Position zur DDR-Moderne in Potsdam: Rettet das Minsk
Mit dem Abriss des Minsk ginge Architekturgeschichte in Ostdeutschland verloren, sagt Christian Klusemann in seinem Gastbeitrag für die PNN.
Potsdam und der Umgang mit dem baulichen Erbe der DDR, das ist ein nicht enden wollendes Thema – bis eines Tages nicht mehr viel von den herausragenden Bauten der „Ostmoderne“ jenseits der „Platte“ übrig sein wird. Über den nicht mehr abzuwendenden Abriss der Fachhochschule wurde bis zum Ende gerungen. Einige haben resigniert, viele haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ohne Frage ist das ehemalige Institut für Lehrerbildung so streitbar wie außergewöhnlich.
Was von der Öffentlichkeit bisher eher am Rande wahrgenommen wurde, ist fast noch bedauerlicher – der drohende Abriss des Minsk. In jüngster Zeit werden die Stimmen pro Erhalt allerdings mehr – und zunehmend lauter. Nachdem sich vor einigen Jahren „Pro Brauhausberg“ und dann die „Perspektive Minsk“ für den Bau eingesetzt hatten, gibt es erfreulicherweise seit kurzem auch die Initiative „(re)vive Minsk“. Von „Potsdamer Mitte neu denken“ bis zu „Mitteschön“ hat man in ungewohnter Einheit ebenfalls den Wert des Gebäudes erkannt. Es ist kein Wunder, dass dieses Relikt aus DDR-Zeiten jenseits ideologischer Fronten von einer Mehrheit der Potsdamer als erhaltenswert eingestuft wird. Auch außerhalb der Stadt ist man auf das einstige Terrassenrestaurant aufmerksam geworden. So wirbt in den sozialen Medien nicht nur das bundesweit agierende Netzwerk „ostmodern.org“ regelmäßig für die Bewahrung des Gebäudes auf dem Brauhausberg. In der kunst- bzw. architekturhistorischen Forschung ist man sich schon längst darüber einig, dass das Minsk, dessen ruinöser Zustand viele Architekturhistoriker schmerzt, etwas Besonderes ist. Was aber macht es so originell?
Charakter der "Folklore-Gaststätte"
1976 hatten die einstige DDR-Bezirkshauptstadt Potsdam und die damals sowjetische Stadt Minsk (von einer häufig kolportierten „Städtepartnerschaft“ kann nach neueren Forschungen des Potsdamer Historikers Thomas Wernicke nicht gesprochen werden) beschlossen, das sich bereits im Bau befindliche Haus „zu Ehren des 60. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution als belorussische Folklore-Gaststätte“ zu errichten. So schrieb es Karl-Heinz Birkholz drei Jahre später selbstbewusst in der Zeitschrift Architektur der DDR. Der Architekt orientierte sich nicht am zunächst von Günter Vandenherz entworfenen Rundbau (vermutlich) nach dem Leitbild der „Steinernen Blume“, einem gläsernen Rundpavillon in einem Minsker Neubaugebiet, sondern entwarf zusammen mit Wolfgang Müller ein zweigeschossiges Gebäude, das sich nach seiner Fertigstellung 1977 harmonisch in die Hanglage einfügte. Nicht nur dadurch stellt das Minsk (ex)DDR-weit ein Unikat dar. Durch die Zusammenarbeit mit der Stadt an der Swislatsch konnten einige Materialien aus der Sowjetunion importiert werden.
Der Eingangsbereich wurde aus geflammtem Marmor gestaltet, Lampen aus Kupfer und Schnitzereien aus Mooreiche schmückten das Restaurant (mit der Gestaltung der Innenräume war extra ein Minsker Künstlerkollektiv beauftragt worden). Birkholz beschreibt seine Konstruktion zwar schlicht als „Stahlbetonskelettbau mit Flachdach in monolithischer Bauweise“ mit einem Grundriss von 24 mal 24 Metern. Doch war alles genauestens durchdacht. Nicht nur das: Neben dem Neowappen mit dem Schriftzug „Minsk“ und den stilisierten Kopfbauten des Bahnhofsvorplatzes verwiesen viele Details auf die heutige weißrussische Hauptstadt. Mit einer, in der eher grauen DDR herausragenden äußeren Gestaltung des Gebäudes wollte Birkholz ein Stück Weißrussland nach Potsdam holen: „Unter Verwendung typischer Gestaltungselemente an den Fassaden wurde versucht, den Charakter dieser Folklore-Gaststätte zu unterstreichen“. Daher habe er neben den Brüstungsbändern aus Beton für die Fassaden „ziegelrotes Verblendmauerwerk, dunkelbraune Stahl-Aluminiumfenster mit Schmuckglas-scheiben, rotweißes Ornamentband aus glasiertem Mosaik und hellgraue Kunstschmiedegitter“ verwendet.
