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Wildschweine in der Stadt: Stahnsdorfs große Schweinerei

Die Wildschwein-Plage sorgt in Stahnsdorf für heftige Debatten. Eltern sehen ihre Kinder bedroht. Doch nicht alle haben mit den Tieren ein Problem.

Stahnsdorf - Wer Wildschweine einmal hautnah sehen möchte, muss in Stahnsdorf nicht lange suchen. Mitten im Wohngebiet südlich der Potsdamer Allee liegt das kleine Beethovenwäldchen. Dort haben es sich einige der Tiere zwischen den wildwachsenden Sträuchern und Ästen gemütlich gemacht. Und nicht nur dort.

Die Wildschwein-Plage ist das bestimmende Thema in Stahnsdorf und Kleinmachnow – seit Monaten.

„Die Wildschweine haben die Macht im Ort übernommen“, sagte unlängst Stahnsdorfs SPD-Ortschef Heinrich Plückelmann. Rotten galoppieren am helllichten Tag über die Straßen der Gemeinden, zu sehen in Videos, die in den sozialen Medien kursieren. Erst Anfang Februar hatte ein verletztes Tier in einem Friseurladen in der Stahnsdorfer Lindenstraße gewütet.

Dass die Schweine da sind, sieht man vor allem, wenn man die Stahnsdorfer Straßen entlangläuft. Grünflächen und Beete dort sind von den Tieren zerwühlt, die Erde umgegraben auf der Suche nach Essbarem. „Die Situation ist unangenehm. Für Familien mit Kindern ist es zum Teil bedrohlich“, erzählt der Stahnsdorfer Jörg Riedel. Riedel wohnt seit 18 Jahren in der Nähe des Beethovenwäldchens. Die Schweine haben ihn zuvor noch nie besucht, sagt er. In diesem Jahr aber waren sie schon dreimal auf seinem Grundstück und haben den Garten umgewühlt. Er habe daher nun seinen Zaun ausgetauscht. Den vorigen Maschendrahtzaun hätten die Schweine einfach hochgehoben und seien durchgeschlüpft.

Laut der aktuellen Jagdstatistik des Landes Brandenburg werden pro Jahr rund 90 000 Wildschweine erlegt. In der Region Stahnsdorf/Kleinmachnow haben die Jäger im vergangenen Jahr rund 100 Tiere erlegt. Ist das zu wenig – und wer ist nun schuld an der Wildschwein-Plage? Darauf gibt es verschiedene Antworten.

Karl-Heinz Marschka vom Landesvorstand des Naturschutzbundes (Nabu) Brandenburg, sagt, es seien vor allem die Monokulturen wie Raps und Mais, die zu einer immer weiter steigenden Wildschwein-Population führten. In den bewohnten Gebieten böten zum Beispiel ungeschützte Komposthaufen einen großen Anreiz für die Tiere. „Die Schweine sind Generalisten und finden alles zu essen.“

Der Stahnsdorfer Jörg Riedel dagegen findet die Kritik der örtlichen SPD an den zuständigen Jagdpächtern Peter Hemmerden und Jörg Fenske berechtigt. Die Sozialdemokraten hatten den Jägern vorgeworfen, in der Vergangenheit zu wenig gegen die Wildschweine getan zu haben (PNN berichteten). Die SPD forderte daher, den Pachtvertrag nur noch auf zwei Jahre zu begrenzen und Kündigungsoptionen zu enthalten. „Die Jäger sind tatsächlich die einzigen, die etwas gegen das Problem ausrichten können“, meint der 65-jährige Riedel. Wenn diese Jäger die Schweine nicht in den Griff kriegten, müssten vielleicht andere beauftragt werden. „Auf alle Fälle muss die Population drastisch reduziert werden“, findet er.

Doch andere sehen keine Schuld bei den Jägern: Erst Freitag hat die Jagdgenossenschaft Stahnsdorf-Kleinmachnow ohne Gegenstimmen beschlossen, den Jagdpachtvertrag mit den beiden bisherigen Jägern um weitere fünf Jahre zu verlängern.

Die Gemeinde hatte zwar im Vorfeld dafür plädiert, die Ergebnisse eines Fachgesprächs Ende Februar abzuwarten – doch das hat die Jagdgenossenschaft nicht abgehalten. So sind die Fronten im Kampf gegen die Schweine verhärtet.

