Potsdam-Mittelmark: Der Handschlag des Bürgermeisters
Beim Aufräumen des Büros hat Werner Große über seine fast 25 Jahre als Rathauschef von Werder nachgedacht
Werder (Havel) - Ein Spätsommerabend auf der Inselstadt: Werner Große sitzt in Jeans und Freizeithemd im Biergarten des Schützenhauses. Oben im Haus läuft eine CDU-Veranstaltung zu den Verkehrsproblemen Potsdams und seiner Vororte – ein Thema, das Große in den vergangenen Jahren umgetrieben hat. Doch jetzt lässt er seine Parteifreunde diskutieren und freut sich an seinem Weizen. Unterm Tisch hüpft sein Hund umher – Hunter, ein vier Monate alter Airedale-Terrier. Die Rasse gilt als konzentriert, vielseitig und vergnügt. Große sortiert die Leine und lehnt sich zurück.
Nächsten Mittwoch wird er sein Bürgermeisteramt an seine Wunschnachfolgerin Manuela Saß übergeben. Schon seit Juli hat der 64-Jährige schrittweise Abschied genommen, seinen üppigen Resturlaub genutzt, um den Tagesablauf neu zu sortieren. Er war mit seiner Frau im neuen Wohnmobil unterwegs, hat Behördenkram erledigt, den Haushalt geordnet, wo alles gleichzeitig kaputtzugehen schien. Er hat mit der Ausbildung seines Hundes begonnen, sein Rathausbüro ausgeräumt und über alte Zeiten nachgedacht.
Wie war das, als er im Mai 1990 sein Amt angetreten hat? Die Altstadt bröselte, Kohleöfen verdreckten die Luft. Bei der ersten Straßensanierung sei man geschockt gewesen, wie die Leitungen im Erdreich aussahen. Er und andere hätten sich gefragt, wo Werder vor dem Zweiten Weltkrieg gestanden hatte: ein gehobener Wohnstandort für Berliner, ein attraktives Ausflugsziel mit wenig Industrie. „Da wollten wir wieder hin“, so Große. Ein langer Weg.
„Wir wurden gebeten, mal die Investitionen der nächsten zehn Jahre durchzurechnen.“ Er habe es gelassen – „weil ich dabei trübsinnig geworden wäre“. Mit der Währungsumstellung sei die Stadt kurz nach seinem Amtsantritt auch noch pleite gewesen. Kein Wunder bei dem Personal: Die Kommune hatte eine eigene Heißmangel, eine Propangasabfüllstelle, eine Nähstube und ein Ambulatorium. Als ihn Kollegen aus der Partnerstadt Siegburg fragten, wo die elf beim Rathaus angestellten Heizer eigentlich im Sommer sind, konnte Große keine Antwort geben. Dutzende musste er entlassen, manchmal wurden selbständige Unternehmungen daraus, wie der Campingplatz Riegelspitze.
Die Stimmung sei nach der Wende – bei allen Nebenwirkungen eines solchen Umbruchs – nicht schlecht gewesen. Die alten Werderschen hätten noch gewusst, wie Marktwirtschaft funktioniert. Große hält es für ein kleines Wunder, was alles geschaffen wurde. Bei allen Fehlern ist man dabei nicht dem Größenwahn verfallen. Als in Brandenburg die reichlichen Fördermittel in viel zu große Kläranlagen flossen, in Werder ein Klärwerk für 100 000 Einwohner schon in Planung war, zog Große gegen alle Widerstände die Notbremse – und hatte in den Jahren danach nicht die Probleme anderer Städte mit den Folgekosten. Das Klärwerk wurde – immer noch mit viel Spielraum – für 40 000 Einwohner ausgebaut.
