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Startklar. Investor Kirsch will auf einer Brache zwischen Grotrianstraße und Ziolkowskistraße (im Bild links unten) Mehrfamilienhäuser bauen. Um den Bebauungsplan hatte es Streit gegeben, weil die Stadt einen großen Teil der Gewinne abschöpfen wollte. Nun kämpft der Investor vor Gericht um Baurecht.
© Lutz Hannemann

Babelsberg: Rechtsstreit statt Wohnungsbau

Die Stadt wird von einem Investor verklagt, weil sie Wohnungen in Babelsberg nicht bauen lässt – die sie eigentlich haben wollte. Es drohen Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe.

Babelsberg - Die Stadt streitet mit einem Investor um ein Wohnungsbauprojekt in Babelsberg. Nun muss ein Gericht entscheiden, ob gebaut werden darf. Die Stadt geht dabei ein hohes Risiko ein. Verliert sie, könnte Schadenersatz in Millionenhöhe fällig werden. Ein Verlierer steht bei der Auseinandersetzung schon jetzt fest: Wohnungssuchende in Potsdam können in die geplanten Häuser entweder erst später einziehen als gedacht – oder niemals.

Wie wird in Potsdam mit Investoren umgegangen?

Streitobjekt ist der sogenannte Waldpark – ein Grundstück im Karree Ziolkowskistraße, Grotrianstraße und Großbeerenstraße. Auf der 28 000 Quadratmeter großen Fläche will die Kirsch & Drechsler Hausbau GmbH zwölf Häuser mit insgesamt 95 Wohnungen bauen. 28 Millionen Euro sollen investiert werden. Das Projekt ist ein Politikum – nicht nur weil einer der Gesellschafter des Investors der Stadtverordnete Wolfhard Kirsch (Bürgerbündnis) ist, sondern auch, weil es darum geht, wie in Potsdam mit Investoren umgegangen wird und was Investoren für die Stadt tun sollten.

Eigentlich hätte längst mit dem Bau begonnen werden sollen. Doch die Baubehörde lehnte bisher acht Bauanträge ab. Für fünf läuft das Verfahren nach Angaben der Stadtverwaltung noch. Kirsch legte gegen alle abgelehnten Bauanträge Widerspruch ein. Diese wurden bisher in sechs Fällen zurückgewiesen. Dagegen hat Kirsch beim Potsdamer Verwaltungsgericht nun fünf Klagen eingereicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden daraus noch mehr werden.

Kirsch würde auch in die nächste Instanz gehen

Gewinnt Kirsch, kann er anschließend für die entgangenen Einnahmen Schadenersatz verlangen. Es könnte einiges zusammenkommen: Bei 8100 Quadratmetern Wohnfläche in allen zwölf Häusern zu elf Euro Nettokaltmiete wären es monatlich fast 90 000 Euro – pro Jahr ist das mehr als eine Million Euro. Die Höhe etwaiger Forderungen werde nicht unwesentlich von der Dauer des Rechtsstreits beeinflusst, wie aus einer Antwort der Stadtverwaltung auf eine kleine Anfrage des CDU-Stadtverordneten Lars Eichert hervorgeht. „Ich würde auch in die nächste Instanz gehen“, sagt Kirsch.

Die Verwaltung hat sich vorsichtshalber abgesichert, falls sie vor Gericht scheitert: Dann soll der Kommunale Schadensausgleich einspringen – eine Art Versicherung der Kommunen gegen Haftungsansprüche. Das Risiko für die Potsdamer Entscheidungen sollen also andere mittragen.

Die Bauanträge hat Kirsch nach Paragraph 34 des Baugesetzes gestellt. Dieser gestattet es, Flächen im Inneren von Ortsteilen zu bebauen, wenn sie sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen und die Erschließung gesichert ist. Die Regelung nach Paragraf 34 wird meist für kleinere Grundstücke angewendet. Doch ein Gutachten, das den PNN vorliegt, nennt Fälle, in denen Verwaltungsgerichte ähnlich große Flächen noch als Baulücken anerkannt haben.

Die Fläche ist eine Lücke

Verfasst hat es der Potsdamer Baurechtsexperte Christian-W. Otto, Professor an der TU Berlin, im Auftrag von Kirsch. Die optisch massive Wahrnehmung der umgebenden Bebauung bewirke, dass der Bebauungszusammenhang durch die unbebaute Fläche nicht unterbrochen wird, heißt es darin. Kurz zusammengefasst: Weil das Kirsch-Grundstück auf zwei Seiten von fünfstöckigen Plattenbauwohnblöcken umgeben ist und auch auf den anderen Seiten bereits Häuser stehen, ist die Fläche eine Lücke. Tatsächlich sieht man vor Ort nur Häuser – in allen Richtungen.

