Besorgniserregende Wasserstände: Noch nie waren die Seen in Brandenburg so flach
Einen Meter tiefer: Wie Brandenburg auch seine Dorfteiche retten will. Die Lage ist dramatisch, warnen Experten.
Schmiedeberg - Bootsstege ragen ins Leere, die Wasseroberfläche liegt tief. Angler waten wie bei einer Wattwanderung ewig hinein. Und Strandbadbetreiber haben es bei der Herbstwartung mit trockenliegendem Schilf zu tun: Die Effekte der vergangenen Hitzesommer sind in Brandenburg überall zu spüren.
Eine Gesetzesänderung muss her
Fast einen Meter weniger Wasserstand als normalerweise haben Brandenburgs Seen und Dorfteiche. „Die Lage ist dramatisch, wir haben im Landkreis Barnim den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen in den 1960er Jahren“, sagt der Leiter des zuständigen Umweltamtes, Ronny Baaske. Selbst heftiger Regen helfe kaum noch.
Weil der Klimawandel die Entwicklung wohl weiter verschärfen werde, regt Karsten Stornowski, stellvertretender Landrat im Kreis Uckermark, Beigeordneter der Landrätin und zuständiger Dezernent für Landwirtschaft und Umwelt, jetzt an, dass das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes dringend geändert werden müsse: „Damit nach den zunehmenden Starkregenfällen das Wasser in Retentionsbecken aufgefangen werden kann und nicht verloren geht.“
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Der Ortstermin mit Stornowski führt in das kleine Dorf Schmiedeberg in der Uckermark. Nahe dem Dorfteich ist ein Niederschlagauffangbecken mit Sedimentabscheider, damit Straßenwasser nach der Reinigung in den alten Dorfteich sickern kann. Der stellvertretende Landrat läuft weiter, einen Abhang hinab – bis hier oben stand noch vor ein paar Jahren das Wasser. Stornowski hockt sich an den Pegel und liest ab: „Normalerweise ist der Wasserstand im Dorfteich bei 59,7 Meter, gemessen über dem Meeresspiegel.“ Jetzt liegt sogar die Pegelmesslatte völlig frei, das Wasser im Dorfteich liegt noch unter dem Messvermögen, bei geschätzt 58,8 Metern. „Damit hat der Dorfteich etwa einen Meter an Höhe verloren.“
Stornowski ist sehr besorgt. „Zu einem Brandenburger Dorf, und das lieben auch die Berliner, gehört eine Kirche und ein Dorfteich. Es gibt schon Dörfer, da ist der Teich völlig ausgetrocknet, und das bedeutet auch den Verlust eines Kulturgutes. Am Dorfteich haben die Menschen früher gesessen und geangelt und die Kinder gespielt.“ Auch das Wasser in den Teichen mit den Vorräten für die Freiwilligen Feuerwehren würden zunehmend verdunsten. Und man könne nicht einfach alles wieder mit Pumpwasser auffüllen, erklärt Stornowski. Dann leide wiederum der oberflächliche Grundwasserspiegel.
Am Schmiedeberger Dorfteich zeigt sich auch der Berliner Klaus Wiek, 81 Jahre, besorgt. Der frühere Geografieprofessor aus Grunewald liebt seinen uckermärkischen Zweitwohnsitz. „Wenn der Teich weg wäre, das will ich mir nicht vorstellen“, sagt der 81-jährige Anwohner. Erholung und Kulisse sind das eine, der Lebensunterhalt das andere: Es gibt schon Fischereibetriebe in Brandenburg, denen die Becken mit ihren Tieren darin ins Nichts verdunsten.
Kleingewässer und Gräben besonders betroffen
Das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz Brandenburg bestätigt den Messtrend, dass landesweit Oberflächengewässer im Schnitt einen Meter flacher geworden sind. Vom stellvertretenden Ministeriumssprecher Sebastian Arnold ist zu erfahren, dass von den hohen Verdunstungsraten „aufgrund der vergangenen beiden Trockenjahre Kleingewässer und Gräben in Brandenburg besonders betroffen sind“. Dies hat auch Auswirkungen auf die Tierwelt, auf die Schilfbewohner, auf Amphibien. Füchse beispielsweise können jetzt dem Barnimer Umweltamtsleiter Ronny Baaske zufolge trockenen Laufes die Brut von Wasservögeln im Nest ausräubern.
Werden die Bäche, Flüsse, Seen und Weiher nicht durch lang anhaltende Herbstregen wieder aufgefüllt? Diese Hoffnung müssen die Experten enttäuschen. Größere Seen, erklärt Ronny Baaske, verlieren an Sommertagen mit 25 Grad aufwärts infolge der Verdunstung durchschnittlich einen Zentimeter Höhe – und das am Tag.
"Mit dem Klimawandel wird das noch schlimmer"
Laut seinem Kollegen aus der Uckermark, Karsten Stornowski, verdunsten aufs ganze Jahr gesehen in der Region rund 1000 Millimeter Wasserfläche im Jahr. Aber nur etwa die Hälfte Niederschlag komme nach. „Derzeit - und mit dem Klimawandel wird das ja noch schlimmer.“ Verrechne man alles mit dem Wasser, das verloren geht, weil gar nicht alles vom Boden aufgenommen werden kann, blieben im Jahr noch etwa 50 Millimeter Wasser, um die Gewässer neu zu speisen.
Besorgniserregend ist die Situation auch am Großen Kaulsee, etwa auf halber Strecke zwischen Angermünde und Prenzlau gelegen – so sieht es in ganz Brandenburg vielerorts aus. Stornowski zeigt auf grüne Sprossen, die wachsen, wo früher Wasser war. „Auch in der Landwirtschaft fehlt uns das Wasser“, sagt Heinz Baran aus Schmiedeberg, der 86-Jährige macht gerade mit seinem Fahrrad einen Ausflug zum Kaulsee.
Verschärfung der Entnahmebeschränkungen droht
Künftig werden in Brandenburg wohl weiter weniger Anwohner Wasser aus Seen für die Gartenbewässerung oder aus Pumpen für den Pool holen dürfen. Die Zuständigkeit hier liege laut Umweltministerium in den Landkreisen und kreisfreien Städten. „Einige Kreise haben in den vergangenen Sommermonaten und auch bereits in den Jahren 2018 und 2019 Entnahmebeschränkungen aus Oberflächengewässern erlassen, beispielsweise im Spreewald.“
Um Wasser vorm Abfließen in andere Bundesländer halten zu können, will das Land bis etwa 2021 ein Moorschutzprogramm vorlegen: Deiche sollen im Rahmen des Nationalen Hochwasserschutzprogramms zurückverlegt werden, sagt Sebastian Arnold, Pressereferent von Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne). „Aktuell erarbeitet das Ministerium gemeinsam mit dem Landesamt für Umwelt ein Niedrigwasserkonzept für die Fließgewässer sowie ein Grobkonzept zur mengenmäßigen Bewirtschaftung von Grundwasser.“
In Brandenburg ist die Lage, ganz abgesehen von den Corona-Einschränkungen, auch aus touristischer Perspektive eingetrübt. Am Parsteiner See im Landkreis Barnim mussten die Badenden zum Ende des Sommers hin zunächst über den vertrockneten Grund des Sees laufen, um überhaupt ans Wasser zu kommen. Woanders steht ein Schild: „Angeln verboten“. Doch Wasser gibt es da längst nicht mehr.
Annette Kögel
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