Potsdam: Schwarztee und Weißwein
Das Prinzip des „Welcome Dinners“ ist simpel: Einheimische laden Flüchtlinge zum Essen ein. Zwei Frauen haben die Idee nun auch nach Potsdam gebracht
Was reicht man zum Abendessen, wenn die Gäste wahrscheinlich Muslime sind? Natürlich keinen Alkohol. Also Wasser? Saft? Cola? Sabine Lang und Antje Bachmann haben großzügig eingekauft und sind auf fast alles vorbereitet. Dann kommen die Gäste. Und möchten Tee trinken. Natürlich schwarz. Natürlich.
Zwei der drei Gäste, die heute Abend zu Besuch kommen, haben Sabine Lang und Antje Bachmann noch nie gesehen. Das ist auch gewollt so, denn die beiden Frauen sind heute die Gastgeber eines „Welcome Dinners“, also eines Willkommens-Abendessens. Die Idee dahinter ist einfach: Einheimische laden Flüchtlinge zu einem Essen zu sich nach Hause ein und heißen sie so in ihrer neuen Heimat willkommen. Mit ein bisschen Glück entstehen so erste Bekanntschaften oder sogar Freundschaften. Eine junge Schwedin hat dieses Prinzip ersonnen, mittlerweile gibt es in vielen Städten auf der ganzen Welt „Welcome Dinner“. Seit vergangenem Sommer auch in Potsdam.
Organisiert werden diese integrativen Abendessen von Antje Bachmann und Sabine Lang selbst – dass sie heute auch als Gastgeber auftreten, ist eher die Ausnahme. Eingeladen haben sie in die Wohnung von Sabine Lang in der Potsdamer Innenstadt, die 46-Jährige ist Juristin bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Antje Bachmann, zwei Jahre jünger und Projektmanagerin bei Lotto Brandenburg, ist schon früher gekommen, sie hilft beim Kochen. „Mich fasziniert die Einfachheit der Idee“, sagt Sabine Lang und sieht noch einmal nach dem Hühnchen im Ofen. In der „Brigitte“ hatte sie von dem Konzept „Welcome Dinner“ gelesen und war sofort überzeugt.
Erst meldete sie sich beim Einladungsinstitut des Vereins Soziale Stadt an, der ein ähnliches Projekt vorhatte. Dort traf sie Antje Bachmann. Schnell war den beiden Frauen klar: Sie wollen das Projekt alleine stemmen, und zwar unter dem Namen „Welcome Dinner“. Der sagt schließlich schon fast alles aus über die Idee dahinter.
Neben ihren Vollzeitjobs arbeiteten die beiden also ein Konzept aus und ließen eine Webseite erstellen, auf der sich Potsdamer und Flüchtlinge anmelden können. Einen Teil der Kosten konnten sie mit einer Förderung des Landes decken, der Webdesigner gab ihnen Nachlass. Schulden haben die beiden jetzt trotzdem. Doch das ist es ihnen wert.
Es klingelt, die drei Gäste trudeln ein. Es sind drei Männer, sie kommen alle aus Syrien und wie sich schon nach wenigen Sätzen herausstellt, auch aus der gleichen Stadt: Qamischli im kurdischen Nordosten des Landes. Ali ist 25 und wohnt in einer Flüchtlingsunterkunft in Neuseddin. Dort hat er den ein Jahr jüngeren Khaled kennengelernt, den er mit zum „Welcome Dinner“ gebracht hat. Der 40-jährige Najdat ist alleine gekommen, er lebt in Groß Glienicke.
Ob sich die drei schon aus der Heimatstadt kennen? Ungläubige Blicke. Immerhin 500 000 Einwohner habe die Stadt, sagen sie. Auf dem Smartphone „Qamischli“ gesucht und den deutschen Frauen gezeigt. Und schon ist das erste Gesprächsthema gefunden. Najdat kann schon ein wenig Deutsch, Ali spricht Englisch, Khaled wohl keines von beidem so wirklich, er hält sich zurück. Die anderen berichten vom kurdischen Neujahrsfest Nouruz, das bald ansteht, und wie sie es in ihrer Heimat gefeiert haben. Bald kommt die Runde auch auf die Flüchtlingsheime zu sprechen, in denen die sie jeweils untergebracht sind, sie sprechen von „Camps“. Ali hat vor Kurzem eine Wohnung gefunden und wird von Neuseddin nach Ludwigsfelde umziehen – noch so ein unaussprechlicher deutscher Ortsname. Fast so kompliziert wie Doberlug-Kirchhain, wo er zuerst untergebracht war. Auch Najdat will alleine leben, er ist nicht glücklich in Groß Glienicke. Er teilt sich sein Zimmer mit fünf weiteren Menschen, die sanitären Einrichtungen lassen zu wünschen übrig. „Ich bin zu alt für so etwas“, sagt er. Nach einem Pharmazie-Studium in der Ukraine hat er in Syrien bei verschiedenen Pharma-Firmen gearbeitet, in der Werbung, wie er sagt. „We call it Pharmavertreter“, wirft Sabine Lang ein.
Die Gäste haben mittlerweile alle ein Getränk: Ali und Khaled nippen am Tee, Najdat schließt sich entgegen der Erwartung den Deutschen an und nimmt ein Glas Weißwein. Stereotype stimmen so ganz eben selten – auch mancher Muslim trinkt Alkohol, und nicht alle Deutschen sind verrückt nach Hunden – obwohl Ali das vermutet und sich vor Sabine Langs Mischling Athos hinter dem Tisch verschanzt.
Dann geht es ans Essen: Der Salat wird gelobt, trifft aber eher auf Skepsis, doch das Huhn aus dem Ofen kommt offenbar an. „Bei meinem ersten ,Welcome Dinner’ haben mein Freund und ich Spargel gekocht“, erinnert sich Antje Bachmann. Ein junger Mann aus Afrika war zu Gast, er kannte Spargel nicht. „Ich glaube auch nicht, dass es ihm geschmeckt hat“, sagt die Babelsbergerin lachend. „Aber er hat alles aufgegessen und sich mit keinem Mucks beschwert.“
36 Dinner haben die beiden Frauen mittlerweile organisiert, manche sind mit Foto und Erlebnisbericht auf der Homepage dokumentiert. Die Resonanz der Teilnehmer sei durchweg positiv, sagt Antje Bachmann. Etwa ein Drittel der Teilnehmer meldeten sich für ein weiteres „Welcome Dinner“ an. Schon so manche Freundschaft sei entstanden – auch Ali, der schon einmal zu einem „Welcome Dinner“ eingeladen war, ist seitdem „best friends“ mit seiner Gastgeberin. „Diese Abende geben uns das Gefühl, hier eine Familie zu haben“, sagt er, und an dem Tisch wird es kurz sehr ruhig. Auch an diesem Abend ergibt sich etwas Langfristiges: Antje Bachmann und Najdat verabreden sich zu einem Sprachtandem. Schließlich will Najdat sein Deutsch aufbessern, und Antje hat gerade mit dem Arabischlernen angefangen.
Infos und Anmeldeformulare unter welcomedinner-potsdam.de
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