Minsk und Mangelwirtschaft
Das hauptsächlich für das Minsk gewählte Material – der rote Klinker (seit Schinkels Zeiten war Backstein ein gern verwendeter Baustoff für zahlreiche Bauaufgaben in Preußen) – vermittelt zugleich zur gegenüberliegenden Giebelwand der Schwimmhalle (1969-1971), die zwar im Gegensatz zum Minsk ein Typenbau ist, aber, ebenfalls von Birkholz, behutsam an den Potsdamer Standort angepasst wurde – und zu einem „vorsozialistischen“ Bestandsbau. Noch heute thront oberhalb der beiden Gebäude auf dem Brauhausberg die einstige, 1902 fertiggestellte preußische Kriegsschule aus der Feder Franz Schwechtens, die zu DDR-Zeiten als Sitz der SED-Bezirksleitung „Kreml“ genannt wurde und nach der Wende den Brandenburger Landtag bis zu dessen Umzug ins rekonstruierte Stadtschloss beherbergte. So entstand in den 1970er-Jahren ein einmaliges materiell und farblich aufeinander abgestimmtes Ensemble aus Alt und Neu, in dem Städtebau und Architektur in seltener Qualität zusammenspielten. Komplettiert wurde es durch eine Treppenanlage und aufwendig gestaltete Springbrunnen, die leider längst verschwunden sind.
All das mag für den heutigen Leser nicht sonderlich aufregend klingen. Doch müssen stets die damaligen Rahmenbedingungen mitbedacht werden. So darf nicht vergessen werden, dass hochtrabend geplante Ensembles aus einem Guss aufgrund der Mangelwirtschaft und der sehr wechselvollen Phasen der DDR-Baupolitik in der Regel unvollendet oder gleich auf dem Papier blieben. Am Brauhausberg aber klappte (fast) alles, nicht nur städtebaulich und architektonisch. Auch hinsichtlich der Nutzung blieben kaum Wünsche offen. Im Keller des Gebäudes (oberhalb eines Bunkers) wurden technische Einrichtungen und „ein Verkaufsstützpunkt mit Terrasse auf der Ebene des Eingangs zur Schwimmhalle“, so Birkholz in Architektur der DDR, untergebracht.
Minsk-Abriss wäre Ironie der Geschichte
Das Erdgeschoß beinhaltete die Eingangshalle mit Rezeption, Garderobe und weiteren Funktionsräumen. Im Obergeschoss befanden sich die Küche, das eigentliche Restaurant, eine Bar und gesondert ein Selbstbedienungsrestaurant. Highlight auf dieser Etage war die vorgelagerte Terrasse mit Stadtblick Richtung Alter Markt. Eine Dachterrasse, von der man einen noch besseren Ausblick auf die Stadt gehabt hätte, wurde aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht realisiert.
Nach der Wende folgte schrittweise der Leerstand – die kostbare Einrichtung ist mittlerweile weitgehend geplündert worden. Wer kein Freund der Nachkriegsmoderne ist, der wird das marode Gebäude vielleicht als „Klotz“ bezeichnen. Diejenigen, die zwar ein Auge für die Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben, aber der DDR per se schlechte Bauqualität (in diesem Fall zu Unrecht) unterstellen, mögen ebenfalls Anstoß am Minsk nehmen. Für Menschen aus dem Nordwesten könnte das Minsk schlicht unspektakulär wirken, schließlich gibt es eine Reihe ähnlich aussehender Nachkriegsbauten von NRW bis zur Nordsee. Innerhalb der DDR-Parameter aber ist das Minsk einmalig. Lediglich im Norden der ehemaligen DDR gibt es Vergleichbares. Würde es abgerissen, ginge (zusammen mit der benachbarten Schwimmhalle) ein wertvolles Zeugnis ostdeutscher Architekturgeschichte verloren. Die nun auf dem Brauhausberg drohenden unspektakulären Investoren-Wohnhäuser können – genauso wie das einfallslose und städtebaulich unpassende Schwimmbad blu – kaum einen gestalterischen Ersatz bilden.
So wäre es nicht nur äußerst bedauerlich, sondern geradezu eine Ironie der Geschichte, wenn ausgerechnet die Unikate, jene häufig unter schwierigsten Umständen errichteten DDR-Sonderbauten (die in einem Staat, der zunehmend auf uniforme Typenbauten aus Fertigteilen setzte, eine Ausnahme waren) im wiedervereinigten und vom westlichen Individualismus geprägten Deutschland durch gesichtslose Allerweltsarchitektur ersetzt werden würden.
Christian Klusemann ist Autor des DDR-Architekturführers „Das andere Potsdam“ und Kunsthistoriker an der Universität Marburg
Christian Klusemann
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