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Rechts außen. Warum es sinnvoll sein könnte, die AfD in die bürgerlichen Parteien einzubinden, erklärt der Historiker Dominik Rigoll anhand eines historischen Vergleichs. 
© Michael Kappeler/dpa

Umgang mit der AfD: "Rechte sind immer nur so stark, so schwach ihre Gegner sind"

Der Potsdamer Zeithistoriker Dominik Rigoll erklärt, warum es sinnvoll sein könnte, die AfD in die bürgerlichen Parteien einzubinden. Ein Gespräch über Integration, Umarmungstaktik und den Verfassungsschutz.

Herr Rigoll, aktuell werden in Debatten um den Umgang mit der AfD oft Vergleiche mit der Zwischenkriegszeit gezogen. Sie haben sich zu der Frage hingegen eine andere Zeit angeschaut.
 

Ich habe gefragt, wie es in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden Teilen Deutschlands gelungen war, den Aufstieg rechter Parteien zu stoppen oder gar ganz zu verhindern. Die Weimarer Republik war hieran gescheitert – in den 1950er Jahren sehen wir hingegen, wie es geglückt ist. Es lohnt sich daher, einen Blick darauf zu werfen, wie die frühe Bundesrepublik mit Parteien wie der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der Deutschen Partei (DP) umgegangen ist.

Was zeigt der Rückblick?

Wie es damals gelungen ist, die offen nazistische SRP zu verbieten und die nationalkonservative DP, die auch über Verbindungen zum rechtsextremen Milieu verfügte, zu integrieren. Die CDU war mit einer Partei wie der DP, die etwa der heutigen AfD vergleichbar wäre, Koalitionen eingegangen. So wurde das nationale Lager sozusagen klein gedrückt. Die CDU konnte das, weil die politische und wirtschaftliche Dynamik am Ende auf ihrer Seite war. Wissen konnte man das vorher aber nicht. Zur gleichen Zeit wurden Zehntausende des ehemaligen NS-Personals, frühere Nazis also, in die demokratischen Institutionen mit hineingenommen. Diese Umarmungstaktik war einerseits gut, weil sie der Radikalisierung dieser Gruppen, von denen zu erwarten war, dass sie rechte Parteien wählen würden, entgegengewirkt hat. Sie haben sich in der Demokratie eingerichtet.

Andererseits aber?

Die Umarmungstaktik verringerte zwar die Bedrohung durch den rechten Nationalismus, gleichzeitig veränderte sie aber auch das Wesen der Demokratie.

Inwiefern?

In den 50er Jahren war die CDU an der Regierung. Aber oft wird vergessen, dass es eine Koalitionsregierung mit einer der AfD vergleichbaren Partei am rechten Rand war. Die DP vertrat offen nationalistische und NS-apologetische Positionen, sie war nationalkonservativ, antiliberal und antisozialdemokratisch eingestellt. Aus dem Kreis der Nationalkonservativen kamen nicht nur Politiker, sondern auch staatliche und gesellschaftliche Eliten, die die Demokratie von innen verändert und geprägt haben. Das war ein wichtiger Grund dafür, dass die Adenauer-Ära nicht nur antikommunistisch, sondern auch extrem antiliberal war. Nun könnte man sagen, dass sich das Problem irgendwann aufgelöst hat, die Bundesrepublik wurde liberaler, die rechten Prägungen sozusagen wegreformiert. Offener Nationalismus und NS-Verharmlosung zum Beispiel sind inzwischen verpönt.

Aber?

Die AfD kann sich heute auf die Adenauer-Ära beziehen und nicht ganz zu Unrecht behaupten, dass ihr offener Nationalismus und ihr Lob der Wehrmacht damals nicht als „verfassungsfeindlich“ galten, sondern Teil der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ waren. Schließlich war die DP an der Regierung, genau wie die damals stark nationalliberale FDP.

Wäre die Umarmungstaktik von damals ein Modell für heute?

Mit Repression alleine kann sich eine Demokratie nicht schützen. Aber sie zahlt für die Integration der Rechten einen Preis. Wenn Angehörige rechter Parteien beispielsweise Lehrerinnen und Lehrer bleiben können, dann kann das einerseits gut sein, weil sie sich vielleicht nicht radikalisieren, sich im Job einrichten. Andererseits können sie dann unterrichten und so die Demokratie mit ihrem Gedankengut prägen. Umarmung kann also gut sein – aber gleichzeitig die Demokratie beschädigen.

Wie kam es zu der Umarmungstaktik?

Das hatte weniger mit rechts oder links zu tun, sondern damit, dass Gesellschaften immer mit Inklusion und Exklusion funktionieren. Jede neue Regierung muss sich überlegen, wer die „Feinde“ sind und wen man miteinbeziehen will. Das Problem stellt sich immer, aber es stellt sich besonders extrem in Transformationszeiten – in Deutschland nach 1918, 1933, 1945 und 1990.

Umarmung heißt aber nicht, mit den gleichen Argumenten der Rechten hausieren zu gehen?

