmer traut sie sich aber doch nicht.
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