Wutbürger in der DDR: "Zum Geburtstag wünsche ich alles Unglück"
Volkes Stimmung: Siegfried Suckut hat die Briefe an Honecker & Co in einem Buch gesammelt. Eine Rezension.
Dies sei „eine der besten Dokumentationen, die je über die DDR erschienen ist“, findet Dissident Rainer Eppelmann und nennt keinen Autorennamen, sondern gewissermaßen das volkseigene Volk höchstselbst als Verfasser. Was haben Bewohner der (ost-)deutschen Republik voller Wut, vielleicht auch bangen Herzens und im besten Fall im Glauben an Reformen und Veränderungen an ihre Staatsoberen geschrieben? Viel. Und was haben die damit gemacht? Nichts. Sie haben die Wut und den Unmut gar nicht zu Gesicht bekommen, denn das Ministerium für Staatssicherheit sorgte im Vorfeld einer Briefzustellung an die oberen Organe dafür, dass „die führenden Genossen“ von Sorgen und Nöten des kleinen Mannes (und natürlich auch der kleinen Frau) verschont blieben. Stattdessen untersuchten sie bei 100 000 täglich geöffneten Briefen einzelne Speichelproben, die der staatsferne, wenn nicht -feindliche Absender beim Zukleben seines Briefes mit der Zunge hinterlassen hatte. Der DDR-Wutbürger schrieb sich, meistens anonym, den Frust von der Seele und hoffte, dass sich etwas ändert. Oft mündet seine Frustration in blankem Hass.
Viele Briefschreiber gaben an, SED-Genossen zu sein
Der Politologe Siegfried Suckut saß direkt an der Quelle. Der Autor dieser Sammlung von „Volkes Stimmung“ war ein Mitbegründer der Abteilung Bildung und Forschung in der Gauck-Behörde, von 1997 bis 2005 leitete er diese Abteilung. Erst im Ruhestand kam er dazu, sich durch die bei der Stasi-Hauptabteilung XX gestrandeten Akten zu wühlen. Unter „Verhinderung, Aufklärung und Bearbeitung staatsfeindlicher Erscheinungen“ gingen ihm 45 000 Aktenblätter durch die Hände, „hier war die gesellschaftliche Entwicklung ablesbar“, sagt der Herausgeber. „Bei jedem der 248 Dokumente hatte ich das Gefühl, etwas Einmaliges vor mir zu haben.“
Viele Briefschreiber gaben an, SED-Genossen zu sein, der Chor reichte „vom Alt-Nazi bis zum Alt-Kommunisten“: Die Enttäuschung der Aktivisten der Aufbaujahre über die mangelnde Dankbarkeit des Staates war weitverbreitet. Die Ablehnung des Sozialismus sowjetischen Typs ging quer durch die Generationen und sozialen Schichten. Am 25. August 1983 schrieb „eine von vielen“ mit Füllfederhalter zu Honeckers Geburtstag: „Wie schläft man nachts, wenn man weiß, daß man viele Menschen quält, unmenschlich behandelt, unterdrückt und einmauert? Zum Geburtstag wünsche ich Ihnen alles Unglück, wie ich es selber auch durch Sie habe und ertragen muss. Ich hasse alles hier, alles. Ich werde immer dagegen ankämpfen, solange ich hier eingesperrt werde. Das schwöre ich, so wahr ich noch lebe … Sie haben Glück, daß Sie die Menschen schon zu Kriechern gemacht haben, sonst hätten Sie es vielleicht gar nicht bis zu ihrem jetzigen Geburtstag gebracht. Aber täuschen Sie sich nicht, die Jugend ist nämlich aufrührerischer als Sie denken. Das ist das einzigste, was hier gut ist.“ Im August 1978 erreicht ein langer anonymer Brief das „Neue Deutschland“, in dem jemand empfiehlt, dass sich „unsere Funktionäre“ aus ihrem Sessel lösen und sich mehr unter das einfache Volk mischen, öfter die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und damit das Leben aus erster Hand hören. Sie sollten nicht immer mit großen protzigen Autos auf Kosten der Werktätigen durch die Gegend fahren und dann winke, winke machen und den lieben und guten Onkel markieren!
„Kaffeemix ist zu verwenden soll das Unkraut schnell verenden“
Auch das DDR- Fernsehen bekommt sein Fett weg – vom „Kollektiv eines sozialistischen Großbetriebes der DDR“: „Bei uns empfängt man zwar auch das 2. Programm, doch wenn man das einschaltet, denkt man, man ist in der Sowjetunion, aber soweit sind wir, gottseidank, noch lange nicht. Bis jetzt sind wir immer noch Deutsche.“ Die auch lustig sein konnten, zum Beispiel in der Rubrik Schmähgedichte aus den Akten der Schriftenfahndung. „Kaffeemix“ war eine DDR-Erfindung, Mischung Bohne-Muckefuck: „Kaffeemix – ein schönes Wort, wer ihn trinkt, der stirbt sofort.“ Und: „Kaffeemix ist zu verwenden soll das Unkraut schnell verenden.“ Oder, zum innerdeutschen Handel, bei dem die DDR alles verscherbelte, was Devisen brachte: „Ach, wie wäre es doch fein, wäre ich ein Pflasterstein, dann könnt’ ich bald im Westen sein.“
Siegfried Suckut: Volkes Stimmen – Privatbriefe an die DDR-Regierung. dtv, München 2016. 576 Seiten, 29,60 Euro.