Baumblütenfest in Werder: „Brandenburgs größte Drogenparty“
Das Baumblütenfest steht nach Alkoholexzessen und Gewaltvorfällen in der Kritik. Die Polizei registriert immer mehr Drogendelikte, zahlreiche Jugendliche trinken sich in komatöse Zustände. Die Stadt weist die Vorwürfe zurück.
Werder (Havel) - Einen Tag nach Ende des Baumblütenfestes gibt es einiges zu besprechen. Es geht um Beschreibungen, die nicht zum Bild passen, das am Sonntag von offizieller Seite vermittelt wurde. Es geht um zahlreiche betrunkene Jugendliche und Drogenmissbrauch. So wandte sich eine Ärztin an den Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint und berichtete von ihrem Einsatz am vergangenen Wochenende in einem der Rettungszelte. Während einer einzigen siebenstündigen Schicht habe sie 100 Patienten versorgt, fast alle jünger als 20 Jahre, mehr als die Hälfte erkennbar minderjährig. Alle seien „sturzbetrunken“ gewesen, mehr als ein Drittel komatös. „Ich kam mir vor wie im Lazarett“, berichtete die Ärztin. „Das war Krieg.“ Viele Betrunkene hätten nur noch auf einen „Schmerzreiz“ reagiert, den Ärzte dann einsetzten, wenn die zu Behandelnden bei Ansprache oder Schütteln keinerlei Reaktion mehr zeigen. „Das habe ich in diesem Ausmaß noch nie gesehen“, so die Notärztin. Eine 13-Jährige habe ihr gesagt, sie habe anderthalb Flaschen Obstwein und drei Schnäpse getrunken, ein 16-Jähriger habe 15 Bier getrunken und drei Joints geraucht.
Das Aggressionspotenzial der Besucher und auch derjenigen, die zum eingezäunten Rettungszelt kamen, sei erheblich gewesen. „Wir hatten diverse Pöbler und Randalierer.“ Schon bei der Fahrt im Rettungswagen zum Einsatzort habe sie „ein bisschen Angst“ gehabt, der Wagen sei kaum durchgekommen, trotz Blaulicht. Dutzende Betrunkene habe sie vom Rettungsdienst ins Krankenhaus bringen lassen, so die Notärztin. Dies sei nötig, wenn bei Alkoholisierten dauerhaft Schutzreflexe aussetzten, sie also bei Erbrechen nicht husten würden, sondern am Erbrochenen ersticken könnten.
„Lügenpresse, auf die Fresse“: Konnte die Polizei Journalisten auf dem Fest nicht schützen?
Von Aggressivität und Gewalt berichtete den PNN auch ein freier Journalist aus Potsdam. Er war beauftragt, nach dem Unfall an einem Fahrgeschäft Fernsehaufnahmen auf dem Fest zu machen. Zwei Männer vom Wachdienst, deren Kleidung und Tattoos auf die Neonazi-Szene hindeuteten, hätten ihn und eine Kollegin zunächst nicht einlassen wollen, obwohl sie sichtbar einen Pressehinweis am Auto hatten. Auf dem Fest sei die Stimmung aggressiv gewesen. Während der Aufnahmen riefen Besucher mehrfach in die Kamera: „Lügenpresse, auf die Fresse.“ Dies ist auf den Aufnahmen zu sehen, ebenso wie die Angriffe auf ihn und seine Kollegin. „Ein Mann hat mir mit der Faust in den Rücken geschlagen, ein anderer mich geschubst.“ Die Angriffe hätten sich in der Nähe der Rettungszelte abgespielt, wo auch mehrere Polizisten gestanden hätten. Doch keiner sei eingeschritten. „Eine Bankrotterklärung“, so der Vorwurf des Reporters. Zuvor habe ihm Polizeisprecher Heiko Schmidt gesagt, dass die Polizei Journalisten nicht mehr schützen könne – jeder sei für sich selbst verantwortlich. Auf Nachfrage bestritt der Sprecher die Aussage. Er habe das Filmteam lediglich darauf hingewiesen, „deeskalierend und nicht hartnäckig aufzutreten“, da einige, meist alkoholisierte Besucher auch aggressiv reagieren könnten.
