Filmfestival Potsdam: Spiel mit der Angst
Zwischen Neurose und Zukunft: Erste Eindrücke vom 47. Studierendenfilmfestival „Sehsüchte“ an der Filmuniversität Babelsberg.
Potsdam. Ein Aphorismus aus dem Apothekenkalender ist es, der dem diesjährigen Festivalschirmherr Florian Gallenberger zum „Sehsüchte“-Motto „Metamorphosis“ einfällt: „Das einzige von Bestand ist der Wandel“. Das passe sowohl zu dem Festival selbst, das von Jahr zu Jahr von neuen Studierenden der Filmuniversität organisiert wird, wie auch zum Metamorphosen-Motto, das gesellschaftliche wie auch persönliche Umbrüche, Verwandlungen und Wandel allerlei Art in den Nachwuchsfilmen gespiegelt sehen will.
Wandel, Angst und Poulismus
Schirmherr Florian Gallenberger, der unter anderem als Regisseur mit den Filmen „John Rabe“ und „Colonia Dignidad“ bekannt geworden ist, sieht im Wandel allerdings auch eine Ursache für die aktuellen populistischen Strömungen in Gesellschaft und Politik. Steht Wandel doch für Veränderungen, die Menschen auch Angst machen können. Und aus dieser Angst heraus schließt sich manch einer Gruppierungen an, die eine Rückkehr zum Altbewährten versprechen – seit jeher ein Bezugspunkt des Konservatismus und Lockmittel des Populismus.
Das Medium Film allerdings könne vor solchem Stillstand bewahren, nahezu jeder Film erzähle eine Entwicklung, einen Wandel: „Metamorphosen sind unser Geschäft“, so Gallenberger. Stillstand und Sicherheit hingegen seien Feinde des Kreativen, Schöpferisches sei immer auch ein Wandel. Den angehenden Filmemachern rät der 46-jährige Erfolgsregisseur: Besser mit etwas Scheitern als es erst gar nicht zu versuchen: „Wer sich seinem eigenen Wandel verschließt, ist schon so gut wie tot.“
Medien, Macht und Politik
Wie aus Angst vor Veränderungen postfaktische Sichtweisen und die vermeintlich einfachen Antworten des Populismus werden, zeigen gleich mehrere Filme des Festivals. Der Dokumentarfilm „Ich Zweifel also bin ich“ (heute um 18 Uhr, Kino 2/Filmuni) von Florian Karner stellt einen ehemaligen Arzt in den Mittelpunkt, dessen Depression durch Ängste befeuert wird. Trotz aller Selbstreflexion ist er anfällig für Verschwörungstheorien. Im Dokumentarfilm „Meuthen’s Party“ von Marc Eberhardt wiederum ist der umstrittene baden-würtembergische AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen die zentrale Figur. Es ist ein Film, der die Mechanismen von Medien, Macht und Politik zu entlarven versucht. Wobei es immer auch um das Spiel mit den Ängsten der Menschen geht.
Eine viel greifbarere Angst hat die iranische Regisseurin Farnoosh Samadi in ihrem Film „The Gaze“ mit der Kamera geradezu seziert (28. April, 18.30 Uhr, fx.Center). Eine Frau beobachtet im Bus, wie ein junger Mann einem schlafenden Passagier das Portmonee stiehlt. Die Entscheidung, den Täter auf frischer Tat zu überführen, scheint erst einmal richtig. Der Bestohlene erhält seine Börse zurück, der Dieb wird aus dem Bus geworfen. Doch die Frau hat nicht damit gerechnet, dass der Dieb sie fortan verfolgt. Eine Angst legt sich über ihren Heimweg, die über die Nacht hinaus bestehen bleiben wird.
Junges mutiges Gegenwartskino
Dem Programmteam ging es vornehmlich darum, auf dem Festival junges mutiges Gegenwartskino zu zeigen. Wobei die Fragen, was das eigentlich ist und wohin es sich gerade entwickelt, zentral sind. Eine einzige Antwort gebe es darauf zwar nicht, sagt Pune Djalilehvand von der Programmgruppe. Aber eines sei klar: Die Filme müssten einen Impuls geben, im besten Fall die Zuschauer fassungslos machen – und vielleicht auch Regeln außer Kraft setzen.
Unerwartete Impulse wie sie beispielsweise in dem Film „Close“ von Lisa Reich eine Rolle spielen (heute um 11 Uhr, Kino 1/Filmuni). Mira und Jonas sind ein eingespieltes Team: Ihre Tanzchoreografie ist perfekt, doch der Regisseurin fehlt etwas. Mit einem handwerklichen Kunstgriff bringt sie die beiden dazu, ihre Beziehung zu überdenken. Sie fragt Jonas, ob er mit seiner Tanzpartnerin schlafen möchte. Aus einem Moment der Fassungslosigkeit wird Wahrhaftigkeit. Dann fällt das Licht aus.
Der gute alte Trickfilm
Die Macht der Imagination bedienen die Nachwuchsfilmer auch in ganz anderer Weise. Bei einigen der Animationsfilmen sind allem Technologiewandel zum Trotz Knetfiguren die Stars. Keine pixelmächtigen Computeranimationen, sondern schlichte Knete, der gute alte Trickfilm. So beispielsweise in dem Film „Love me, fear me“ von der Babelsberger Filmstudentin Veronica Solomon (heute um15 Uhr, fxCenter): Hier wechselt eine niedliche Knetfigur ihr Äußeres – je nach Wunsch der Umgebung.
Dahinter steht die Frage, was man alles machen würde, um geliebt zu werden. Womit wir auch wieder der Metamorphose wären. „Eine Metapher über die Rollen, die wir spielen, über die Formen und die Bühnen, die wir wählen und über das Publikum, das wir zu beeindrucken versuchen“, so die Beschreibung des Films vom Programmteam. Knete ist auch in dem hinreißenden Animationsfilm „Cream“ der Hauptdarsteller, ein genial absurdes Gesellschaftsbild mit kleinen Trickfiguren von Lena Ólafsdóttir (heute um17.30 Uhr, fx.Center) – auch hier sind wieder Verwandlungskünstler am Werk.
Für die Filmuni-Präsidentin Susanne Stürmer ist der vielbeschworene Wandel in erster Linie ein Gewinn. Dass Kino und Fernsehen auf dem Rückzug sind, sieht sie auch als Chance, neue Wege zu gehen. Sie spricht von Freude am Wandel – und rät den Studierenden „verwegen“ zu bleiben. Für Biene Pilavci von der Dokfilm-Jury zählt am Ende vor allem eins: Dass man anders aus dem Kino herauskomme, als man hereingegangen ist. Bei über 130 Festivalfilmen dürfte sich dafür sicherlich der richtige Film finden lassen.
Bis 29. April, Filmuniversität und fx.Center Babelsberg, das Programm ist zu finden unter www.sehsuechte.de
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