Russischer Angriff auf die Ukraine: Rund 300 Menschen bei Friedenskundgebung in Potsdam
Potsdamer wollen Zeichen gegen Putins Krieg setzen. Auch Friedensgebete sind geplant - und vor dem Rathaus weht die ukrainische Fahne.
Potsdam - Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ist das Entsetzen in Potsdam groß - aber auch die Solidarität mit den Menschen in dem angegriffenen Land. Vor dem Rathaus weht die ukrainische Flagge, an der Friedenskirche setzte die Schlösserstiftung mit einer Mahnwache und einer Schweigeminute ein Zeichen für den Frieden. Am Donnerstagabend findet am Alten Markt ab 18 Uhr eine Solidaritätskundgebung statt. Angemeldet wurde die Veranstaltung von Linke-Fraktionschef Stefan Wollenberg. Zudem werden in mehreren Potsdamer Kirchen Friedensgebete abgehalten.
Unter dem Motto "Die Waffen nieder - Frieden in der Ukraine" mobilisieren zu der Kundgebung neben den Linken auch die Grünen, die SPD, die Wählergruppe "Die Andere" und der Gewerkschaftsbund DGB Westbrandenburg. Auch der Migrantenbeirat ruft zur Kundgebung auf.
Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sagte den PNN, er wolle die Kundgebung auch unterstützen - als Vorsitzender des parteiübergreifenden Bündnisses "Potsdam bekennt Farbe". Seine Gedanken seien bei den Menschen in der Ukraine. Im Aufruf zu der Kundgebung heißt es, mit dem Einmarsch russischer Truppen sei eine neue Eskalationsstufe erreicht: "Diesen klaren Bruch des Völkerrechts verurteilen wir. Er ist durch nichts zu rechtfertigen!" Die Solidarität gelte den Menschen in der Ukraine, die nun Opfer dieses Krieges sind.
Via Twitter rief Schubert gemeinsam mit der Landeshauptstadt die Potsdamer:innen zur Teilnahme an der Kundgebung auf: "Zeigt Euch solidarisch, steht auf gegen Angriffskrieg und Diktatur." Auch die Potsdamer CDU schloss sich den Protestnoten an, will sich auch an der Kundgebung beteiligen. Ihr Kreisvorsitzender Oliver Nill sagte: "Putin hat ruchlos unter erlogenen Gründen die Ukraine angegriffen." Bei einer Eskalation "von solchem Ausmaß" könne die kommunale Ebene nicht schweigen, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Matthias Finken.
Stadtpräsident Pete Heuer (SPD) sagte den PNN, das Präsidium des Kommunalparlaments bereite einen fraktionsübergreifenden Dringlichkeitsantrag für die Stadtverordnetenversammlung vor: So wolle man den Angriff verurteilen. Die Stadtverordneten tagen am kommenden Mittwoch.
Tiefe Sorge im Klinikum - mit 100 Mitarbeitern aus der Ukraine
Mit Betroffenheit verfolgt man auch im städtischen Bergmann-Klinikum das Geschehen. Dort sind mehr als 100 Mitarbeiter:innen aus der Ukraine beschäftigt, sagte Geschäftsführer Hans-Ulrich Schmidt. "Unsere Gedanken sind mit Ihnen und Ihren Familien und Freunden.“ Man versuche mit vielen Gesprächen auf den Stationen Unterstützung anzubieten, so Schmidt weiter. „Kurzfristige Dienstplanveränderungen, Sonderurlaube – wir versuchen mit flexiblen Lösungen im Kleinen zu helfen.“ Darüber hinaus habe ein internes Team der Psychosozialen Notfallversorgung eine Notfallhilfe für diese Mitarbeitenden organisiert. So stünden Seelsorger:innen oder auch psychotherapeutisch geschulte Ärzte bei Bedarf zur Verfügung.
Reaktionen seit den Morgenstunden
Seit den Morgenstunden gibt es Reaktionen - etwa in den sozialen Netzwerken. So twitterte der Potsdamer SPD-Chef Andreas Schlüter: "Du wachst auf und der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Ein trauriger Tag." Die Potsdamer Grünen erklärten später: "Putin hat den Krieg zurück nach Europa gebracht und mit den elementarsten Regeln der internationalen Ordnung gebrochen."
Der evangelische Kirchenkreis in Potsdam hat auf seiner Internetseite ein Friedensgebet veröffentlicht. Potsdams Superintendentin Angelika Zädow kündigte für Donnerstag um 19 Uhr ein viertelstündiges Friedensgebet in der Erlöserkirche in der Nansenstraße mit Musik, Lesung und stiller Zeit an. In der Nagelkreuzkapelle in der Breiten Straße findet am Donnerstag um 18 Uhr ein Friedensgebet mit Pfarrer Martin Vogel statt.
