"Es braucht dieses starke Zeichen": "Wir haben es satt"-Demo zur Grünen Woche
Jochen Fritz hat 2011 die Demonstration für eine ökologische Wende in der Landwirtschaft zur Grünen Woche initiiert. Jetzt fährt er erstmals nicht als Organisator, sondern als Werderaner Bio-Bauer nach Berlin.
Herr Fritz, am Samstag werden in Berlin wieder tausende Menschen unter dem Motto „Wir haben es satt“ demonstrieren. Sie haben die Demo im Jahr 2011 ins Leben gerufen. Was hat sich seither verändert?
2011 war das Thema Landwirtschaft eigentlich noch keins, Bienensterben oder Antibiotikaresistenzen waren nicht in der Öffentlichkeit. Es gab nur ein kleines Häufchen von Menschen, die sich seit 20 Jahren für eine andere Landwirtschaftspolitik eingesetzt haben. Wir haben uns zusammengetan, um zur Grünen Woche ein Zeichen zu setzen. Es ist eine Bewegung daraus entstanden, die vom Bauern bis zum Veganer viele Menschen mitnimmt. Die Themen sind angekommen, auch gegen Lebensmittelverschwendung engagieren sich viele Menschen. Im Politischen sind wir aber noch lange nicht so weit. Deshalb braucht es die Bewegung und das starke Zeichen, das wir jedes Jahr setzen.
2018 sind zur Demo 30.000 Menschen für Tierwohl auf die Straße gegangen. Trotzdem hat die Regierung danach festgesetzt, dass noch zwei Jahre lang Ferkel ohne Betäubung kastriert werden dürfen. Ignoriert die Politik die Wünsche der Menschen?
Sie ignoriert sie nicht, hat aber noch immer die Macht der Bauernverbandslobby im Nacken. Da wurden Horrorszenarien an die Wand gemalt, dass die Schweinehaltung dann zu Grunde gehen würde. Das muss man zwar ernst nehmen. Wir brauchen einen Umbau der Tierhaltung, sodass die Betriebe weiter existieren können. Aber es müssen Schritte hin zu einer tiergerechteren Haltung gemacht werden, die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Es war schon lange klar, dass das Thema auf den Tisch kommen wird. Und es gibt schon viele Bio-Betriebe und Neulandbetriebe, die Schweine schon lange nur betäubt kastrieren.
Gab es gar keine Fortschritte in der Politik?
Es sind einige Sachen passiert: Das Baugesetzbuch hat sich geändert, es können nicht mehr so einfach Anlagen für Massentierhaltung gebaut werden und es sind auch nicht so viele entstanden, wie geplant war. Der große Wurf ist aber nicht gelungen.
Es soll doch ein Tierwohl-Siegel geben…
… Das aber nur auf Freiwilligkeit beruht. Das geht uns nicht weit genug. Stattdessen muss es bei Fleisch eine Kennzeichnung geben, die bei Eiern ja schon gut funktioniert. Da erkennt der Kunde schnell, ob die Tiere aus der Freiland- oder Biohaltung kommen.
Zum ersten Mal werden Sie heute nicht mehr als Organisator an der Demo teilnehmen, sondern als Werderaner Bio-Bauer. Wird sich Ihre Perspektive ändern?
Ich bin genauso aufgeregt wie sonst, ob alles klappt. Es ist immer toll, die Gemeinschaft der Bauern zu spüren. Einige kommen aus Köln oder Franken mit dem Traktor. Ich freue mich drauf, das mal aus dieser Perspektive zu sehen.
Gibt es einen echten Austausch unter den Bauern, oder kommen nur Gleichgesinnte?
Es fahren bei uns auch konventionelle Landwirte mit, da gibt es immer sehr anregende Diskussionen. Am Freitagabend gab es schon einen Bauerntreff in Blankenfelde, wo sehr kontrovers über die Zukunft der Landwirtschaft diskutiert wurde. Zudem gibt es die Gegenbewegung "Wir machen euch satt", mit den Kollegen sind wir in Kontakt und diskutieren auch. Allerdings beschweren sie sich bisher nur, dass sie diffamiert würden, zeigen aber keinen Plan auf, wo die Landwirtschaft hingehen soll.
