Potsdam-Mittelmark: „Es hat sie eben doch gegeben“
Eine Stele für „Stille Helden“ erinnert an Kleinmachnower, die verfolgten Juden zur Seite gestanden haben
Kleinmachnow - Erst wurde ihnen Strom und Gas abgedreht, dann die Freunde genommen. „Es gab ekelhafte Naziweiber, die andere Frauen anfauchten, wenn sie mit Jüdinnen nur gesprochen haben“, erinnert sich Marianne Degginger an ihre Jugend in Nazi-Deutschland. Die 82-Jährige presst ihre rotgeschminkten Lippen zusammen, dann sagt sie mit fester Stimme: „Ich war noch ein Kind und habe überlebt.“ Zu verdanken hatten sie und ihre Eltern Bertha und Hans-Martin Unger das der Hilfe ihrer Nachbarn in Kleinmachnow. Als andere von ihnen abrückten und wegsahen, hielten sie zu ihnen. Sie brachten sich in Gefahr, um die jüdische Familie zu retten. Und sie waren damals nicht die Einzigen.
69 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ehrt die Gemeinde ihre „Stillen Helden“ – Menschen, die verfolgten Juden zur Zeit des Nationalsozialismus zur Seite standen. Lange blieben die Helfer anonym. Seit dem gestrigen Donnerstag macht eine hölzerne Stele Retter und Gerettete öffentlich.
Bürgermeister Michael Grubert (SPD) benannte dafür den Platz an der Kreuzung Hohe Kiefer/Förster-Funke-Allee nach der katholischen Sozialarbeiterin Margarete Sommer (1893-1965) – eine weit über die Grenzen von Kleinmachnow hinaus bekannte Helferin. Grubert sprach von einem Zeichen für Zivilcourage und Engagement sowie der Mahnung, „dass es nie wieder Krieg geben darf“. Der Margarete-Sommer-Platz werde ein wichtiger Gedenkort sein.
Wie weit die Bedeutung des nach der früheren Leiterin des „Hilfswerks beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“ bezeichneten Platz reicht, zeigte sich an der Gästeliste: Am Abend wurde der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) im Kleinmachnower Rathaussaal erwartet. Er würdigte Sommers Leben als das einer tiefreligiösen Frau, die gezeigt habe, „was möglich war, was anständig war in unanständiger Zeit“. Ihr Beispiel widerlege die nach 1945 übliche Behauptung, man hätte nichts tun können. „Es hat sie eben doch gegeben, die Menschen, die später als stille Helden bezeichnet wurden, weil sie Mut und Menschlichkeit bewiesen haben.“
Als Juden weder arbeiten noch auswandern durften, bemühte sich Margarete Sommer als Leiterin des Katholischen Hilfswerks für sie um Lebensmittel, Bekleidung und Geld. Für andere fand sie Verstecke – die damals Zwölfjährige Sonja Goldwerth verbarg sie in ihrem Haus in der Ernst-Thälmann-Straße in Kleinmachnow. Im Jahr 2003 ehrte die israelische Gedenkstätte Jad Vaschem die Pädagogin posthum mit dem Titel einer „Gerechten unter den Völkern“.
Ein Denkmal aus hell gestrichenen Eichen-Bohlen in der Form von Spitzdachhäusern erinnert jetzt an Sommer und andere Helfer aus dem Ort. Die Initiative dafür kam von der Aktionsgruppe Stolpersteine, der Evangelischen und Katholischen Kirche sowie dem Heimatverein. Entworfen wurde das Denkmal mit 15 viereckigen Öffnungen, in denen sich Edelmetallplatten mit Namensgravuren wie Fensterläden drehen, von den Kleinmachnower Künstlern Julia und Rainer Ehrt. Die Kosten von 8000 Euro sollen durch Spenden finanziert werden, noch sei die Summe nicht abgedeckt, so Martin Bindemann von der Aktionsgruppe.
Die Silhouette des Denkmals in Form eines Hauses soll den Schutzraum verdeutlichen, den die Kleinmachnower den Verfolgten gewährten, sagte Bindemann. „Die Stele ist als Mahnung an eine Zeit gedacht, die als dunkles Kapitel in unseren Geschichtsbüchern steht.“ Noch seien nicht alle Helden gefunden. „Wir hoffen, dass sich noch Überlebende melden oder ihre Kinder.“ Dafür wurden am Denkmal noch fünf Fenster frei gelassen.
Ein Fenster, das ausgefüllt wurde, ist mit den Namen von Ilse und Kurt Richter versehen – den Urgroßeltern des Schauspielers Tobias Schenke. Der 33-jährige frühere Kleinmachnower, bekannt durch Filme wie „Harte Jungs“ oder aus dem Tatort, war ebenfalls Gast. „Es macht unsere Familie stolz, ihre Namen dort zu lesen“, sagte Schenke. Dass seine Urgroßeltern das Ehepaar Munk in ihrem Heizungskeller versteckten und ihnen später die Flucht nach Palästina ermöglichten, habe die Familie bis heute geprägt, so Schenke.
Die Flucht und damit das Überleben ermöglicht wurde damals in Kleinmachnow auch Marianne Degginger. Als andere wegsahen, versorgten Elisabeth und Joseph Johannknecht die Familie in der Straße Graue Weiden, erzählt die Rentnerin. Später waren es dann die Schwestern Johanna und Getrud Lieb, die im Rathaus Dokumente fälschten, damit die Familie unbehelligt fortziehen und andernorts einen Neustart wagen konnte. „Wir waren dauernd unterwegs, damit uns die Behörden nicht finden konnten“, sagt Degginger. „Wir mussten immer damit rechnen, abgeholt zu werden.“
Ihre Erinnerungen hat sie in einem Buch niedergeschrieben: „Marianne, eine wahre Geschichte“ heißt es und ist gestern erschienen. „Ich bin sehr erfreut, dass auch mit der Stele in Kleinmachnow ein Gedenken stattfindet.“
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