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In Trümmern. In der Potsdamer Bombennacht vom 14. April 1945 wurden große Teile der Innenstadt zerstört.
© Alexander Schittko/Potsdam Museum; Alter Markt 1946

Angriff auf Potsdam 1945: Rätsel über Gründe für das Bombardement kurz vor Kriegsende

Die Potsdamer Militärhistoriker Katrin Hentschel und Harald Potempa suchen nach Beweggründen und Zielen für die britischen Angriffe.

Es ist der 19. April 1945. Der Luftangriff der britischen Royal Air Force auf Potsdam liegt gerade fünf Tage zurück. Unter dem Eindruck dieses Ereignisses notiert der britische Premierminister Winston Churchill: „Was war der Grund, Potsdam niederzumachen?“ Der Regierungschef hinterfragt das Handeln seiner eigenen Luftwaffe.

Warum also hatte die Royal Air Force vor nunmehr 75 Jahren, am 14. April 1945, Potsdam während eines nächtlichen Angriffs mit Bomben überzogen? Nach heutigen Erkenntnissen kamen dabei mindestens 1593 Menschen ums Leben. Rund 1717 Tonnen Sprengbomben und eine nicht näher bekannte Menge Brandbomben hatten Teile der Innenstadt in Trümmer verwandelt. Warum diese Todesnacht?

Verschiedene Ansichten

Über die genauen Gründe für diesen Luftangriff, so kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde schon viel gerätselt. Der Publizist Jörg Friedrich vertritt in seinem 2002 erschienenen Buch „Der Brand“ die Auffassung, Potsdam sei zerstört worden, „um den preußischen Militarismus geschichtlich zu annullieren“. Potsdam sollte demnach als Symbol eines kriegerischen Ungeistes entwertet werden, so Friedrichs These. Der mittlerweile verstorbene Hans-Werner Mihan sah dies in seinem Buch „Die Nacht von Potsdam“ hingegen gänzlich anders: Nicht die einstige preußische Residenzstadt als solche habe getroffen werden sollen, sondern der Stadtbahnhof nahe der Langen Brücke – ein kriegswichtiges Objekt, das es nach Auffassung der Briten zu zerstören galt.

Harald Potempa vom Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.
Harald Potempa vom Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.
© René Garzke

Harald Potempa vom Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) ist ähnlicher Auffassung wie Mihan. Der britische Angriffsbefehl weise Schienenanlagen, Militär und NS-Kasernen als Ziele aus, sagt der Militärhistoriker. Halte man sich an dieses Dokument als Quelle, so Potempa, dann seien gerade nicht Potsdamer Wohnhäuser eigentliches Ziel des Angriffs gewesen. Man könne allerdings den britischen Befehl auch quellenkritisch hinterfragen, räumt Potempa ein. War in dem Dokument wirklich alles so formuliert worden, wie es gemeint war? Hatten die Briten doch mit ihrem Bombardement deutscher Städte, beispielsweise Hamburg und Dresden, bewiesen, dass sie durchaus zu Flächenbombardements willens waren. Und das, um unter anderem auf diese Weise auf den vom Deutschen Reich entfesselten Angriffskrieg zu reagieren und das verbrecherische Naziregime in die Knie zu zwingen.

Zermürbungstaktik der Alliierten

Mit den Angriffen auf deutsche Wohngebiete sei es den Briten darum gegangen, die Moral des Kriegsgegners, also der Deutschen, zu brechen, sagt Potempa. Wenngleich dies aufgrund der Quellenlage für Potsdam gerade nicht angenommen werden könne, so hätten die Briten jedoch im Falle verschiedener anderer deutscher Städte die Bevölkerung mit den Bombardements zermürben wollen, um die Menschen kriegsmüde und damit potenziell umsturzwillig zu machen. Potempa zufolge kam es den Militärs dabei weniger darauf an, eine möglichst große Anzahl von Menschen zu töten, sondern es ging ihnen vielmehr darum, Obdachlosigkeit beim Kriegsgegner zu verursachen. Denn, so der Militärhistoriker in einem Vortrag in der Wissenschaftsetage des Potsdamer Bildungsforums: „Probleme bereiten die Überlebenden.“ Sie seien es, die in einem Krieg besonders unzufrieden sind, wenn ihnen ihre Wohnhäuser zerstört werden. Die Toten hingegen könnten ja nicht mehr unzufrieden sein, so die kalte Logik des Krieges.

Moral des Gegners brechen

Die Moral im Krieg, dieser Wille zum Durchhalten, ist für Potempa denn auch der Schlüssel, um das Agieren der Briten im Zweiten Weltkrieg überhaupt zu verstehen. Die Blaupause für die Flächenbombardements des Vereinigten Königreichs sieht der Potsdamer Historiker in der Seeblockade der Royal Navy während des Ersten Weltkrieges. Eine Blaupause dafür, wie man den Krieg gewinnen kann, wenn man es nur schafft, die Moral des Gegners zu brechen.

Die Seeblockade im Ersten Weltkrieg habe den Deutschen wegen der dadurch verursachten Hungersnöte mehr Todesopfer abverlangt, als die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs, sagt Potempa. Die Briten seien damals selbst zu der Einschätzung gelangt, dass ihre Seeblockade im Ersten Weltkrieg zur Schwächung des Durchhaltewillens in Deutschland beigetragen habe. Die Blockade wurde also als Mittel angesehen, die Psyche, ja die Moral des Kriegsgegners niederzuringen. Im Zweiten Weltkrieg sollte es dann nicht mehr eine Seeblockade sein. In der Auseinandersetzung mit Nazideutschland gingen die Briten stattdessen dazu über, Luftangriffe auf deutsche Städte zu fliegen, um auf diese Weise die Moral der Deutschen zu zerstören, so Potempas These.

Psychische Narben 

Wenn auch die Hitlergläubigkeit der Deutschen damit trotzdem nicht entscheidend gebrochen werden konnte, so haben die Bomben dennoch bei vielen Menschen psychische Narben hinterlassen. Freilich sind auch die Opfer deutscher Angriffe in anderen Staaten ebenso traumatisiert worden. Auf diese psychischen Folgen von Kriegen weist Potempas Kollegin Katrin Hentschel vom Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hin.

Eine im Krieg, etwa als Kind, erfahrene Traumatisierung könne selbst nach Jahrzehnten noch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Es gebe Betroffene, die an sich selbst zunächst über viele Jahre hinweg keine traumabedingten Auffälligkeiten wahrgenommen hätten und im fortgeschrittenen Alter dann doch entsprechende Symptome bemerkten, so Hentschel. Innere Unruhe, unkontrollierte Wut, die suchtartige Suche nach Ablenkung und selbst körperliche Erkrankungen zählt die Sozialwissenschaftlerin zu den möglichen Folgen eines Kriegstraumas. Mittlerweile geht man sogar davon aus, dass Traumata an die nächste Generation vererbt werden können. Andererseits, so Hentschel, führe nicht jedes Trauma langfristig zu einer spürbaren Reaktion des Körpers. Manche der Betroffenen hätten gute Bewältigungsmechanismen. Andere wiederum benötigten Unterstützung im Umgang mit dem Erlebten.

> Podcast des ZMSBw zur Potsdamer Bombennacht 1945 zum Download

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