Nachwuchssorgen und Berufswünsche: Ausbildungsmarkt: Auf der Zielgeraden
Knallrote Lederjacke, das Auto in Taschenform unterm Arm, die Fingernägel sauber: Was Rennfahrerin Heidi Hetzer jungen Mädchen in Teltow mitgeben will
Teltow - Heidi Hetzer, ein Urgestein unter den Berliner Unternehmern, hat es nach Teltow verschlagen. Die leidenschaftliche Rallyefahrerin und ausgebildete Kfz-Mechanikerin ist in diesem Jahr Schirmherrin der Regionalen Ausbildungsmesse in Teltow. Auf der Pressekonferenz am gestrigen Mittwoch im Teltower Rathaus kündigte die drahtige 80-Jährige an, zum Messetag am 20. Januar Mädchen von Handwerksberufen begeistern zu wollen.
„Zu meiner Zeit wollten sie alle zur Bank, denn dort war es sauber“, erzählte die Frau, die mehrere Jahre in einem Oldtimer die Welt umrundete. Sie habe das Glück gehabt, keinen Bruder zu haben. Sonst wäre womöglich auch sie in einem sauberen Beruf gelandet. Aber zum Geschäft des Vaters gehörten Öl, Benzin und Ruß dazu. Sie übernahm das Autohaus des Vaters und leitete Opel Hetzer 45 Jahre lang. Als Frau in einem klassischen Männerberuf zu arbeiten war damals sehr selten.
Und ist es auch heute noch: Der Frauenanteil am Oberstufenzentrum Technik Teltow liegt bei lediglich fünf Prozent. Nur die Medienberufe, berichtete der Leiter der Ausbildungseinrichtung, Henri Danker, seien gut von jungen Frauen besucht. Beim stärksten Ausbildungsgang, dem Beruf den Heidi Hetzer gelernt hat und der heute Kfz-Mechatroniker heißt, seien oftmals gar keine Frauen vertreten. „Dabei nehmen junge Frauen, die sich für klassische Männerberufe entscheiden, einen guten Weg. Sie sind erfolgreich und wirken sich positiv auf das Klassenklima aus“, so Danker. Es müsse kein Mädchen Angst haben, sich im Betrieb besonders zu beweisen. Im Gegenteil, um sie würden die Unternehmen sogar buhlen.
Ein Blick in das Ausstellerheft der Messe zeigt es: Immer mehr junge Frauen lächeln einem da auf den Werbeseiten der Unternehmen entgegen. Darunter die Aufforderung, sich für eine Lehre als Industriemechanikerin, Elektronikerin oder Baugeräteführerin zu bewerben. Die Betriebe würden immer mehr auf junge Frauen zugehen, so Danker, und etwa auf der Ausbildungsmesse auch weibliche Auszubildende für Gespräche mit den Jugendlichen mitbringen.
Ob das Erfolg bringt? Den Durchblick bei dem diesjährigen Ausbildungsangebot der Messe zu behalten, ist nicht einfach. Jedes Jahr berichtet die Stadt Teltow, die die Messe ausrichtet, von Rekorden. In diesem Jahr sind es 127 Aussteller und mehr als 250 Ausbildungsberufe und Studiengänge. Die Platzkapazitäten im Teltower Oberstufenzentrum, wo die Messe stattfindet, seien nun vollends erschöpft. Das Spektrum der Ausbildungsberufe reicht vom Barmixer über Lokführer bis hin zum Stuckateur.
Das Buhlen um den Nachwuchs ist besonders im wirtschaftsstarken Potsdam-Mittelmark groß. Im Ausbildungsjahr 2016/2017 seien 334 Stellen unbesetzt geblieben, so die Pressesprecherin der Arbeitsagentur, Isabel Wolling. Aktuellere Zahlen gebe es erst Ende Februar. Der Trend werde sich aber fortsetzen, so Wolling. Während in den vergangenen Jahren die Zahl der Bewerber recht konstant geblieben sei, habe sich die Zahl der offenen Stellen erhöht. In gut drei Jahren seien somit rund 150 Stellen hinzugekommen. „Den Unternehmen wird die Personalnot immer bewusster“, so die Pressesprecherin. Die Überzahl an offenen Stellen ist nicht in jedem Kreis Brandenburgs gegeben – so gibt es etwa in der Uckermark mehr Bewerber als offene Stellen.
