Garnisonkirche in Potsdam: Schweres Gepäck
In neun Workshops sollen sich Schüler künftig in der Nagelkreuzkapelle mit Geschichte auseinandersetzen
Potsdam - Es beginnt mit einem Koffer. Darin finden die Schüler unter anderem alte Postkarten zum „Tag von Potsdam“, eine Gedenkmünze an jenen 21. März 1933, das berühmte Foto, auf dem der damals neue Reichskanzler Adolf Hitler vor der Garnisonkirche dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg mit gesenktem Kopf die Hand reicht, Zeitzeugenberichte und einen USB-Stick mit einer Filmsequenz von damals.
Anhand dieser Objekte sollen sich Schüler künftig in der Nagelkreuzkapelle und dem späteren Garnisonkirchenturm den Geschehnissen am „Tag von Potsdam“ nähern. Am Dienstag stellte Nagelkreuzkapellenpfarrerin Cornelia Radeke-Engst ein neues Konzept für diesen Bereich vor. Nachdem die Schüler sich mit den Inhalten des Koffers auseinandergesetzt haben, geht es in Kleingruppen weiter, unter anderem mit Rollenspielen oder der Arbeit mit Quellen wie einem Auszug der damaligen Rede Hitlers. Auch eine Straßenumfrage sollen die Schüler machen: Was wissen die Menschen in Potsdam heute über den „Tag von Potsdam“?
Bei einem Probelauf mit einer Schulklasse hätten sich dabei deutliche Wissenslücken aufgetan, berichtet die Historikerin Heike Roth, die den Workshop konzipiert hat: „Nur etwa die Hälfte weiß überhaupt, was es mit dem ,Tag von Potsdam’ auf sich hat.“ Dieser Befund unterstreicht exemplarisch, wie wichtig die Auseinandersetzung mit Geschichte ist. Erarbeitet wurde das Workshopkonzept in den vergangenen vier Jahren von vier Historikern und Theologen unter Begleitung eines sechsköpfigen pädagogischen Beirats. Insgesamt neun Workshops für Schüler der Klassenstufen sieben bis zwölf sind dabei entwickelt worden. Rund 15 000 Euro habe die Erarbeitung des Konzepts gekostet, sagte Radeke-Engst. Finanziert wurde das zum Großteil über die in Potsdam beheimatete F. C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz, aber auch über Mittel von der Landeskirche sowie Spenden von zehn Privatpersonen.
Mit dem Konzept komme man einer wichtigen Aufgabe vor Ort nach, so die Nagelkreuzpfarrerin: der Aufarbeitung der Geschichte der Garnisonkirche, einem Ort, der „wie ein Brennglas deutsche Geschichte abbildet“. Auch Irmgard Schwaetzer, die Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Garnisonkirchenstiftung, bekräftigte das. Man wolle jegliche geschichtsrevisionistische Tendenzen klar zurückweisen und sehe sich der Aufgabe verpflichtet, „die jungen Menschen auch in ihrer Haltung zur Demokratie zu stärken“, sagte Schwaetzer.
Gebucht werden können die Workshops aber frühestens im kommenden Jahr, sagte Pfarrerin Cornelia Radeke-Engst. Voraussetzung sei noch die Bewilligung von Fördermitteln für eine pädagogische Fachkraft, die jetzt beantragt werden sollen. Geplant ist zunächst eine halbe Stelle, sagte Radeke-Engst. Außerdem bereite man derzeit Flyer vor, mit der die Potsdamer Schulen über das Angebot informiert werden sollen.
Inhaltlich gliedern sich die Workshops in drei Themenfelder. Unter der Überschrift „Kirche und Staat“ gibt es Projekte zu den Themen „Thron und Altar in Preußen“, zur Altpreußischen Union von 1817 und zum „Tag von Potsdam“ 1933. Zum Thema „Freiheit und Widerstand“ sollen Projekte zum Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944, zur Bekennenden Kirche in Potsdam und zu den Neuanfängen der Heilig-Kreuz-Gemeinde nach 1945 angeboten werden. Zum Thema „Frieden und Versöhnung“ gibt es Workshops zum Versöhnungsgedanken von Coventry, dem Nagelkreuz von Coventry und dem Gebet von Coventry: Die englische Stadt, die im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Armee bei Luftangriffen zerstört wurde, ist Geburtsstätte der heute weltweit arbeitenden christlichen Nagelkreuzgemeinschaft, die sich der Versöhnung verschrieben hat – und der auch die Potsdamer Nagelkreuzkapelle angehört.
Alle Angebote können unabhängig voneinander wahrgenommen werden, sie bauen inhaltlich nicht aufeinander auf. Der in Potsdam kontrovers diskutierte Wiederaufbau des Garnisonkirchenturms, der im Herbst 2017 begonnen hat, wird in allen Workshops aufgegriffen. Die Erfahrung von bisherigen Besuchen von Schülerklassen zeige, dass die Jugendlichen dieses Thema sehr interessiere, berichtete Radeke-Engst. Zeitlich bewegen sich die Kurse zwischen 90 Minuten und 150 Minuten, wobei es auch Anregungen für Erweiterungen gibt.
Ohnehin sei das Konzept, das bislang nur vor Ort in Ordnern in Form von Vorbereitungsmaterial für die neun Module vorliegt, nur ein Anfang, betonte Radeke-Engst. Es könne künftig überarbeitet, aber auch um weitere Angebote, etwa für Kita- und Grundschulkinder, mit denen man in der Nagelkreuzkapelle auch schon arbeite, erweitert werden.
Um den Wiederaufbau der Garnisonkirche wird seit Jahren heftig gestritten. Die Garnisonkirchenstiftung will zunächst den Turm errichten und plant dort ein Versöhnungszentrum. Finanziert wird das über Steuergelder, Darlehen der Landeskirche sowie Privatspenden. Befürworter argumentieren mit der Bedeutung für das Stadtbild und der inhaltlichen Arbeit. Gegner, darunter die evangelische Martin-Niemöller-Stiftung, kritisieren die Verwendung von Steuergeld und befürchten, dass die Kirche wegen ihrer Rolle beim „Tag von Potsdam“ 1933 zur Pilgerstätte für Neonazis wird. Die Barockkirche wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und 1968 auf Geheiß der DDR-Führung gesprengt. Für den Aufbau müsste auch das Rechenzentrum weichen.
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