Regulär würde Großes vierte Amtszeit 2018 enden, doch nach einer Krebstherapie hatte er seinen vorzeitigen Rückzug angekündigt, weil er das Amt nicht mehr mit dem bisherigen Einsatz ausfüllen könne. Und der war enorm, das bezeugen selbst seine Kritiker: In Großes Zeit ist Werder zum Erholungsort geworden, wurde die Inselstadt saniert, füllten sich neue Wohn- und Gewerbequartiere. Manches ging anfangs noch unkomplizierter als heute. Lachend erinnert sich Große, wie der Firma Miele sein Handschlag genügte, um in den Havelauen mit dem Bau eines Vertriebszentrums zu beginnen. Und als bekannt wurde, dass zum Bau des Strengfelds ein Raumordnungsverfahren durchgeführt werden müsse – aus heutiger Sicht ein monatelanger Kraftakt – sei das Verfahren in wenigen Stunden mit einem Stempel beendet gewesen.
Das Havelstädtchen gilt heute als Stadt der Wirtschaft, des Wassersports und dank des wiederbelebten Baumblütenfestes des Obstweins. Obwohl es mit dem Obstbau nicht optimal gelaufen ist: Die Rodungen der riesigen DDR-Obstanlagen konnte Große nicht verhindern. Er hatte selbst eine Gärtnerlehre absolviert, bevor er in Halle Jura studierte, danach im Schaltgerätewerk Werder und vier Jahre als Vizebürgermeister im Rathaus gearbeitet hatte. Bis zur Wende war er in Potsdam als Abteilungsleiter der Block-CDU tätig.
Nach der Wiedervereinigung hätten die Bauern ihre Äcker zurückhaben wollen – in der Hoffnung, sie als Bauland vergolden zu können. „Wir hätten größere Genossenschaftsstrukturen behalten sollen“, meint Große. Aufgegeben hat er nicht. Nach der Flurneuordnung und der Klärung der Brauchwasserversorgung sieht er jetzt die Obstbauern, gegebenenfalls mit finanzkräftigen Partnern, am Zug, das Überleben der Branche zu sichern.
Immerhin: Die Arbeitslosigkeit ist in Werder mit vier Prozent selbst niedriger als in vielen Westkommunen. Bei der Wahl 2010 wurde es dem Bürgermeister gedankt, mit 81,77 Prozent der Stimmen. Selbst die Diskussion um den Touristikunternehmer Axel Hilpert hat ihm nicht geschadet – obwohl Große nie einen Hehl aus seiner Zuneigung zu dem umtriebigen Geschäftsmann gemacht hat. „Ich bin heilfroh, dass das Resort Schwielowsee steht und so gut läuft“, stellt er fest. Was die Betrugsvorwürfe gegen Hilpert angeht, will er erst mal abwarten, was davon nach dem Revisionsprozess in Frankfurt (Oder) noch übrig bleibt.
Beim Großprojekt Nummer zwei, der Blütentherme, sind die Sympathien einem Unbehagen gewichen, mit dem Große ebenfalls offen umgeht. Die Kristall Bäder AG, Partner des Badneubaus, habe bislang alle ihre Thermen in zwei Jahren fertig gehabt und sei dann gut mit den Kommunen umgegangen. Dass Werders Therme nach drei Jahren nicht steht, wurmt ihn. Große glaubt inzwischen: „Wir kriegen das Bad fertig, wenn wir es alleine machen.“
Auf seine Nachfolgerin warten auch schönere Aufgaben: Ein neuer Kindergarten wird gebraucht, die Grundschule im Ossietzky-Schulcampus muss erweitert, die ganze Infrastruktur dem munteren Zuzug angepasst werden, ohne den Haushalt zu sprengen. Er wird nun als Stadtverordneter dabei sein, flammende Reden seien nicht mehr zu erwarten. „Wenn ich was zu sagen habe, rufe ich Frau Saß an.“
Werner Große – Werderaner setzen schon mal ein „der“ zwischen den Namen – gibt die Verantwortung ab. Und wenn man ihn vor dem schmuck sanierten Schützenhaus beim Bier sitzen sieht, Hunter an der verhedderten Leine, glaubt man, dass es ihm nicht schwerfallen wird. Alles sei geblieben, wie es war. „Das ist meine Stadt, die ich liebe.“
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