Was die Kreise jedoch eint, ist der Wunsch vieler Jugendlicher. Sie suchen nach Ausbildungsberufen, die nicht im klassischen Handwerk verortet sind: Fachinformatiker, Bürokauffrau, medizinischer Fachangestellter. „Dabei hat das Handwerk goldenen Boden“, sagte Heidi Hetzer. Ein alter Spruch sei das, der wieder aktuell werde. Mit Sprüchen hat es Hetzer noch immer, auch wenn sie sich im vergangenen Jahr für eine rassistische Bemerkung über Afrikaner nach medialer Debatte entschuldigte. Auf ihre Berliner Art sprach sie am Mittwoch auch ein Thema an, dass Ausbildungsbetriebe umtreibt. „Wenn alle immer klüger und klüger werden, da fass ich doch nichts mehr an.“ Sie appellierte an Bodenständigkeit und an das Anpacken – statt vom Erfolg zu träumen.
Tatsächlich nimmt die Zahl der Studienanfänger von Jahr zu Jahr zu. Dabei könne eine Ausbildung eine gute Grundlage für ein Studium sein sein, heißt es von den Bürgermeistern der Nachbarkommunen, die zusammen mit der Stadt Teltow die Messe veranstalten. „Es muss nicht jeder aufs Gymnasium oder studieren“, sagte auch Vize-Landrat Christian Stein (CDU). Bei diesem Satz nickt die Kfz-Mechanikerin. Sie habe angepackt. „Man braucht dazu keinen Mut, sondern muss einfach nur machen.“ Als Frau habe sie sich in Autowerkstätten weltweit durchgeschlagen. Und der Schmutz unter den Fingernägeln – der gehörte zum Job dazu.
Die Messe findet am 20. Januar von 10 bis 15 Uhr in der Potsdamer Straße 4 statt. Der Eintritt ist frei
„Man braucht charakterliche Reife“
Frau Wolling, was sind die beliebtesten Ausbildungsberufe bei jungen Männern und Frauen?
Die Berufswünsche sind nach wie vor oft sehr traditionell: Männer lassen sich am häufigsten zum KFZ-Mechatroniker, Frauen zur Kauffrau für Büromanagement ausbilden.
Woran liegt das?
Vor allem am sozialen Umfeld. Im Alter von 15, 16 Jahren richten sich Jugendliche noch sehr danach, was Eltern, Lehrer und vor allem Freunde gut finden. Natürlich gibt es auch Frauen, die Tischlerin werden oder Männer, die sich zum Erzieher ausbilden lassen. Das sind häufig aber Ältere, die schon eine Ausbildung hinter sich haben und umsatteln. Um als einzige Frau in einem Betrieb voller Männer oder als einziger Mann in einem „Frauenbetrieb“ klarzukommen, braucht man eine gewisse charakterliche Reife.
Was tut die Arbeitsagentur, um junge Menschen für Traditionsberufe des jeweils anderen Geschlechts zu begeistern?
Wir informieren sehr offen, blicken mit den jungen Menschen auf ihre Stärken und Interessen. Wenn ein Mädchen in Mathe und Physik gut ist, schlagen wir etwa einen technischen Beruf vor, bei einem Jungen mit hoher Sozialkompetenz eine pädagogische Ausbildung. Daneben gibt es viele berufskundliche Angebote, zum Beispiel den Girls' Day am 26. April.
Die Fragen stellte Julia Frese
Isabel Wolling ist Pressesprecherin der Arbeitsagentur Potsdam. Ihrer Erfahrung nach wählen junge Männer und Frauen noch immer Berufe, die ihnen traditionell zugeordnet werden.
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