Doch. Das nenne ich „emotionale Integration“. Soziale Integration wäre, den betreffenden Leuten Jobs zu geben, damit sie sich nicht radikalisieren – und sei es bei der Polizei oder der Bundeswehr. Eine andere Option ist es, Argumente zu übernehmen und ein demokratisches Mäntelchen darüber zu legen. Das ist durchaus legitim, so funktioniert Politik, nicht nur im Umgang mit der Rechten. Doch man muss dabei aufpassen, dass man nicht selbst den Boden der Demokratie verlässt, beziehungsweise die Demokratie bis zur Unkenntlichkeit nach rechts verschiebt. Wenn es demokratisch ist, rassistisch zu sein oder die Wehrmacht zu preisen, die in der Sowjetunion einen Vernichtungskrieg mit 27 Millionen zivilen Opfern geführt hat, dann stimmt etwas nicht.

In der Weimarer Republik dachten auch viele, dass man Hitler unterkriegen könnte. Was aber nicht gelang.

Die starke Gruppe neben der NSDAP waren damals die Deutschnationalen. Die hatten despektierlich auf Hitler herabgeschaut, bis die Nazis sie überrumpelten. Anders als in den 1950er Jahren lag die politische und wirtschaftliche Dynamik auf der Seite der Nationalsozialisten.

Nach verlorenem Krieg, Versailles und Weltwirtschaftskrise und bereits grassierenden Antisemitismus …

… viele Teile des NSDAP-Programms waren anschlussfähig an die Interessen und Befindlichkeiten breiter Bevölkerungsgruppen, vor allem im Bürgertum. Die wenigsten Deutschen waren geifernde Antisemiten, aber sehr viele von ihnen wollten Versailles revidieren, viele fanden den Kommunismus gefährlich und die Sozialdemokratie schädlich, hielten Juden für nicht integrierbar.

Wohingegen es nach dem Zweiten Weltkrieg eine andere Dynamik gab?

Genau, nachdem die NSDAP als rechte Sammlungspartei weite Teile des bürgerlichen Spektrums in sich integriert hatte, integrierte nun die christdemokratische Adenauer-CDU als „Volkspartei“ weite Teile des nationalen Lagers. Zugleich kam im Westen das sogenannte Wirtschaftswunder hinzu. Das hatte weniger mit der „deutschen Fleißarbeit“ zu tun, die gerne dafür verantwortlich gemacht wird, sondern mit der Konjunktur dank des Korea-Krieges. In dem starben drei Millionen Zivilisten und seine Folgen beschäftigen uns noch heute. In Westdeutschland ermöglichte dieser blutige Krieg einen Boom, auf dessen Grundlage soziale Absicherung möglich wurde. Aber noch einmal: mit sozialen Maßnahmen alleine bekommt man die Rechten nicht klein. Es geht immer auch um emotionale Aspekte, übernimmt man ihren Rassismus oder setzt man ihm etwas anderes entgegen.

Zum Beispiel?

Die Rechten sind immer nur so stark, so schwach ihre Gegner sind. Es ist eine Sache wie man mit den Rechten umgeht, aber letztlich geht es darum, ob man eine ganz andere, eigene Geschichte erzählt. Hier sehe ich heute auf der linken und liberalen Seite noch keine Utopie, die viele Menschen mitnimmt. Und genau das war in den 50er Jahren anders. Damals gab es das Versprechen des langsam wachsenden Wohlstandes und es wurde auch eingelöst – allerdings auf Kosten der Umwelt und der „Dritten Welt“, was uns heute auch in Form von Migrationsströmen wieder einholt.

Wie sieht es mit der Beobachtung der Rechten durch Sicherheitsbehörden aus?

Das gab es auch in den 50er Jahren. Interessant für uns Historiker ist dabei die Frage, was passiert, wenn die Sicherheitsbehörden sich mit ehemaligen Nazis füllen. Die haben natürlich anders auf die Rechten geschaut, als es ehemalige NS-Verfolgte getan hätten. Das hieß nicht unbedingt, dass sie die Rechten protegiert haben, aber sie hatten ganz einfach viel, viel weniger Angst vor ihnen. Sie hatten weniger Probleme mit einer Umarmung. Aus einer solchen Konstellation heraus entstand das V-Leute-Unwesen, das die Rechten nicht hart bekämpft, sondern mehr mit Deals arbeitet.

Ist es vor dem Hintergrund richtig, dass der Verfassungsschutz heute bei der AfD näher hinschauen will?

Demokratietheoretisch ist die Existenz von Inlandsgeheimdiensten, die nicht nur offenes Material sammeln, sondern auch konspirativ gegen „innere Feinde“ vorgehen, natürlich sehr problematisch. Sie sind eigentlich mit einer liberalen Demokratie unvereinbar. Es gab in den 50er Jahren aufseiten der SPD die alternative Idee eines Demokratieschutzes, der nicht das Wohl des Staates, sondern das der sozialen Demokratie im Zentrum gehabt hätte. Das war von den Bürgern und den Menschenrechten her gedacht und setzte mehr auf den Antinazismus von Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen, als auf staatliche Institutionen voller Ex-Nazis. Damit hätte man auch rechten, linken oder religiösen Extremismus bekämpfen können. Daraus wurde dann nichts, aber vielleicht ist es heute ja möglich, an die Demokratieschutz-Tradition anzuknüpfen.

Zeithistoriker Dominik Rigoll.
Zeithistoriker Dominik Rigoll.
© Matthias Wehofsky/Zentrum für Zeithistorische Forschung ZZF

Dominik Rigoll (Jg. 1975) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Er ist Autor von „Staatsschutz in Westdeutschland“ (Wallstein, 2013).

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