Die Polizeistatistik, die am Montag mit endgültigen Zahlen vorlag, zeigt, dass es dieses Jahr rauer zuging. So wurden insgesamt 375 Straftaten registriert, knapp die Hälfte davon waren Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Wurden vor zwei Jahren noch 59 Drogendelikte registriert, waren es im vergangenen Jahr bereits knapp über 100, jetzt liegt die Zahl bei 168. Wie viele Minderjährige mit Drogen erwischt wurden, konnte die Polizei am Montag zunächst nicht sagen. Weiterhin registrierten die Beamten 67 Körperverletzungen und 36 Beleidigungen. 80 Festbesucher wurden festgenommen, 257 haben Platzverweise bekommen. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der Straftaten bei insgesamt 270. Wie berichtet soll es am ersten Wochenende zu einer mutmaßlichen Vergewaltigung gekommen sein, Opfer soll eine 18-Jährige sein.
Werders 1. Beigeordneter Christian Große (CDU): Alkohol und Drogen unter Jugendlichen sind ein gesellschaftliches Problem
Dass der Drogenkonsum auf dem Baumblütenfest deutlich zugenommen hat, bestätigt auch Bundespolizeisprecher Jens Schobranski: „Das ist ein Spiegel der Gesellschaft.“ Mehr als 2000 Bundespolizisten waren im Einsatz, um die insgesamt 180 000 an- und abreisenden Besucher in die Züge zu begleiten. Wegen des schönen Wetters sei die Zahl der Reisenden gestiegen und damit auch das Konfliktpotenzial, so Schobranski. 148 Straftaten registrierte die Bundespolizei. Es handelte sich vor allem um alkoholbedingte Straftaten, etwa ein Drittel waren Gewaltdelikte.
Die Stadt Werder als Veranstalter wies den Vorwurf, dass es in einem Rettungszelt zugegangen sei wie im Lazarett, von sich. „Ein solcher Vergleich ist völlig unangemessen“, sagte Werders 1. Beigeordneter Christian Große (CDU). Dass Minderjährige Drogen konsumieren und sich betrinken, sei ein gesellschaftliches Problem, dem sich die Stadt beim Baumblütenfest stellen müsse und stellen werde, unter anderem durch Jugendschutzkontrollen. Es sei aber Aufgabe der ganzen Gesellschaft und der Eltern, mit Kindern und Jugendlichen „zu den Themen Alkohol und Drogen im Dialog zu bleiben“.
„Kein einziger Drogenbeauftragter kümmert sich darum“
Große kündigte an, jene Festbereiche, in denen verstärkt Drogen konsumiert worden seien, im kommenden Jahr besser zu überwachen. Die Verkaufsstände seien zur Einhaltung des Jugendschutzgesetzes verpflichtet, sonst drohten hohe Strafen, die auch bereits verhängt worden seien, sagte Große weiter. Wie viele Mitarbeiter der Verwaltung den Jugendschutz kontrollierten, konnte das Rathaus am Montag nicht sagen. Im Juni wisse man mehr, wenn in großer Runde das Fest mit allen Sicherheitspartnern ausgewertet würde. Auch den Vorwurf, dass Teile des Sicherheitspersonals der rechten Szene zugehören, wies Große zurück. „Uns liegen keine Beschwerden vor. Die Wachmänner werden vor dem Einsatz überprüft.“
Parallel wurden die Vorgänge im Kurznachrichtendienst Twitter diskutiert. Nutzer schreiben dort, das Baumblütenfest sei schon lange kein Volksfest mehr. Auch der Linke-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Landesparteichef Thomas Nord meldete sich zu Wort und bezeichnete das Fest als „Brandenburgs größte Drogenparty“ – „und kein einziger Drogenbeauftragter kümmert sich darum“.
Die Potsdamer Suchtberatung Chill Out e. V., die auch für den Landkreis Potsdam-Mittelmark zuständig ist, erklärte, dass sie Werder gerne unterstützen würde, jedoch dazu aufgefordert werden müsste. Man empfehle der Stadt dringend, ein umfassendes Jugendschutzkonzept zu erarbeiten.
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