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Potsdamer gedachten der Opfer des Anschlages auf die Synagoge in Halle.
© Andreas Klaer
Update

Nach Anschlag in Halle: Schröter: "Aus der Tat darf kein Flächenbrand werden"

Nach dem rechtsextremen Anschlag in Halle versammelten sich am Donnerstagabend mehr als 100 Potsdamer zum Gedenken. Brandenburgs Innenminister Schröter hält Nachahmungstäter für möglich.

Potsdam - Einen traurigen Psalm wollte er nicht lesen. „Es ist ein sehr trauriger Tag für uns. Aber wir, das jüdische Volk, haben tausende Jahre überlebt, weil wir immer in die Zukunft schauen und unseren Optimismus bewahren“, sagte der Brandenburger Landesrabbiner Nachum Presman am Donnerstagabend, bevor er auf Hebräisch einen Psalm für Frieden in der Welt vortrug. Vor den Räumen der jüdischen Gemeinde in der Werner-Seelenbinder-Straße hatten sich mehr als 100 Potsdamer versammelt, um der Opfer des Anschlags in Halle zu gedenken und ihre Solidarität mit den Juden zu zeigen. Einige hatten Kerzen dabei, manche kamen mit der ganzen Familie, hängten sich die von der Verwaltung verteilten Schals des Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ um. Etliche Stadtverordnete aller Fraktionen waren bei der recht spontan anberaumten Gedenkveranstaltung dabei.

Schubert kritisierte die "geistigen Brandstifter" in den Parlamenten

„Wir sind fassungslos“, sagte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) in seiner Ansprache. Mit Kippa auf dem Kopf erklärte er: „Der Antisemitismus in Deutschland hat ein neues furchtbares Fanal erreicht.“ Der Anschlag sei nicht die Tat eines Einzelnen, sagte er. „Der sich einschleichende Antisemitismus darf nicht salonfähig werden, nicht in Talkshows, nicht in den Wohnzimmern und auch nicht am Stammtisch“, so Schubert. Harsch kritisierte er die „geistigen Brandstifter“, die ihren Weg auch in die Parlamente gefunden hätten. Bezogen auf die AfD sagte er, er frage sich, warum eine politische Partei, die jede Gewalttat geißele, so lange keine Worte gefunden habe für das, was in Halle geschehen sei.

Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD).
Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD).
© Andreas Klaer

Auch Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) fand klare Worte. Das Attentat zeige „die Verletzlichkeit unseres friedlichen Zusammenlebens“. Bürger jüdischen Glaubens seien viel zu oft Hetze ausgesetzt. „Nie wieder sollen ihre Synagogen brennen“, so Schröter. „Aus so einer Tat darf kein Flächenbrand werden.“ Dafür müsse die Gesellschaft solidarisch zusammenstehen, aber auch der Rechtsstaat müsse dafür sorgen.

Innenminister Schröter: "Die Gefahr von Nachahmungstätern besteht"

Nach dem Anschlag am Mittwoch wurden jüdische Einrichtungen im Land und auch in Potsdam unter Polizeischutz gestellt – bis auf weiteres, wie es aus dem Innenministerium hieß. „Diese Maßnahmen werden solange aufrecht erhalten, wie es nötig ist“, sagte Schröter den PNN am Rande der Veranstaltung. „Wir müssen davon ausgehen, dass die Gefahr von Nachahmungstätern besteht“, machte der Minister deutlich. Nach dem Anschlag von Halle müsse die Lage völlig neu bewertet werden. Dazu werde man neue Sicherheitskonzepte erarbeiten. Nach Angaben eines Sprechers des Innenministeriums hatte es am Mittwoch eine bundesweite Abstimmung zur Sicherheitslage gegeben. 

Es liege aber in der Hand der lokalen Polizeipräsidien, die Gefährdungslage einzelner Örtlichkeiten einzuschätzen. „Schutzmaßnahmen gelten in Brandenburg für insgesamt rund hundert Einrichtungen wie Gemeindehäuser, Friedhöfe, aber auch Gedenkorte – darunter in Potsdam 15 bis 20 Einrichtungen“, so der Sprecher. Dazu zählen die drei jüdischen Gemeinden, das Abraham-Geiger-Kolleg und das Moses Mendelssohn Zentrum. Auch der jüdische Friedhof in der Puschkinallee oder auch eine Ehrentafel am Platz der Einheit werde geschützt.