Eine Rolle spielt dabei auch Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers (Bürger für Bürger). Er will, dass die Schweine in seiner Gemeinde künftig mit Pfeil und Bogen erlegt werden können – denn die Jagd mit dem Gewehr ist in dicht bewohnten Gebieten verboten.

"Die Tiere tun mir leid"

So hat Stahnsdorf beim Landesumweltministerium eine Sondergenehmigung für die Pfeil-und-Bogen-Jagd beantragt. Eine Entscheidung gibt es nicht – das Ministerium prüft weiterhin. Immerhin handelt es sich um einen Einzelfall: Stahnsdorf wäre die erste Gemeinde bundesweit, in der mit Pfeil und Bogen gejagt werden darf.
Dass möglichst viele Schweine geschossen werden sollten, ist jedoch keineswegs einhellige Meinung der Stahnsdorfer.

„Die Tiere tun mir leid. Der Mensch macht sich hier breit und die Schweine haben keine Rückzugsmöglichkeit mehr“, sagt Karsten Schröder, der seit Anfang der 1970er Jahre in Stahnsdorf lebt. Die Tiere einfach abzuknallen findet er nicht Ordnung. Vielleicht könnte man sie betäuben und in Regionen aussetzen, in denen ihre Population nicht so hoch sei, wie etwa auf Truppenübungsplätzen, meint Schröder. Auch in den Beeten vor seinem Haus waren die Schweine mehrmals zugange und haben die Erde durchwühlt. „Warum sollte ich deswegen sauer sein. Die haben Hunger, genauso wie die Rehe oder Füchse“, sagt Schröder dazu. Früher sei dort, wo jetzt Häuser dicht an dicht stehen, Wald gewesen – Lebensraum der Wildschweine.

Die Sorge, von ihnen verletzt zu werden, habe er nie gehabt, sagt Schröder. Nur Bachen mit Frischlingen könnten gefährlich werden. Auch Gaby Böl, die unweit des Kutenwaldes in Stahnsdorf wohnt, hat keine Angst vor Wildschweinen und geht nach wie vor gern im Wald spazieren. „Die Schweine wollen schließlich auch leben“, sagt die 52-Jährige. Wer mit der Nähe zum Wald und seinen Tieren nicht klar komme, solle eben nicht nach Stahnsdorf ziehen. Und wer sich schützen möchte, könne einen Zaun errichten und müsse den Kompost ordentlich wegschließen. „Wir wohnen seit dreieinhalb Jahren hier. Und es ist schön, mal Wildschweine zu sehen.“ Die Angst von Eltern um die Sicherheit ihrer Kinder angesichts der vielen Schweine kann sie verstehen – sie hat selbst einen neunjährigen Sohn. Doch wem es so ergehe, könne seine Kinder auf dem Schulweg ja ein Stück begleiten.

„Aber die Wildschweine nur zu erschießen, weil der Garten unordentlich ist, finde ich übertrieben“, sagt Böl. „Es ist etwas anderes, wenn Leib und Leben in Gefahr sind“, sagt sie – aber sie könne sich nicht daran erinnern, dass die Wildschweine in der Gegend „je Menschen zerfleischt hätten“.

Mit Pfeil und Bogen

Derzeit prüft das Landesumweltamt einen Antrag für die Jagd mit Pfeil und Bogen in der Region. Jan Riedel, Vorsitzender des deutschen Bogenjagdverbandes, hält die Erlegung von Wildtieren in urbanen Bereichen mit Pfeil und Bogen für eine sinnvolle Ergänzung.

Denn in bewohnten Gebieten benötigten Jäger ein Jagdmittel, das ein geringes Gefährdungspotential für Sachen und Menschen darstelle. Ein Jagdpfeil, der ein Wildschwein durchbohre, verlöre dabei den Großteil seiner Geschwindigkeit. In 17 europäischen Staaten würden Pfeil und Bogen schon seit Jahrzehnten als zusätzliches tierschutzgerechtes und waidgerechtes Jagdmittel anerkannt und zielgerichtet eingesetzt, so Riedel.

Das spanische Madrid hatte Ende 2011 ebenfalls mit seiner Wildschweinpopulation zu kämpfen und konnte dank der eingeführten Bogenjagd das Problem erfolgreich angehen. Heute gebe es dort schon rund 55 Jäger, die mehrere Hundert Wildschweine mit Pfeil und Bogen erlegt haben, so Riedel.

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