Braucht es ein neues Dialogforum für vorwurfsfreie Begegnungen zwischen konventionellen Bauern und Bio-Landwirten?
Die Foren haben oft stattgefunden, jetzt muss politisch gehandelt werden.
Sie haben die Demo-Organisation abgegeben, weil Sie jetzt in der Regionalwert-AG tätig sind und Betrieben bei Investitionen helfen wollen. Wie genau funktioniert das?
Es handelt sich um eine Bürger-Aktiengesellschaft. Ab 500 Euro kann man Aktien bei uns kaufen. Über einen Finanzdienstleister, der die Aktien ausgibt, versuchen wir, in diesem Jahr drei Millionen Euro einzusammeln. Dann investieren wir, indem wir uns an Projekten von Betrieben beteiligen. Wenn jemand etwa einen neuen mobilen Hühnerstall kaufen möchte, machen wir das mit ihm gemeinsam. So entsteht ein Netzwerk von kooperierenden Betrieben. Das große Ziel ist es, Lücken bei der Wertschöpfungskette zu schließen. Unser Werderaner Biohof etwa hat ja Büffel, da ist es problematisch, einen Schlachter zu finden. Auch die Lieferung von Kartoffeln in Kantinen ist schwer, da die Erzeuger keine Schälmaschinen haben. Bei solchen Problemen wollen wir ein Rädchen zur Lösung werden.
Und die Anleger bekommen Dividenden?
Die können wir noch nicht versprechen. Wenn man in Landwirtschaft investiert, ist das eine sehr langfristige Angelegenheit. Es gibt aber eine ökologische und eine soziale Rendite: Alle Betriebe, die bei uns mitmachen, müssen jährlich einen Bericht abgeben, dass sie sich weiterentwickelt haben - etwa einen Blühstreifen angelegt oder ins Tierwohl investiert haben. Eine Dividendenzahlung ist aber nicht ausgeschlossen, darüber kann man aber erst in fünf bis zehn Jahren entscheiden.
Gibt es schon Betriebe, die die Finanzierung nutzen wollen?
Wir haben schon mit zehn Betrieben Kontakt, die sich mit einem Steckbrief bei uns beworben haben. Da sind spannende Unternehmen mit dabei. Bei Buckow möchte ein Unternehmen etwa einen zweiten mobilen Hühnerstall anschaffen.
Seit 2014 betreiben Sie mit Roland von Schmeling den Werderaner Biohof mit Wasserbüffeln, Hühnern Obstanbau und einem Dutzend Schafen. Aber es bleibt ein Nebenerwerb. Ihr Hauptarbeitgeber ist die Regionalwert AG, Ihr Partner ist Kontrolleur in Bio-Betrieben. Kann man als Bio-Bauer kein Geld verdienen?
Der Hof ist ein langfristiges Projekt. Wir werden mit einem größeren mobilen Hühnerstall bis Ende des Jahres dazu kommen, dass der Hof eine Halbtagsanstellung trägt. Es ist aber nicht einfach, mit einem kleinen Hof Geld zu verdienen, deshalb kam es ja zur Gründung der Regionalwert AG. Der Werderaner Biohof wächst langsam aber stetig, dafür haben wir aber auch wenig Kapital eingesetzt.
In der Region ist Ihr Hof der einzige Biobetrieb. Gibt es einen Austausch mit anderen Bauern, die vielleicht ein oder zwei Methoden übernehmen wollen - etwa das Halten von Hühnern unter Obstbäumen, damit die Tiere die Schädlingslarven fressen und kein Gift gespritzt werden muss?
Wir sind im Werderaner Obst- und Gartenbauverein. Da tauschen wir uns aus, konnten aber noch keinen davon überzeugen, auf Bio umzustellen. Allerdings werden wieder mehr Streuobstwiesen angelegt. Ich würde mich aber freuen, wenn mehr Interesse an einer Umstellung zum Bio-Betrieb da wäre. Dafür gibt es in Berlin und Potsdam einen riesigen Markt, es muss nur ein weiterer mit uns den Schritt machen. Aber bei einigen Höfen steht in den nächsten Jahren die Betriebsübergabe an, vielleicht gibt es da ja Chancen.
Enrico Bellin
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