Potsdamer Juden fühlen sich nach dem Anschlag in Halle unsicher

Evgueni Kutikow, Vorsitzender der Jüdische Gemeinde, hält Polizeischutz für dringend notwendig. „Wir fühlen uns unsicher“, sagte er am Rande der Veranstaltung. Dass ein Anschlag wie der in Halle heutzutage in Deutschland passiere, habe ihn geschockt und auch überrascht. „Wir wünschen uns, in unserem Haus sicher zu sein“, sagte Kutikow mit Blick auf die Gemeinderäume hinter ihm. 

Shimon Nebrat, Geschäftsführer der Gesetzestreuen Jüdischen Landesgemeinde in Brandenburg, begrüßt zwar den Polizeischutz. Für ausreichend hält er ihn aber nicht. „Die Polizei kann nicht jeden Juden in Potsdam schützen“, sagte er auf Anfrage. Er habe Angst. Er selbst, aber auch seine Gemeindemitglieder. „Manche von ihnen kommen zu hohen Feiertagen nicht mehr in die Gemeinde, weil sie sich fürchten“, sagte er.  Nebrat fordert zusätzlich eine Landesförderung für mehr gemeindeeigene Sicherheit, etwa durch Videoüberwachung oder einen Wachschutz. Seine Gemeinde habe deshalb 2018 einen Förderantrag beim Landeskulturministerium gestellt, dieser sei abgelehnt worden. Ein Sprecher des Ministeriums bestätigte das auf Anfrage. Die Gemeinde erhalte bereits jährlich finanzielle Mittel für ihre Arbeit. Es stehe der Gemeinde frei, einen Teil dieser laufenden Förderung für Sicherheitsvorkehrungen zu verwenden. Deshalb seien keine Zusatzmittel bewilligt worden. „Wir werden nun nach dem Anschlag in Halle einen neuen Antrag stellen“, so Nebrat. „Wir sind ausgeliefert.“ In Halle habe die Tür der Synagoge gehalten, „wir haben so eine Tür nicht“. Das Problem liege aber tiefer, davon ist Nebrat überzeugt: „Die Landesregierung handelt antisemitisch, der Antisemitismus ist eine staatspolitische Ideologie.“ Durch das Bildungs- und Erziehungssystem mit seinen Schulbüchern, durch die Haltung der Politik gegenüber Israel werden „die Menschen erst zu Antisemiten erzogen“, sagt er.

AfD kritisierte die Rede von Oberbürgermeister Schubert

Kritik an Schuberts Rede kam von Stadtverordneten der AfD, die an dem Gedenken teilnahmen. „So ein trauriger Anlass darf nicht für Parteipolitik missbraucht werden“, sagte Sebastian Olbrich. „Wir sind keine Rechtsextremen und keine Judenfeinde.“ Schubert merkte im Nachgang an, er habe keine Partei namentlich genannt. „Getroffene Hunde bellen“, sagte der Oberbürgermeister.

Etwa zeitgleich zum Gedenken zog auch eine Demonstration für die Kurden in Nordsyrien durch die Potsdamer Innenstadt, der ursprünglich auch zur Gedenkveranstaltung dazustoßen wollte. Der Zug bewegte sich vom Luisenplatz zur Werner-Seelenbinder-Straße - erreichte diese jedoch erst, nachdem die Gedenkveranstaltung für die Opfer von Halle beendet war.

Prokurdische Demonstration auf dem Potsdamer Luisenplatz.
Prokurdische Demonstration auf dem Potsdamer Luisenplatz.
© Andreas Klaer

Am Mittwoch hatte in Halle ein schwer bewaffneter mutmaßlicher Rechtsextremist versucht, in die Synagoge einzudringen. Nachdem der Versuch scheiterte, soll er vor der Synagoge und in einem Döner-Imbiss zwei Personen erschossen haben.

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