Taxi-Misere in Potsdam: Spott über die "Provinzstadt"
Das Ansehen Potsdams nimmt durch die Taxi-Not schweren Schaden. Lösbar scheint das Problem nicht.
Potsdam - Es gibt sicherlich größeres Unglück als kein Taxi zu bekommen. Was sich jedoch vor ein paar Tagen an der Rezeption des Inselhotels auf Hermannswerder zugetragen hat, ist ein veritables Ärgernis, das dem Ansehen Potsdam Schaden zufügen kann – und kein Einzelfall. Gäste der Vier-Sterne-Herberge hatten erfahren, dass die französische Küche der Brasserie zu Gutenberg empfehlenswert sei, sie freuten sich auf Coq au vin, auf Filet à la pique, dazu die Weinempfehlung, Neiss Rote Rebe. Zum Finale Crème brûlée, dann bloß noch ins Taxi fallen lassen und zurück ins Hotel.
Das Huhn lag bereit, das Schweinefilet auch – nur ein Taxi war nicht zu bekommen. Es war wie so oft: Die Taxizentrale nahm den Auftrag entgegen, aber niemand nahm ihn an. Empfangschef Michael Friedrich rief Taxifahrer an, deren Telefonnummern für solche Fälle bereitliegen und bat um Hilfe – vergeblich. Eine Dreiviertelstunde warteten die Gäste, dann machten sie sich mit ihrem Auto auf den Weg. „Das ist doch eine Zumutung“, sagte Friedrich den PNN.
Viele Hoteliers kennen das Problem
Die Klagen der Hoteliers sind ebenso laut wie hilflos. Philipp Claus, Empfangschef im Hotel Mercure, erzählt, dass Fahrten an regnerischen Tagen oder, schlimmer noch, am frühen Morgen eines Samstags oder Sonntags, „schwer zu organisieren“ seien. Mitarbeiter des Mercure telefonieren dann „so lange, bis wir einen Wagen gefunden haben“. Das NH-Hotel Voltaire am Nauener Tor arbeitet mit einem Potsdamer Shuttle-Service zusammen. „Deren Großraumwagen können bis zu acht Fahrgäste transportieren“, sagt Empfangschef Stefan Klein. Aufschlussreich ist ein Blick auf das Geschehen vor dem Hotel Brandenburger Tor. Vor der Tür liegt ein Taxistand, ist der Tag noch jung, ist er zumeist verwaist. „Vor 8 Uhr passiert da gar nichts“, heißt es aus dem Management, „genauso wie Freitag- und Samstagabend“. Manche Hotelgäste reagieren verärgert, andere gießen kübelweise Spott aus: „Provinzstadt ist noch das Geringste“, sagt ein Manager und erzählt, dass seine Mitarbeitenden Gäste schon mit ihren Privatautos zum Potsdamer Hauptbahnhof brachten. Im Ascot Bristol in Drewitz versucht der Empfang, wenn möglich, ein Taxi schon einen Tag vor der Abholung zu reservieren. Klappt es nicht, darf sich, wer seine Koffer selbst schleppen kann, über die Haltestelle Hans-Albers-Straße freuen: Direkt vor der Tür halten die Tramlinien 92 und 96 sowie die Busse 696 und 699.
Der Mindestlohn belastet die Branche
Das größte Dilemma: Nicht einmal mittelfristig lässt sich die Taxi-Not in Potsdam lindern. „Sie hat mehrere Ursachen“, sagt Detlef Baatz, Geschäftsführer der Taxi-Genossenschaft mit der Zentralnummer (0331) 292929. Ihr sind 80 Unternehmer mit rund 120 Karossen angeschlossen. Der 2015 eingeführte Mindestlohn von damals 8,50 Euro habe die Unternehmen stark belastet, „die Erhöhung auf inzwischen 9,50 Euro noch mehr“. Falls die Ampelkoalition den Mindestlohn, wie diskutiert werde, auf zwölf Euro erhöhe, „wird das existenzgefährdend für die einzelnen Unternehmen, aber auch für unsere Zentrale. Es ist doch bekannt, dass man beim Taxifahren nicht reich werden kann.“ Das klingt nicht wie die ewige Klage von unersättlichen Unternehmern. Aufsichtsrat Lüder, Betriebswirtschaftler und Ingenieur, betreibt drei Taxen in Potsdam, er spricht Klartext: Angestellte Fahrer kämen auf einen monatlichen Bruttoverdienst von rund 2000 Euro plus Trinkgeld, Unternehmer laut einer Erhebung von 2018 auf 2100 Euro. „Wie sollen wir davon etwas für unsere Altersvorsorge zurücklegen, was ja ohnehin nur zehn Prozent der Taxi-Unternehmer schaffen?“, fragt Lüder. Auch deswegen, mutmaßen viele, bleibt der Nachwuchs aus.
