Potsdam-Mittelmark: Der Fotograf der Potsdamer Wende
Wie Bernd Blumrich aus Kleinmachnow seine denkwürdigen Fotos vom 7. Oktober 1989 in Potsdam rettete
Potsdam/Kleinmachnow - Die lebensfrohe Feier an der Pfingstbergruine im Juni 1989, der Protest in der Friedrichskirche in Babelsberg am 4. Oktober, wo dazu aufgerufen wurde, das Land umzugestalten, und die Demonstration vor 25 Jahren in Potsdam, an deren Ende über 100 Menschen festgenommen wurden: Bernd Blumrich hat alles dokumentiert. Er wurde der Fotograf des Neuen Forums und die Bilder des Kleinmachnowers spiegeln bis heute die Geschehnisse der Wendemonate wider.
Als selbstständiger Fotograf hatte der heute 64-Jährige alle Zumutungen des DDR-Systems miterlebt: die Unfreiheit, die ständige Materialnot, das Lavieren, um mal ein Kirchenmotiv als Schmuckpostkarte verkaufen zu können, die Schlangen nach den Ferien vorm Labor. Nach seinem Sommerurlaub in Ungarn 1989 war für ihn endgültig klar, dass er am Wandel mitwirken wollte.
In Budapest fotografierte er eher zufällig das Staatsbegräbnis des Staatsführers János Kádár und staunte, wie gering das Interesse daran war. Am gleichen Tag fotografierte er, wie Oppositionelle in Budapest – ungestört von staatlichem Zugriff - Straßennamen veränderten, Kommunistenführer durch Freiheitskämpfer ersetzen. Es war der Sommer, in dem erste Gitterstäbe aus dem Eisernen Vorhang gelöst wurden und Zelte von DDR-Bürgern am Balaton zurückgelassen wurden.
Zurückgekommen sucht Blumrich Kontakt zu Oppositionellen und findet ihn bei der Gruppe Kontakte in Babelsberg. Der Aufruf des Neuen Forums vom 10. September, am Reformprozess mitzuwirken, geht ihm nah. Obwohl sich die Bürgerrechtsbewegung bei allen Aktionen streng an die DDR-Verfassung hält, ist klar, dass die Presse nichts von der Wirklichkeit berichtet. Blumrich sieht eine Aufgabe, lässt kaum noch einen Termin der Opposition in Potsdam, Kleinmachnow und Teltow aus und macht, was er im Studium in Berlin gelernt hat: fotografieren, dokumentieren.
Auf seinen Bildern sieht man angespannte und erwartungsvolle Gesichter. Man erkennt die alten Protagonisten, mutig bis vorsichtig tastend, aber auch die betretenen Betonkopf-Funktionäre, die bei manchen Runden Rederecht erwirkten. Blumrich erfährt vom „Spaziergang“, der am 7. Oktober, zum 40. Jahrestag der DDR, auf der Klement-Gottwald-Straße stattfinden soll. Auf Zettelchen wird der Aufruf „40 lange Jahre: Wir haben genug geschwiegen“ weitergetragen.
Die Menge trifft sich an jenem Tag am Glockenspiel, singt gemeinsam „Brüder zur Sonne zur Freiheit“, skandiert einige Losungen, ohne dass die Stasi eingreift. Also marschiert der Zug aus etwa 2000 Leuten frischen Mutes los, jeder Schritt ein kleiner Sieg. Erst am Ende der Einkaufsmeile, vor der Friedrich-Ebert-Straße, versperren Polizisten den Weg. Die Veranstalter fordern die Menge auf, sich nicht provozieren zu lassen und friedlich auseinanderzugehen.
Bis auf etwa 80 Jugendliche zerstreut sich die Menge. In dem Moment stößt Blumrich – von der Charlottenstraße kommend – hinzu. Die Jugendlichen werden von Polizisten und mit Polizeilastern auf die Friedich-Ebert-Straße gedrängt. Als sich der Pulk schon fast aufgelöst hat, hetzt die Polizei los, verhaftet Dutzende von Beteiligten und Unbeteiligten.
Blumrich ist nah dabei. Auf einem seiner Fotos ist eine Polizeikette zu sehen, im Hintergrund das Nauener Tor. Blumrich weiß nicht, wer zur Stasi und wer zu den Demonstranten gehörte. Er will die Szenen von einer anderen Perspektive, vom Nauener Tor aus, fotografieren. Er nimmt mit seiner Begleiterin und späteren Ehefrau einen Umweg über die Gutenbergstraße und das Holländische Viertel. Angesichts der Polizeipräsenz gibt es ohnehin keinen anderen Weg mehr. Am Nauener Tor angekommen wird das Paar wiedererkannt. Ein Polizist ruft einem anderen zu: „Die haben fotografiert.“ Das Paar wird in ein Polizeiauto geschoben – offenbar die beiden letzten von insgesamt 103 Verhafteten.
In der Bauhofstraße muss er die Kamera abgeben, eine Canon AE1. Der Film wird zurückgespult und entnommen. In einer Turnhalle warten die „Zugeführten“ auf ihr nächtliches Verhör. Blumrich wird vorgeworfen, seine Westkamera sei Gegenleistung für Dienste für den „Klassenfeind“. Er widerspricht, beruft sich auf seine Selbstständigkeit und darauf, die Kamera von seinem im Westen lebenden Bruder bekommen zu haben. Er argumentiert den Tatsachen entsprechend, dass auch die Inhaftierten durch die Polizei mit einer Videokamera japanischer Herkunft gefilmt wurden. „Da wurde die Stimmung richtig eisig.“
Ab dem nächsten Vormittag werden die meisten der Festgenommenen freigelassen. Auch Blumrich darf gehen. Er will es nicht dabei belassen. Er schreibt an den Bezirksstaatsanwalt, protestiert gegen Unterstellungen in der Presse, die Festgenommenen seien vom Westen infiltriert gewesen, beschwert sich, dass er in seiner Berufsausübung gehindert und sein Filmmaterial beschlagnahmt wurde.
In wenigen Wochen hat sich die Situation grundlegend geändert, frühere Verfolger sind nun selbst in die Enge getrieben. Zum 2. November bekommt Blumrich eine Einladung in die Polizeidirektion. Direktionschef Griebsch wartet auf ihn, auf dem Tisch steht die Filmdose. Es geschieht ein kleines Wunder: Der Direktionschef entschuldigt sich bei ihm und sagt, es sei legitim gewesen, die polizeilichen Maßnahmen zu fotografieren. Blumrich bekommt den Film zurück. „Es ist der einzige Film in meinem Archiv, der von der Stasi entwickelt wurde.“
Den 9. November habe er er wie im Taumel erlebt. Die Grenzöffnung zu fotografieren sei wie eine Bestätigung all dessen gewesen, was er in den vergangenen Monaten getan und erlebt hatte. Viel später erfährt er, was der Staatsanwalt an die Polizei geschrieben hatte: dass seine Beschwerde berechtigt sei, er nicht über 24 Stunden hätte in Gewahrsam genommen werden dürfen, die Videoaufnahmen gelöscht und das Filmmaterial zurückgegeben werden müssen.
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