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Die Luftverschmutzung in der Zeppelinstraße sorgt seit Jahren für Ärger.
© A. Klaer

Belastete Luft in Potsdam: Straflos stickig

Potsdams Luft ist stärker mit Stickstoffdioxid belastet als zulässig. Dennoch muss es für die Stadt nicht zwangsläufig teuer werden.

Potsdam - Jetzt ist amtlich, was sich das Jahr über abgezeichnet hat: In Potsdam sind 2015 erneut die Grenzwerte für giftiges Stickstoffdioxid (NO2) auf zwei Hauptverkehrsstraßen verletzt worden – und zwar in der Zeppelin- und auf der Großbeerenstraße. Nun muss sich Potsdam möglicherweise auf Ärger mit der EU-Kommission einstellen – allerdings mit zeitlicher Verzögerung und nur unter Vorbehalt. Strafzahlungen, vor denen der abgewählte Baudezernent Matthias Klipp (Grüne) noch warnte, sind ebenso nicht sofort fällig und zunächst eher theoretischer Natur. Das zeigen PNN-Recherchen bei der Kommission und dem Bundesumweltministerium.

Demnach läuft gegen Deutschland wegen der anhaltenden Überschreitung der NO2-Grenzwerte seit dem vergangenen Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren, wie eine Kommissionssprecherin den PNN auf Anfrage sagte. Dazu habe es bereits einen nicht öffentlichen Briefwechsel mit der Bundesregierung gegeben. „Eine Entscheidung über weitere Schritte steht noch aus“, so die Sprecherin. Ähnliche Verfahren würden gegen Frankreich, das Vereinigte Königreich, Portugal, Italien oder Spanien laufen. Bevor es aber zu Strafzahlungen komme, müsste die Kommission nach weiteren Schriftwechseln erst eine Entscheidung beim europäischen Gerichtshof anstrengen. „So weit kommt es jedoch meistens nicht – in den letzten Jahren wurden über 85 Prozent der Fälle vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens geklärt“, sagte die Sprecherin. Nur falls ein Mitgliedstaat es versäume, Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie mitzuteilen, könne die Kommission beim Gerichtshof die Auferlegung einer pauschalen Strafzahlung oder eines Zwangsgelds beantragen.

Nicht nur in Potsdam werden Grenzwerte überschritten

Potsdam ist bisher nicht Gegenstand des laufenden Verfahrens. Theoretisch sei es jedoch möglich, das Verfahren auf weitere Gebiete auszudehnen, hieß es. Hintergrund ist, dass für Potsdam bis Ende 2014 eine Fristverlängerung galt. Die Messwerte für 2015 muss die Bundesrepublik bis Ende Juni nach Brüssel melden, so die Kommissionssprecherin.

Zudem richteten sich Vertragsverletzungsverfahren der EU prinzipiell gegen die Mitgliedstaaten und nicht gegen Kommunen. Wie mögliche Strafzahlungen innerhalb Deutschlands auf Kommunen wie Potsdam umgelegt würden, müssten also die Behörden der Bundesrepublik klären. In mehreren Dutzend Städten in Deutschland werden die Grenzwerte überschritten, in Stuttgart beispielsweise zum Teil deutlich stärker als in Potsdam.

Vom Bundesumweltministerium hieß es, dass der Bund die Strafe möglicherweise über ein sogenanntes Lastentragungsgesetz an die Länder weitergeben könne. Das sei aber kein Automatismus, so ein Sprecher. Die Länder könnten gegebenenfalls ähnlich verfahren. In jedem Fall rede man über einen Prozess, der mehrere Jahre dauern könne.

Müssen die Kommunen überhaupt zahlen?

Ob die Kommunen jemals zahlen müssen, ist also ungewiss – zumal man sie seit Bekanntwerden des VW-Skandals kaum mehr für überhöhte Abgaswerte von Fahrzeugen verantwortlich machen könnte. Allerdings können angesichts der hohen Werte auch Bürger gegen die NO2-Belastung an ihren Straßen klagen. In Potsdam hatte etwa der Grünen-Fraktionsvorsitzende und Anwalt Peter Schüler im vergangenen Jahr solche gerichtlichen Schritte angekündigt. Derzeit arbeitet er an einer Klageschrift im Auftrag eines Ehepaars, das im betroffenen Gebiet wohnt. Ein Anwohner in Berlin-Weißensee hatte vor wenigen Tagen mit einer erfolgreichen Klage gegen den Senat vor dem Verwaltungsgericht Tempo 30 auch tagsüber auf einer Hauptstraße vor seiner Haustür erstritten. Mit dem Überschreiten der Grenzwerte bei den Luftschadstoffen an der Berliner Allee hatte er seine Klage begründet. Sollte das Urteil Bestand haben, könnten in Berlin weitere Klagen folgen.

Stickstoffdioxid führt nach Einschätzung von Experten zur Reizung der Schleimhäute. Bei lang andauernder erhöhter Belastung werden Lunge, Milz, Leber und Blut beeinträchtigt. Dazu kann NO2 laut Bundesumweltamt Pflanzen schädigen.

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