Anhebung des Taxi-Tarifs gefordert
Der gültige Potsdamer Taxi-Tarif von 2018, fordert Genossenschafts-Chef Baatz, müsse „dringend“ um 10 bis 15 Prozent angehoben werden, er sei „an der untersten akzeptablen Grenze und gerade wegen der stark gestiegenen Preis für Benzin und Diesel zu niedrig“. Tatsächlich ist das örtliche Tarifgefüge im bundeweiten Vergleich mit Platz 158 von 222 weit von den teuersten Kommunen entfernt. Das hat das Portal „taxi-rechner.de“ ermittelt. Der Grundpreis von 3,80 Euro ist in der 180 000 Einwohner zählenden Landeshauptstadt deutlich günstiger als im größeren Erfurt (4,70 Euro). Ein Kilometer kostet ab dem vierten in Potsdam 1,70 Euro – in Erfurt ab dem fünften 2,10 Euro.
Zahl der Konzessionen sinkt
Das Gewerbe schrumpft. Die Zahl der Konzessionen ist in Potsdam seit 2015 um rund 20 Prozent gesunken, auch wegen der beiden Lockdowns. Touristen und Geschäftsleute blieben aus, viele Fahrer suchten andere Jobs, etliche Unternehmer gaben auf. 2015 gab es 183 Taxi-Konzessionen, 2019 noch 164, 2020 fiel die Zahl auf 145, „mit abnehmender Tendenz“, so das Rathaus.
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Das Leben der Taxifahrer ist kein leichtes. 30, auch mal 40 Minuten Wartezeit. Mit gelangweiltem Blick Fußgänger und vorbeirauschende Radfahrer beobachten. Der Bornstedter Detlef Büker, der schon zu DDR-Zeiten Fahrgäste in seiner sowjetischen Wolga-Limousine chauffierte, hat es im Sommer aushalten müssen, am Hauptbahnhof vier Stunden lang nichts zu tun. Einer seiner Kollegen schildert den „seltenen Kutscher-Genuss einer Endorphinausschüttung“: Anruf einer Seniorin aus der Berliner Vorstadt. Sie will, wie alle zwei Monate, ihre Freundinnen in Marzahn zur Kaffeerunde treffen. Macht hin und zurück 160 Euro plus 60 Euro für zwei Stunden Wartezeit.
Aber dann, zurück in Potsdam, wieder die Taxi-Tristesse: 30 bis 40 Minuten an irgendeinem Halteplatz. Danach auf zur Pappelallee nach Bornstedt. 12,90 Euro. Und weiter von der Friedrich-Ebert-Straße 60 in die Gutenbergstrasse 33 zur Taverna To Steki. 7,90 Euro. Peanuts. Aber besser als Stillstand.
Mitunter lehnen die Chauffeure Fahrten ab, weil etwa die vielen Baustellen und die ständige Überlastung der Hauptverkehrsadern bei der Anfahrt vom Hauptbahnhof zu den großen Hotels in Potsdam-West mindestens eine halbe Stunde Zeit verschlingen. „Da will dann kein Mensch hin“, sagt Taxifahrer Andreas Hager. Einer seiner Kollegen hat über Taxifahrer jüngst den Kopf geschüttelt. Jemand wollte von der Michendorfer Chaussee ins Zentrum gebracht werden. Drei Taxis standen am Bahnhof bereit, keiner nahm die Fahrt an. „Solche Leute vergessen, dass wir Dienstleister sind“, sagt der Beobachter.
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