Bereits am Dienstagabend hatte der Pfarrer Steffen Tuschling, Seelsorger der Evangelischen Studierendengemeinden Potsdam und Cottbus, einen offenen Brief veröffentlicht. Darin hieß es schon: "Mir tun die jungen Leute leid, die unser Wertesystem teilen, und deren Hoffnung von Putins Panzern bedroht und zermalmt wird." Und: "Die Ukraine verteidigen heißt heute universelle Werte verteidigen."
Die Schlösserstiftung hatte zu einer Schweigeminute um 14 Uhr vor der Friedenskirche im Park Sanssouci aufgerufen. "Unsere Stiftung hat nicht nur die Aufgabe, bedeutende Unesco-Welterbestätten zu bewahren, sondern sieht sich auch in der Pflicht, über unsere Geschichte zu informieren und aufzuklären. Wenn die Vergangenheit uns eines lehrt, dann das: Krieg ist immer der falsche Weg", teilte Stiftungsdirektor Christoph Martin Vogtherr mit.
Mehr als 800 Ukrainer leben in Potsdam
Insgesamt leben laut dem Statistikbericht der Stadt aktuell 869 Menschen aus der Ukraine in Potsdam. Den aus der Ukraine stammenden, langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Potsdam, Mykhaylo Tkach, haben die Nachrichten vom Krieg in seiner Heimat am Donnerstagmorgen überrascht.
Seine in Frankfurt am Main lebende Tochter Wlada, 49, rief ihren 83 Jahre alt Vater an und erzählte, was ihr in Kiew lebende Freunde berichtet hatten, mit denen sie in der ukrainischen Hauptstadt studierte. „Sie hat sehr geweint“, sagte Tkach den PNN. Auch für ihn sei es „sehr schwer“, die Lage zu ertragen, er habe „große Angst vor einem großen Krieg in Europa“.
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Er selbst, sagte Tkach, habe daraufhin einen in Wasilkow lebenden Freund angerufen, die Kleinstadt liege rund 25 Kilometer von Kiew entfernt. Sie ist ein Stützpunkt der ukrainischen Luftwaffe mit ein paar Wohnblocks, es gibt einen Flugplatz und eine Pilotenschule. „Dieser Freund erzählte mir, dass er die ersten Bombenangriffe gehört hat“. Tkach erfuhr auch, dass viele Einwohner jetzt auf der Flucht und die Straßen verstopft seien: „Es ist sehr schwer, aus Kiew herauszukommen.“
Am Donnerstagnachmittag wollte er versuchen, seine Freunde im russischen Samara, einer Industriestadt im Südosten des europäischen Teils von Russland, telefonisch zu erreichen.
Bereits am Dienstag hatte Tkach, im PNN-Interview seiner Sorge über die Lage Ausdruck verliehen: Ihm sei klar, dass Putin "die Republiken der früheren Sowjetunion in die russische Föderation zurückholen will, damit Russland wieder eine Großmacht wird".
In Potsdam leben laut Rathausstatistik auch 1379 Personen aus der Russischen Föderation. Es gibt dabei eine rund 850-köpfige Russisch-Orthodoxe Gemeinde. Dort beobachtet Diakon Daniel Koljada das Geschehen mit Entsetzen: "Das ist nun auch für uns ein Schock." Er habe den Einmarsch nicht erwartet, sagte er den PNN. Die Gemeinde wolle für den Frieden beten und verurteile jede Form der Aggression. "Wir hoffen, dass das nicht auf die Gemeinde abfärbt."
Auch Platzeck meldet sich
Auch Matthias Platzeck meldete sich zu Wort. Der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums und frühere Ministerpräsident von Brandenburg kritisierte den russischen Angriff auf die Ukraine. „Ich bin fassungslos und erschüttert über den durch nichts und niemanden zu rechtfertigenden Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine“, so Platzeck in einer schriftlichen Erklärung. „Ich habe mich immer für Verständnis für russische Sichtweisen und für Freundschaft zwischen unseren Völkern eingesetzt. Für das verantwortungslose Vorgehen des russischen Präsidenten gegen den souveränen Staat Ukraine fehlt mir jedwedes Verständnis. Gewalt darf unter keinen Umständen mehr ein Mittel zur Umsetzung politischer Ziele sein.“ Putin müsse "diese Aggression" sofort stoppen. In der Vergangenheit hatte sich der in Potsdam lebende Platzeck gegen Sanktionen gegen Russland gewandt und war deshalb teilweise als zu Putin-freundlich kritisiert worden. (mit dpa)
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