Die Wertung ist bedeutsam, weil Baulücken im sogenannten Innenbereich bebaut werden dürfen. Und zwar auch, ohne dass es einen Bebauungsplan gibt. Die Baubehörde hätte demnach die Bauanträge genehmigen müssen. Auch die Stadtverwaltung kennt das Gutachten – Kirsch hat es zur Begründung seiner Widersprüche angebracht. Doch sie sieht die Sache anders und geht davon aus, dass das Areal im Außenbereich liegt. Gebaut werden darf demnach nur dann, wenn es einen Bebauungsplan gibt. Auch die Verwaltung führt Gutachten an, die ihre Sicht stützen.

Ursprünglich sollte ein Teil des Areals als öffentliche Parkanlage gestaltet werden

Dabei war die Stadt lange Zeit sogar bereit, den Bau zu erlauben. Mit dem Investor handelte die Verwaltung einen städtebaulichen Vertrag aus, in dem er sich verpflichtete, einen Teil des Areals als öffentlich zugängliche Parkanlage zu gestalten und drei Jahre lang auf eigene Kosten zu pflegen. Diese Forderung war Teil des Aufstellungsbeschlusses für einen Bebauungsplan vom April 2014. Im Gegenzug sollte der Flächennutzungsplan geändert werden, der 70 Prozent des Areals als Wald einstufte. Doch als es ein Jahr später an den Auslegungsbeschluss ging, formierte sich Widerstand unter den Stadtverordneten.

Es ging ums Geld: Besonders die SPD, aber auch die Linke, forderten, dass Kirsch einen größeren Teil der Wertsteigerung durch die Umwandlung von Wald zu Bauland an die Stadt abführen soll. Im September 2015 stimmten die Stadtverordneten der Auslegung des Bebauungsplans nur unter der Bedingung zu, dass zehn Prozent der Wohnungen mietpreis- und belegungsgebundene sein werden. Für die Hälfte dieser Wohnungen sollte zudem die Nettokaltmiete nicht mehr als 5,80 Euro pro Quadratmeter im Monat kosten. Damit sollten zwei Drittel der Wertsteigerung abgeschöpft werden.

Die Wohnungen würden gebraucht

Das wollte Kirsch nicht mittragen. „Der Bebauungsplan Nummer 33 ist tot“, sagte er dazu. Für ihn habe es die Stadt übertrieben, sagt er heute. Natürlich versuche man als Unternehmer, Gewinn zu machen. An dem Projekt hätten aber auch mehrere Menschen mehrere Jahre gearbeitet. „Da relativiert sich die Summe.“ Außerdem trage man das unternehmerische Risiko und führe einen großen Teil des Gewinns als Steuer ab. Die Wohnungen würden gebraucht. „Soweit ich weiß, gibt es Potsdamer, die solche Wohnungen suchen.“

Weil das Projekt auf Eis liegt, habe er mittlerweile zwei Mitarbeiter entlassen müssen. Arbeit haben nun erst mal die Rechtsanwälte. Allein die Verfahrenskosten schätzt die Stadt auf 85 000 Euro plus Anwaltskosten. Kirsch selbst geht von Anwaltskosten von 150 000 Euro aus. Dem SPD-Fraktionschef Pete Heuer, der die Forderung nach der Gewinnabschöpfung maßgeblich vertreten hatte, ist dennoch nicht bange. „Das Baurecht muss eingehalten werden“, sagte er den PNN. Kirschs Klagen halte er für eine Drohkulisse.

Verliert die Stadt, gibt es hohe Kosten und Verzögerungen

Verliert Kirsch, gibt es keine Wohnungen. Verliert die Stadt, gibt es die Wohnungen möglicherweise mit mehrjähriger Verzögerung und hohen Kosten für die öffentliche Hand. Eine gütliche Einigung und eine Wiederaufnahme des B-Plan-Verfahrens schließen beide Seiten derzeit aus.

Interessant ist in dem Zusammenhang auch, wie sich die Stadt verhält, wenn sie selbst bauen will: So kündigte die Verwaltung erst in der vergangen Woche an, mit dem Land eine sieben Hektar große Waldfläche am Bahnhof Rehbrücke tauschen zu wollen. Anschließend solle der Wald – teilweise Landschaftsschutzgebiet – abgeholzt werden, um Platz für den Neubau einer weiterführenden Schule in Waldstadt zu machen. Hätte die Stadt Bauland in dieser Größe kaufen müssen, wäre es sicher teuer geworden.

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