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Perspektivwechsel. Nach Olympia wird Kevin Kuske Bob-Athletiktrainer.
© P. Pleul/dpa

Potsdam und die Olympischen Winterspiele 2018: Schlaflos in Pyeongchang

Die Bob-Karriere von Kevin Kuske ist glorreich. Zum Abschluss seiner 20-jährigen Laufbahn im Schlitten möchte der Potsdamer nun eine weitere Olympiamedaille gewinnen. Für die Zeit danach hat die Anschieber-Ikone bereits eine Perspektive.

Weißes Hemd, schwarzes Sakko, schwarze Hose. Kevin Kuske hat sich adrett gekleidet für den Abschied. Ein gutes Dutzend Journalisten ist gekommen, etwa 30 Offizielle aus dem Sportministerium, von der Sporthilfe des Landes Brandenburg, vom SC Potsdam, um dessen drei Bobsportler für ihre olympische Mission in Südkorea zu verabschieden. Kevin Kuske kennt das. Zum fünften Mal hört er, dass sie ihm alles Gute wünschen und voller Hoffnung sind, dass er eine olympische Medaille mit nach Hause bringt.

Fünf Mal ist ihm das bei seinen bisherigen vier Olympiateilnahmen gelungen, viermal wurde er Olympiasieger, einmal brachte er zudem Silber heim. Als vor vier Jahren in Sotschi die erfolgsverwöhnte deutsche Bobflotte auf der Medaillenjagd hinterherfuhr, war Kevin Kuske einer der Ersten, der schwor, dies nicht so stehen zu lassen: „Ich hänge noch mal vier Jahre ran und korrigiere das“, kündigte er damals entschlossen an.

Kuske bemängelt Selbstwahrnehmung vieler junger Sportler

Da steht er nun, zupft sich das Sakko zurecht, lächelt in die Kameras und wünscht sich, es wird so kommen, wie sein Anschieberkollege Christian Poser es sagte, als sie sich gegenseitig vorstellten und er Kuske – irrtümlich oder voraussehend – fünf Olympiasiege zuschrieb.

Damals war's. Kevin Kuske (l.) holte 2002 in Salt Lake City erstmalig Olympiagold.
Damals war's. Kevin Kuske (l.) holte 2002 in Salt Lake City erstmalig Olympiagold.
© Kay Nietfeld/dpa

Musik, Fitness und Mode stehen als Kuskes Interessen auf einem Datenblatt, dass für den Empfang an die Journalisten verteilt wird. Seine Olympiagarderobe hat Kevin Kuske aussortiert. Die seiner ersten Spiele vor 16 Jahren in Salt Lake City dürfte ohnehin nicht mehr en vogue sein. Aber er habe es nie gemocht, sich außerhalb der Wettkampfarenen in schwarz-rot-goldenen Trainingsklamotten zu zeigen. „Das hat an Wert verloren“, sagt Kuske. Es gebe heute zu viele junge Athleten, „die gern im Trainingsanzug der Nationalmannschaft posieren, ohne dass sie bereits was geleistet haben“, beklagt er. Er selbst hätte sich zu Beginn seiner Karriere nie getraut, vor Carsten Embach, der als einstiger Potsdamer Weitspringer mit Pilot Wolfgang Hoppe 1994 Olympiasieger und zu Kuskes Vorbild wurde, in den Nationalfarben zu posieren. „Dafür hatte ich viel zu viel Respekt“, sagt Kuske, der gemeinsam mit Embach und Enrico Kühn 2002 im Viererbob olympisches Gold gewann – im Schlitten von André Lange.

Die lange Zeit im Bobsport kostet körperlichen Tribut

Der erfolgreiche Bobpilot ist für Kuske eine Legende. „Seine Gelassenheit, Coolness und Professionalität haben mich immer beeindruckt“, sagt Kuske. „Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin.“ Kuske ist der erfolgreichste Bobanschieber aller Zeiten: Sechsfacher Welt- und Europameister mit insgesamt 39 internationalen Medaillen auf dem Karrierekonto. „Er ist eine unglaubliche Athleten-Ikone“, sagt Christian Poser. Wenn er erklären soll, was seine Sportart ist, sage er: „Ich mach’ das Gleiche, was Kevin Kuske macht.“ Damit sei alles gesagt.

Der Wert seiner Erfolge ist mit den Jahren gestiegen – oder mit dem Alter, wie Kuske sagt. Die vielen Jahre unter den Gewichten von Hantelstangen und Eisenscheiben, Tausende Male zusammengehockt in einem engen Vehikel, das im Hochgeschwindigkeitstempo einen Eiskanal hinabrauscht – das kostet körperlichen Tribut. „Die Knie, der Rücken“, sagt Kuske. „Nach jeder überstandenen Verletzung steigt die Wertigkeit des Erfolges.“ Und den muss er sich härter erarbeiten, vor allem in dieser Saison gab es kaum Ruhepause. Vom ersten Anschubtest bis zum letzten Weltcup ist er jedes Rennen gefahren, ehe er endgültig für seine fünften Winterspiele nominiert wurde. Für ihn stand das nie außer Frage: „Wenn ich fit und gesund bin, gehöre ich noch immer zu den Besten“, sagt der 39-Jährige selbstbewusst.

Kuske soll Trainer am Potsdamer Bob-Stützpunkt werden

Und trotz allem Selbstvertrauen und aller Erfahrung wird er nervös sein an den Wettkampftagen in Pyeongchang, wo er im Vierer von Steuermann Nico Walther fährt. „Das hat in 20 Jahren nie aufgehört“, sagt er. Er wird früh wach sein. „Es ist echt komisch“, erzählt Kuske, „aber bei wichtigen Wettkämpfen liege ich schon um vier wach im Bett und kann nicht mehr einschlafen.“ Die Aufregung wird sich legen, wenn er auf dem Aufwärmplatz läuft, sie wird weg sein, wenn er an der Bobbahn die anderen Athleten sieht. „Dann bin ich im Tunnel“, sagt Kuske. Und es beginnen die Psychospielchen mit der Konkurrenz: Blicke, Mimik, Gestik. „Da sind die großen Kerle echt sensibel“, verrät Kuske.

Die olympischen Fahrten werden die letzten seiner Karriere sein. Kuske steigt aus dem Bob und wechselt die Seiten. Gemeinsam mit Athletiktrainer Jörg Weber wird er in Potsdam als Bob-Coach arbeiten. Kuske will seinen Trainerschein in Bad Blankenburg machen und sein begonnenes Studium an der Europäischen Sportakademie in Potsdam beenden. „Ich werde also noch einmal die Schulbank drücken“, sagt er. Zuvor soll es eine sportliche Endstation geben: Das Siegerpodest in Pyeongchang. 

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